Die Diözese Innsbruck feiert 2021 den 500. Geburtstag ihres Diözesanptrons Petrus Canisius. Er steht für die Rechtfertigung und Verteidigung des katholischen Glaubens. In diese Zeit hinein fällt auch die Geschichte der Täuferbewegung. Das Canisius-Jahr ist noch mehr ein Grund, sich auch die reformatorische Seite dieser Zeit in Erinnerung zu rufen. Es gibt viele Argumente, sich mit dem Leben und der Wirkungsgeschichte von Jakob und Katharina Huter auseinanderzusetzen. Erstens gibt der Tiroler Reformator eine eindeutige und kompromisslose Antwort auf die bleibende Frage nach der Rechtfertigung militärischer Gewalt im christlichen Kontext. Jakob Huter kann eine Hilfe im „Pazifismusstreit“ sein. Er ist eine Ermutigung, sich kompromisslos zu den friedenspolitischen Konsequenzen der jesuanischen Botschaft zu bekennen. Zweitens bieten die huterischen Brüdergemeinden einen Entwurf des Zusammenlebens an, das sich an der Gütergemeinschaft des Urchristentums orientiert und damit einen Gegenentwurf zum Kapitalismus anbietet.
Selbst in Tirol sind Jakob und Katharina Huter kaum bekannt. Sie stehen im Schatten jener Männer, die mit Gewalt und Herrschaft ihre Ziele verfolgten. Für das offizielle Tirol passt ein Andreas Hofer besser als der Pazifist und Sozialrevolutionär Jakob Huter. Eine Würdigung von Jakob Huter ist daher auch eine Würdigung und Aussöhnung mit jenen pazifistischen und kommunitären Ideen, die jahrhundertelang von den Herrschenden verdrängt worden sind.
Jakob Huter ist eine Mahnung in einem Land, wo in der Geschichte Weihrauch und Pulverdampf oft ein unerträgliches Gemisch ergaben. Er steht stellvertretend für die vielen Menschen, die wegen unbequemer herrschaftskritischer Positionen als Ketzer oder Hexen zum Tode verurteilt worden sind. Jakob Huter ist ein ermutigendes Beispiel für eine Glaubenshaltung, in der das Evangelium an erste Stelle gesetzt wird.
Geburtsort von Jakob Huter ist Moos bei St. Lorenzen im Pustertal. Seine Zeit war einerseits jene von groben Missständen in der Kirche, von Verelendung auf der Seite der Bauern und Bergarbeiter, andererseits eine Zeit eines religiösen und politischen Aufbruchs. Radikalster Ausdruck eines religiös wie politischen Neubeginns war die Täuferbewegung. Jakob Huter wurde zum bedeutendsten Führer der Täufer bzw. Anabaptisten (=Wiedertäufer) in Tirol.
Im Jahr 1529 soll Jakob Huter gemeinsam mit seiner Frau Katharina die Missionstätigkeit begonnen haben. In Welsberg errichtete er die erste Täufergemeinde. Die Kirchen nannte er „huern- und götzentempel“, die nur „eehbrecher, huerer, todtschleger und gottlose menschen“ besuchen. Im Papst sah er einen Diener des Teufels und in den Geistlichen falsche Propheten, „sy bedurffen nit weiber nemen, aber huern wol halten“. Die Taufe bezeichnete er als ein Zauberbad, darin „der pfaff wöll teuffl aus dem kind austreiben, das doch rain sey“.
Als es in Tirol zu einer regelrechten Treibjagd gegen die zunehmende Zahl der Täufer kam, flüchtete Huter nach Mähren, wo die Gemeinschaft der Huterischen Brüder entstand. 1535 kehrte Huter nach Tirol zurück. Beim ehemaligen Mesner Hans Steiner in Klausen wurde er aber aufgegriffen, nach Innsbruck überführt und am 25. Februar vor dem Goldenen Dachl auf dem Scheiterhaufen verbrannt.“ Seine Frau Katharina wurde kurz darauf auf Schloss Schöneck in Südtirol hingerichtet.
Die Täufer wurden der Ketzerei angeklagt. Darauf stand Tod oder Vertreibung. Ein Beispiel: Bezüglich Schwaz berichten die Bücher der Täufer: „Anno 1540 ist der Brueder Hans Zimmerauer zu Schwatz umb gottes worts willen gefangen gelegen. Da ist er auch zum todt verurteilt und mit dem Schwert gerichtet worden. Da hat er seinen Glauben in gott mit seinem bluet bezeugt.“ Von den 51 schriftlich bekannten Täufern in Kufstein wurden 22 hingerichtet, in Kitzbühel fanden 67 und in Rattenberg 71 den Tod.
Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts markiert das Goldene Zeitalter in der Geschichte der Huterer. Unter dem Schutz von mächtigen mährischen Magnaten prosperierten sie ökonomisch. Sie waren im wesentlichen Bauern und Handwerker. Am Höhepunkt hatten sie zwischen 20.000 und 30.000 Mitglieder, verteilt auf einige hundert Bruderhöfe. Ab 1546 entstanden auch einige Gemeinschaften im nördlichen Ungarn. Die Huterer waren zu dieser Zeit keine in sich verschlossene Sekte, sondern erfüllt mit missionarischem Eifer, die Botschaft in andere Teile Zentraleuropas zu bringen. „Wenn die ganze Welt wie wir wären“, hatte Jakob Huter gesagt, „dann würde jeder Krieg und jede Ungerechtigkeit aufhören.“
Die Huterer unterschieden sich von den anderen Anabaptisten vor allem in ihrem religiösen Kommunitarismus, dem Glauben, dass Gütergemeinschaft keine beiläufige Methode der Perfektion sei, sondern ein wesentlicher Bestandteil christlichen Glaubens. Ansonsten glichen sie sehr stark dem evangelischen Anabaptismus: Sie praktizierten die Erwachsenentaufe, verweigerten Eide und Gerichte. Sie glaubten, dass zwischen „der Welt“ und „dem Königreich Gottes“ eine unüberbrückbare Kluft herrsche.
Die bewusste und demonstrative „Wehrlosigkeit“ war stets ein Hauptgrund für die Verfolgung der huterischen Brüder, vor allem dann, als sie mit Systemen der Allgemeinen Wehrpflicht konfrontiert waren. Huterer betrachteten sich selbst als „Soldaten Christi“, die alle „äußeren und eisernen Waffen“ verweigerten und sich selbst nur mit „spirituellen Waffen“ ausstatteten. In ihrer Gemeinschaft gibt es nur das spirituelle „Schwert“, um Disziplin zu erreichen. Im Falle eines Angriffs von außen durften sie sich nur mit der „Waffe der Wahrheit“ schützen.
So schrieb Jakob Huter im Jahr 1535, bevor er ins Exil ging: „Bevor wir wissentlich gegenüber jemandem ungerecht sind für den Wert eines Groschens, würden wir lieber darunter leiden, von hundert Gulden beraubt zu werden. Und bevor wir unseren schlimmsten Feind mit unserer Hand hauen würden, sei es mit Spieß, Schwert oder Hellebarde, wie dies die Welt tut, würden wir lieber sterben und dass unser eigenes Leben von uns genommen wird. Wir besitzen keine materiellen Waffen, weder Spieß noch Gewehr, wie jeder sehen kann und wie jeder weiß. In Summe, unsere Botschaft, unser Reden, unser Leben und Benehmen ist dergestalt, dass jemand in Frieden und Einheit in Gottes Wahrheit leben soll, als wahrhafte christliche Jünger.“
Da nach Auffassung der Huterer christliche Liebe die Doktrin des Auge-um-Auge ersetzt, verurteilten die Hutterer jede Kriegsbeteiligung und verweigerten den Militärdienst. Dies führte sie auch zur Verweigerung der Kriegssteuer. Damit war ihr Zeugnis für den Frieden radikaler als jenes der Hauptströmung der Anabaptisten-Mennoniten. Huterer verweigerten hartnäckig das Zahlen der Kriegssteuer oder jeder Arbeit, die einer Kriegsunterstützung dienen könnte. Ein Argument lautete: „Es gibt wenig oder keinen Unterschied, ob wir mit unseren eigenen Händen schlachten oder ob wir jemanden unser Geld geben, um an unserer Stelle zu schlachten.“
Eine detaillierte Begründung der Kriegssteuerverweigerung schrieb um 1540 Peter Riedemann in seiner „Rechenschafft unserer Religion, Leer und Glaubens“. Riedemann war einer der geistigen Führer der Huterer, in diesem Sinne unmittelbarer Nachfolger von Jakob Huter. Sein Buch erschien 1565 und enthält eine klare und präzise Abhandlung über die huterische Haltung zu Krieg und Frieden. Für Riedemann ist jedes kriegerische Handeln aggressiv und destruktiv. Niemand habe die Verpflichtung, einen Staat mit Abgaben zum Kriegführen zu unterstützen. Und schließlich folgt das Argument: „Was immer gegen Gott, das Gewissen und unsere Berufung steht, dort wollen wir Gott mehr als den Menschen gehorchen.“ Um 1556 wird von den Aspiranten eines Beitritts zur Bruderschaft verlangt, eine Erklärung zu unterschreiben. Darin wird u. a. verlangt, das Zahlen von „Blutgeld“, damit ist die Kriegssteuer gemeint, zu verweigern.
Für die Hutterer wurde die prinzipielle Haltung zur Kriegssteuer sehr bald auf die Probe gestellt. Aufgrund der türkischen Übergriffe verlangten die mährischen Behörden außerordentliche Besteuerung, um dem Feind zu widerstehen. Somit waren die Huterer herausgefordert, ihre Prinzipien in die Praxis umzusetzen. Um 1580 nahmen die Behörden von den Bruderhöfen Vieh und Land, weil sie den vorgeschriebenen Kriegsabgaben nicht nachkamen. Im Umgang mit den Behörden galt für die Huterer folgende pazifistische Regel: „Wenn dir etwas mit Gewalt weggenommen werden soll, soll man nicht mit unpassenden Worten Widerstand leisten. Oder wenn die Soldaten etwas von uns wegnehmen oder uns mit Worten schmähen, soll niemand dabei ertappt werden, wie er zurückschlägt. Dies könnte nämlich der ganzen Gemeinde schaden.“ Öffentlich erklärten die mährischen Huterer den Obrigkeiten, dass sie keine Kriegsbeiträge leisten werden und auch nicht ihre Pferde und Wagen für militärische Zwecke zur Verfügung stellen wollen, weil solche Hilfe eine Beteiligung am „Blutvergießen“ darstellen würde.
Immer wieder haben Außenstehende das hohe moralische Niveau der einfachen Bauern in den huterischen Bruderhöfen bezeugt. So werden von einem Jesuitenpater aus dem Jahr 1603 folgende anerkennenden Worte über die Huterer überliefert: „Sie nennen einander Brüder und Schwestern und sie gebrauchen keine Waffen zur Verteidigung. Sie gehen nicht vor Gerichte, ertragen alles geduldig im Heiligen Geist.“
1622 wurden im Zusammenhang mit der Gegenreformation die Brüdergemeinden aus Mähren vertrieben. In den nächsten 140 Jahren lebten sie in der Slowakei. Unter der Regentschaft von Kaiserin Maria Theresia wurden sie auch von dort vertrieben. In den nächsten hundert Jahren wurde die Geschichte der huterischen Brüder in der Ukraine weiter geschrieben. Von dort wanderten sie nach Nordamerika aus, wo heute an die 30.000 Hutterer in Kolonien leben.
Der kanadische Wissenschaftler Peter Brock schrieb eine umfangreiche Darstellung des Pazifismus in Europa. Darin kommt er zum Urteil, dass die Huterer zu jenen pazifistischen Strömungen zählen, die am konsequentesten jede Form der Kriegsbeteiligung abgelehnt hatten.
Die Erinnerung an Jakob Huter und die Huterer tut gut in einem Land, in dem es einen Mangel an gelebtem Pazifismus und Kommunitarismus gibt, obwohl Jakob Huter und die ersten Täufer aus diesem Teil der Erde stammen. Es wäre so wichtig, dass ihr Geist auch hierzulande gelebt werden könnte.
Klaus Heidegger, 25.2.2021, Gedenktag für Jakob Huter