Grenzenüberwindende Ministrantinnen oder: gelebte Interreligiosität beim Schulschlussgottesdienst
Freitag, 10. Juli 2015. Schulschlussgottesdienst in der Karlskirche zu Volders. Hier und zu dieser Stunde schreibt das PORG Volders Kirchen- und Religionsgeschichte. Bejna ist kurdische Alevitin, Nilüfer ist sunnitische Muslima, aber zunächst vor allem definieren sich beide Schülerinnen nicht von einer formellen Glaubenszugehörigkeit her, sondern beide sind Menschen mit der Freude am Leben, den Wünschen und Sehnsüchten, wie sie von allen Schülern und Schülerinnen geteilt werden.
Wenn Gott Erfahrung von Wahrheit, Liebe und Zärtlichkeit ist, wenn Allah Barmherzigkeit und Verzeihen ist, dann haben die beiden ministrierenden Debütantinnen diese tragenden religiösen Grunderfahrungen am PORG erleben können wie alle anderen Schüler und Schülerinnen auch, die bei der Feier in Karlskirche dabei sind. Bei der Schulschlusseucharistie sollte es wesentlich darum gehen, abschließend für das Schuljahr 2014/15 gemeinschaftliche Grunderfahrungen spürbar werden zu lassen, den Dank für die Nähe Gottes – stets vermittelt durch die Nähe von Menschen – auszudrücken. Zugleich ist es eine Schulgemeinschaft der bewusst gelebten Interreligiosität, gerade weil wir uns am PORG als katholische Privatschule und Ordensschule verstehen.
In jenem kurdischen Gebiet, wo Bejna ihre Wurzeln hat, bekämpfen sunnitische Extremisten Aleviten und werden Christen vom Islamischen Staat grausam verfolgt. Hier am PORG sind Bejna und Lili Freundinnen, hier können wir leben, dass nicht Mauern, sondern Brücken zwischen den Religionsgemeinschaften gebaut werden. Während allerorts auf dieser Welt neue Mauern und Stacheldrahtverhaue aufgebaut werden, wird von Jugendlichen der Mauerfall gelebt.
Bejna und Lili wollten ministrieren. Es war nicht die Idee ihres Religionslehrers. Freilich sind beide nun auch ein Jahr im katholischen Religionsunterricht gewesen, haben gelernt, was Heilige Messe ist und was dabei geschieht. Sie hatten sich sogar besonders oft in den Unterrichtsstunden eingebracht. Unvergesslich bleibt das Referat, in dem Bejna von der Verfolgung der Jesiden durch den Islamischen Staat erzählte. Wenn Bejna und Lili kurz nach dem Gottesdienst die Zeugnisse erhalten werden, so wird aber in der Spalte Religion – und sie ist ganz oben im Zeugnis – keine Note stehen. Das verhindern Gesetze und ihre fundamentalistische Interpretation. Kein Schüler einer anderen Religionsgemeinschaft soll einen katholischen Religionsunterricht besuchen, so die Gesetzeslage. Es gibt zum Glück kein Gesetz, das für Schülerinnen ein Ministrierverbot vorsieht.
Bejna und Lili sind nicht einfach unvorbereitet in die Sakristei gestolpert, haben sich auch keinen Spaß daraus gemacht, sind nicht von ihrem Lehrer instrumentalisiert worden. Die Frage kam von ihnen: „Können wir auch ministrieren?“ Für mich war hier Gott im Spiel, so wie bei Schiphra und Pua am Beginn der Exodus-Befreiungsgeschichte.
Ich denke nicht, dass es irgendwo auf der Welt schon jemals eine katholische Messfeier gegeben hat, wo ganz bewusst eine Alevitin und eine Muslima gemeinsam mit zwei Katholiken bei einer Eucharistiefeier als Ministrantinnen assistierten. Hier werden Schranken und Mauern aufgehoben, hier wird gezeigt: Die Religionen sind sich in ihrer tiefsten Mitte ähnlich, Menschen verschiedener Religionen können einander dienen, wir können miteinander und nicht nur – wie es eine merkwürdige Diktion religiöser Obrigkeiten von oben herab vorgibt – nebeneinander. So wie ich in einer Moschee beten oder in einem Cemhaus feiern kann, wenn ich dazu eingeladen werde, so können auch Muslime und Musliminnen in unseren Kirchen zeigen: Isa ibn Maryam, Jesus, Sohn der Mirjam, ist auch für den islamischen und alevitischen Glauben bedeutsam. Er kann als Prophet für alle Religionen gesehen werden. Die aktive Teilnahme von Gläubigen aus der islamischen Tradition ist nicht Vereinnahmung, sondern gelebte Inklusion. In der Begegnung miteinander wird die eigene Identität gestärkt. Das, was die erwachsenen Fundamentalisten jeder Religion zutiefst verabscheuen, leben uns die beiden Mädchen mit Freude vor. Von Ali stammt der Satz: „Das wichtigste Buch zu lesen ist der Mensch.“ Es sind nicht die Dogmen, die bei einer fundamentalistischen Auslegung von christlicher wie von islamischer Seite unser Leben bestimmen sollen. Es ist das gelebte Leben, wo Gott spürbar und Religion begreifbar wird, an den Orten und in der Zeit, in der wir sind.
Für die Schüler und Schülerinnen ist die Tatsache, dass Bejna und Lili ministrieren, so normal, dass es gar nicht auffällt. Es spricht für ihre Wahrnehmung, dass das, was in der Welt der Grenzzieher der Erwachsenengeneration als unerhörte Grenzüberschreitung aufgefasst werden könnte, zu ihrem Leben dazugehört, weil es auch Teil des Schulalltags in den Klassenzimmern geworden ist.
In der Karlskirche beim Westeingang befindet sich der „Stein des Gehorsam“. Es ist ein mächtiger Felsblock, der mit einer Entstehungslegende dieser Kirche verknüpft ist. Aus dem Blickwinkel der Fundamentalisten wird die Tatsache ministrierender Andersgläubiger (laut externer formaler Zuschreibung) in einem katholischen Gotteshaus bei einer katholischen Eucharistiefeier ein Akt des Ungehorsams sein. Aus dem Blickwinkel des Glaubens und des Lebens ist es ein Gehorsam gegenüber Gott, der ein Gott des Lebens ist, in dem Grenzen überwunden und Brücken gebaut werden. Dafür stehen für mich die Ministrantinnen des Jahres 2015.
Lieber Klaus,
Ich bin sehr beeindruckt von Deiner Initiative und dem Mut Deiner Schülerinnen, diesen Schritt gegangen zu sein. Das ist für mich gelebter Glaube und nicht nach den Buchstaben zelebrierte Religion.
Danke für diesen Bericht. Ich nehme sonst nicht aktiv Teil in Facebook, diesmal habe ich eine Ausnahme gemacht.
Liebe Grüße
Gerhard
Danke Klaus, dass du uns an dieser Freude teilhaben lässt. Ein berührendes Zeugnis für das Eins-Sein in dem einen Gott, das uns alle verbindet. Dieser Geist möge sich in alle Herzen ergießen!
Gottes Segen den beiden Mädchen und eurer Schulgemeinschaft!
Willi, Rum