Barmherzigkeit statt Hartherzigkeit und rechte Gläubigkeit statt fundamentalistischer Rechtgläubigkeit am Beispiel von Ehescheidung

zerbrochenMeine Hoffnungen in die Weltbischofssynode sind groß. Mein Hoffnung, dass dieses Treffen der Bischöfe in Rom sich am heutigen Sonntagsevangelium (Mk 10,2-16) orientiert. Eines gleich vorweg: Nein, die katholische Kirche muss und darf nichts von ihrer Glaubenssubstanz aufgeben, sehr wohl aber von einer fundamentalistisch gesinnten Interpretation biblischer Texte, die von der ursprünglichen und tieferliegenden Wahrheit des Evangeliums – der frohen Botschaft eines allbarmherzigen Abba-Gottes – abweicht. Meine Hoffnung gründet auch in der Art und Weise, wie Papst Franziskus sein Pontifikat gestaltet. Er baut als Pontifex gerade zu jenen Brücken, deren Lebenswege manchmal nicht so geradlinig verlaufen. Seine Grundmelodie ist der „Dialog des Lebens“ (Evangelii Gaudium). Das hat nichts mit Beliebigkeit zu tun, sondern mit der Grundentscheidung, die Zärtlichkeit und Barmherzigkeit unseres Gottes inmitten der Lebenswirklichkeiten zu entdecken und durchzuhalten. Wenn Paragraphen des Kirchenrechtes mit dem „Wort Gottes“ identifiziert werden, dann widerspricht es wohl dem Grundgebot, sich kein fixes Bild von Gott zu machen. Vom wirklichen Leben auszugehen könnte bedeuten, gerade in den Gebrochenheiten und Unzulänglichkeiten unseres Lebens Gottes Gegenwart – vermittelt durch menschliche und gemeinschaftliche Nähe – erlebbar werden zu lassen. Gott stellt sich nie gegen unser Leben, sondern hilft uns, dass wir – wenn wir wollen – uns an ihr ausrichten können. Jedenfalls ist es ein Gott, der den Regenbogen zu seinem Zeichen erkoren hat: Ein bunter Regenbogengott, fern von allen fundamentalistischen Kleinkariertheiten, ein Gott, der leben lässt, eine Geistkraft, die immer wieder neue Anfänge schenkt, nicht verurteilt, sondern aufrichtet.
Die selbsternannten Rechtgläubigen gründen ihre Ideologie auf eine fundamentalistische, meist buchstäbliche Umsetzung von willkürlich ausgewählten Sätzen von heiligen Schriften, die auch die Basis wurden für religiöse Doktrinen, die wiederum nicht interpretiert, sondern exekutiert werden sollen. Historisch-kritische Exegese und Bezug auf vernunftgemäße, human- oder sozialwissenschaftliche Erkenntnisse werden ignoriert.
Das Scheidungsverbot war von Jesus und den ersten christlichen Gemeinden gedacht, um Frauen vor der Willkür der Männer in Schutz zu nehmen. Kein Mann sollte mehr seine Frau einfach in die sprichwörtliche Wüste schicken können, in die Rechtlosigkeit, in die Sexsklaverei – nur weil er sich in eine andere verschaute oder mit dem Vorwand, seine rechtmäßige Ehefrau habe ihm den Hirsebrei nicht gut genug gekocht. Barmherzigkeit war das Motiv für den Satz „was Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen“. Was geschieht mit den vielen Männern und Frauen, deren Ehegemeinschaften heute oft unverschuldet zerbrechen, mit den Frauen, die sich vielleicht zurecht von ihren Männern trennten, weil sie sich als eheunfähig erwiesen, mit den Männern, die sich von ihren Frauen trennen, weil die Erwartungen an eine Beziehung nicht erfüllt werden konnten? Gerade im Kontext des Evangeliums lenkt Jesus den Blick auf die Hartherzigkeit der Gesetzeshüter und stellt sie der Barmherzigkeit Gottes gegenüber. Die ursprüngliche Intention des biblischen Scheidungsverbotes wird von den traditionalistischen Rechtgläubigen ins Gegenteil verkehrt, wenn sie Geschieden-Wiederverheiratete vom Empfang der Sakramente, der heiligen Kommunion oder der Buße, ausschließen wollen oder den neuen Beziehungen den Segen der Kirche verweigern. Die evangelischen Kirchen zeigen hier seit langem auf, dass auf der Basis des Evangeliums auch eine andere kirchliche Praxis möglich ist, die Trennung und Neubeginn zulassen, ohne aber die Bedeutsamkeit von ehelicher Treue gering zu schätzen.
Klaus Heidegger, 4. Oktober 2015

Kommentare

  1. Klaus, dein Kommentar spricht mir aus der Seele. Die Einordnung von Aussagen in einen historischen Kontext, der Blick auf die tieferliegende und dahinterstehende Botschaft eines Gebotes und vor allem auch die Klarstellung, dass die Eröffnung eines neuen Weges nach einer Trennung, in dem achtsam und verantwortungsvoll Verwundungen aufgedeckt werden können nicht im Widerspruch zur Bedeutung von Treue und der Zusage, einender beizustehen in guten und bösen Tagen, steht.
    Ja, auch ich erwarte mir viel von der Synode – und auch losgelöst von den Entscheidungen und Diskussionen in Rom – einen Anstoß für unsere Diözese, sich dieser Spannung WIRKLICH zu widmen. Mir kommt auch vor, dass seit der Ankündigung und der letztjährigen intensiven Erhebung diese Themen präsenter sind.

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