Rückenwind für das Militär, Gegenwind für den Pazifismus

 

Täglich und rund um meinen Heimatort Absam können die Veränderungen wahrgenommen werden: Das heimische Militär ist angesichts der politischen Lage im Aufwind, oder, um es in die Sprache des Radsports zu bringen, der mir so lieb ist: Das Militärische hat kräftigen Rückenwind, während pazifistisches Denken und Handeln mit proportionalem Gegenwind zu rechnen hat. Die produzierten Ängste in der Bevölkerung sind ein guter Nährboden für den militärischen Paradigmenwechsel, der sich verstärkt in der ersten Hälfte des Jahres 2016 abzeichnet. Vor allem die Flüchtlingskrise wird für eine Legitimation militärischer Aufrüstungsbemühungen instrumentalisiert. Hinzu kommen die Ängste vor terroristischen Anschlägen. Wenn das Militär innerstaatliche Aufgaben ganz selbstverständlich wahrnimmt, wenn das Wort von „zivilmilitärischen Mechanismen“ so selbstverständlich verwendet wird, dann scheint das Bewusstsein vom besonderen Charakter des Militärischen immer mehr zu schwinden. „Das Bundesheer gilt wieder was im Staate Österreich“, schreibt der stellvertretende Chefredakteur in der Tiroler Tageszeitung vom 11. Juni 2016. Im Zusammenhang mit der Fußball-EM bekommen die Massen gegenwärtig einen weiteren Anschauungsunterricht über die zur Normalität gewordene Präsenz des Militärs in europäischen Großstädten oder an den Grenzen Europas und zwischen den Grenzen Europas.

Exverteidigungsminister Gerald Klug und sein Sparprogramm für das Bundesheer sind Geschichte. In vielen Bereichen gibt es seit dem Amtsantritt von Hans Peter Doskozil eine Aufhebung der Pläne, das Militärische in unserer Gesellschaft einzuschränken. Erinnert sei an den Beschluss, das Militärbudget in den nächsten Jahren um 1,3 Milliarden Euro zu erhöhen und geplante Schließungen von Kasernen nun doch nicht umzusetzen. Verteidigungsminister Doskozil will die Kaderpräsenzstärke bis zum Jahr 2020 beinahe verdreifachen: von derzeit 2200 auf 6000 Soldaten und Soldatinnen. Durch bessere Bezahlung sollen junge Menschen für einen Beruf beim Heer angeworben werden. Für das Heer sind eine Reihe von Neuanschaffungen an Kriegsgerät geplant. Die Auftragsbücher für die Rüstungsschmieden werden sich auch mit den Wünschen aus Österreich füllen.

Die bisherige 6. Jägerbrigade, die in meinem Heimatort Absam stationiert ist, wird sinntreffend in „Kommando Gebirsgkampf“ umbenannt werden. In meiner unmittelbaren Nähe wird am Kasernenstandort Vomp gefeiert. Der militärische Hubschrauberstandort wird erhalten bleiben. Die einfache Argumentation aus dem „Volk“ lautet: Man brauche dort eben Hubschrauber und das Militär für Katastropheneinsätze. Diese Logik wird nicht hinterfragt: Militär bei Hochwasser, Militär bei Murenabgängen usw. Warum, so aber die einfache Gegenfrage, kann diese Aufgabe nicht auch von den zivilen Einsatzorganisationen übernommen werden, die mit ebendiesem Geld, das für das Militärische aufgewendet wird, vielleicht ein Vielfaches erreichen könnten? Ein Hubschrauber braucht keine militärische Tarnfarbe und kein Bundesheerlogo, um im Katastrophenernstfall eingesetzt werden zu können.

Mein analoger Blick geht zu den äußeren Bergen der Wattener Lizum. In den letzten Tagen war dieses Gebiet, das in Vorkriegszeiten zum Truppenübungsplatz umfunktioniert wurde und seither dem Militär als Übungsgebiet dient, wieder Schauplatz großangelegter militärischer Übungen unter dem Übungsnahmen Capricorn 2016. Geübt wurde für den „Ernstfall“. Man scheut das Wort „Kriegsübung“ und kaschiert es mit dem harmloseren Begriff „Ernstfall“. Ernstfall meint aber immer Kriegseinsatz. Wenn innerhalb der EU solche Einsätze gemacht werden, dann im Verbund mit anderen Staaten. Die österreichischen Soldaten konnten daher auch diesmal wieder gemeinsam mit Soldaten aus den NATO-Ländern Deutschland, Polen und Deutschland „üben“. 1224 waren es insgesamt. Im Ernstfall – im Krieg – wird gemeinsam gekämpft werden. Im Hintergrund stehen die längst beschlossenen EU-Battlegroups. Im Dauergespräch sind die gemeinsamen Einsätze zum Schutz der EU-Außengrenze. Neutralität – als Verbot fremde Truppen auf heimischem Territorium zu haben und als Ausschluss von jedweder Kriegsbeteiligung – sie wird in diesen Junitagen am TÜPL Wattener Lizum zur Bedeutungslosigkeit. Knapp sieben Tonnen Munition und Sprengmittel sollen in der Wattener Lizum bei dieser Übung verbraucht worden sein, 200 Armeefahrzeuge und etliche Hubschrauber waren im Einsatz. Unüberhörbar waren in den letzten Tagen die Blackhawks.

Die größte heimische Zeitung verzichtet auf jede Kritik an diesem Spektakel und berichtet euphorisch über Capricorn 16. Schließlich hat die TT ja auch ein Partnerschaftsabkommen mit dem Militär. Eine Stimme der Kritik wird nicht hörbar. Was wäre, wenn nur ein Teil der hier verwendeten finanziellen Ressourcen für Friedensarbeit umgelenkt werden würde? Was wäre, wenn die tatsächlichen und vorrangigen Bedrohungen angepackt würden, wie beispielsweise der Klimawandel? Was wäre, wenn Österreich endlich seine Neutralität ernst nehmen würde, nicht mehr Einkäufer von Kriegsmaterialien wäre und damit nicht mehr die Waffenproduktionsstätten unterstützen würde? Was wäre, wenn nicht mehr für den Krieg, sondern für den Frieden geübt würde? Letztere Frage stellte bereits ein Prophet des Alten Bundes vor 2500 Jahren – und sie bleibt weiterhin gültig.

Klaus Heidegger, klaus.heidegger@aon.at ,11. Juni 2016