„Beten UND Kämpfen“: Mit Beten der Gewalt begegnen

Anlass für einen differenzierten Diskurs über das Gebet

„Kämpfen oder beten für den Frieden: Soldatin trifft Pazifist in ‚Brennpunkt Österreich‘“. So lautet die Überschrift in einem Artikel im STANDARD vom 16. 5. 2024. So könnten auch einige Aussagen gedeutet werden, die in dieser Reportage meinem Impuls, für den Frieden zu beten, entgegnet werden. Die Sendung selbst bietet da keinen Raum, um sich differenzierend über das Wesen des Gebetes auszutauschen. In einem ORF-Teaser zur Sendung wird die Frage gestellt: „Und reichen Gebete, um Konflikte zu lösen?“ Eine Ukrainerin sagt in einem Gespräch, das in der Sendung vorkommt: „Gebet hilft uns nicht“ und meint zugleich „wir brauchen viel mehr Waffen“. Und ähnlich formulierte es die Milizsoldatin Lisa, dass wir Österreich nicht mit Gebet verteidigen könnten.

Gebet als weltfremde und naive Wunderwaffe?

Meist wird im herrschenden Diskurs sowohl von fundamentalistischen Kräften in den Religionen als auch von jenen – sich als aufgeklärt gebenden Personen – das Gebet und Beten wie ein Verlassen auf magisch göttliche Kräfte gesehen, die fern von menschlichem Tun zu wirken beginnen. Es ist eine Gebetsinterpretation, die darauf gründet, dass man einen Gott anbete, der kraft seiner Allmacht selbst naturgesetzliche Gegebenheiten sprengen könnte. Man schafft sich gedanklich einen Gott, den man nur fest bitten müsste, damit er die Übeltäter in die Schranken weise. Mit solchem ideologischen Hintergrund äußern sich gebetsskeptische Menschen entweder in beißendem Zynismus oder verständnisloser Ironie, wenn ich die Kraft des „Betens für den Frieden“ ins Gespräch bringe. In einem mangelnden Verständnis, was in einem aufgeklärten Verständnis Gebet bedeutet und bewirkt, heißt es dann plakativ und plump: „Beten oder kämpfen!“ Mit solcher Dichotomisierung, die letztlich auf einem mangelnden Verständnis von der Natur des Gebetes aufbaut, fühlt man sich dann moralisch leicht auf der Seite der Kämpfenden besser, wenn es gilt, gegen Unrecht und Unterdrückung aufzustehen und Gewalt in die Schranken zu weisen.

Gebet als Kraftquelle für gewaltfreien Einsatz gegen Gewalt

Das „Beten für den Frieden“ sieht anders aus und erlebe ich so anders und weit vielschichtiger. Ich könnte auf die Lebenszeugnisse aller großen Vorbilder der Gewaltfreiheit verweisen und käme immer zum gleichen Ergebnis: Weil Abraham in seiner väterlichen Verzweiflung zu JAHWE betete, befreite ihn JAHWE von dem Wahn, eine Gewalttat an seinem eigenen Sohn zu begehen. Weil Hagar in ihrer äußersten Not zu El-Roi, zu “Gott, die sieht“ flehte, schöpfte sie wieder Mut aufzustehen. Erst aus der Begegnung von JAHWE und in der Erfahrung des brennenden Dornbusches spürte Mose die Kraft, in Verhandlungen mit dem Pharao zu treten und dann gemeinsam mit seiner Schwester Mirjam den Ausbruch aus dem Sklavenhaus zu wagen. All diese Verdichtungen führen zu Jesus, der aus der Kraft des Gebetes heraus bis zum Tod am Kreuz die von ihm proklamierte Feindesliebe durchhielt. Die ganze Welt kennt den erfolgreichen antikolonialen Kampf Gandhis. Weniger vertraut ist es, dass Gandhi immer wieder davon schrieb, im und durch das Gebet die Quelle für seinen Satyagraha-Kampf zu finden. Hunderte Zitate ließen sich hier anführen. So schrieb Gandhi:  “But God does not come down in person to relieve suffering. He works through human agency. Therefore, prayer to God to enable one to relieve the suffering of others must mean a longing and a readiness on one’s part to labour for it.” Dass Gebet kein billig-passives Die-Hände-in-den-Schoß-Legen und kein faules Abwarten ist, zeigt uns Martin Luther King und die Bürgerrechtsbewegung. Wer so wie MLK betete, hatte Kraft, sich an Sit-ins zu beteiligen, hatte Mut zum Busboykott oder beteiligte sich an den großen Demonstrationen: „Eternal God, out of whose mind this great cosmic universe, we bless you. Help us to seek that which is high, noble and good. Help us in the moment of difficult decision. Help us to work with renewed vigor for a warless world, a better distribution of wealth, and a brother/sisterhood that transcends race or color.” Ich könnte nun auf all die Glaubenszeuginnen und Glaubenszeugen in der Schreckensherrschaft des Zweiten Weltkrieges verweisen, die betend im Widerstand gegen den Nationalsozialismus waren, die wie Franz Jägerstätter aus dem Gebet heraus den Fahneneid verweigerten oder wie Sophie Scholl dem übermächtigen Naziregime trotzten. In ihrer so einfachen und klaren Sprache schrieb sie immer wieder über die Kraft, die sie aus dem Gebet erhielt: „Ich habe mir vorgenommen, jeden Tag in der Kirche zu beten, damit Gott mich nicht verlasse. Ich kenne Gott ja noch gar nicht und begehe sicher die größten Fehler in meiner Vorstellung von ihm, aber er wird mir das verzeihen, wenn ich ihn bitte. Wenn ich ihn von ganzer Seele lieben kann, dann werde ich meinen schiefen Blick verlieren. Wenn ich die Menschen um mich herum sehe, und auch mich selbst, dann bekomme ich Ehrfurcht vor dem Menschen, weil Gott seinetwegen herabgestiegen ist.“ Legendär wurden die Friedensgebete in den 80er Jahren in den Städten der DDR. Vom Gebet in den Kirchen von Leipzig oder Dresden gingen die Montagsdemonstrationen aus. Am Ende stand der Fall der Berliner Mauer. Dicke Bücher könnte ich jedenfalls füllen mit all den Beispielen, wie Gebet die Welt verändern kann, wie es Kraft gibt, der Gewalt gewaltfrei zu begegnen. Wer behauptet, Beten helfe nur den Unterdrückern, wer Beten als Flucht vor der Wirklichkeit bezeichnet, wer Beten und Kämpfen als widersprüchliche Haltungen definiert, hat oder will nicht verstehen, was Gebet wirklich ist.

An all diesen Erfahrungen kann ich auch in meiner eigenen Friedensarbeit anknüpfen. Als wir in den 80er-Jahren in den Zeiten der NATO-Nachrüstung mehrmals ein Hungerfasten durchführten, verbanden wir dies mit dem Gebet. Viele Jahre bildeten wir wöchentlich in der Innsbrucker Altstadt vor dem Goldenen Dachl einen Schweigekreis gegen Krieg und Militarismus. Es war ein schweigendes Gebet im öffentlichen Raum mit klarer politischer Botschaft. Immer wieder konnte ich in meiner Zeit in Wien – vor allem in der Kirche des Helvetischen Bekenntnisses in der Wiener Innenstadt – Friedensgebete organisieren: gegen die beiden Kriege am Golf, gegen die kriegerischen Auseinandersetzungen. Es waren Gebete, um angesichts der Kriegswirklichkeiten nicht zu verzagen, um selbst aktiv zu werden. So konnte ich beispielsweise mit einer kroatisch-serbischen Friedensgruppe in einem Luftschutzbunker beten, während draußen Luftalarm war.

Das Friedensgebet im Geiste des Heiligen Franz von Assisi drückt aus, worin der Sinn des Friedensgebetes besteht. Indem ich mich auf das Gebet einlasse, werde ich selbst zum „Werkzeug“ eines absolut gewaltfreien Engagements:

„Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens,
dass ich liebe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt;
dass ich verbinde, wo Streit ist;
dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist;
dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht;
dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;
dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert;
dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt. (…)“

Klaus Heidegger, 16.5.2024

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