Sankt Martin, der vom Volk gewählte pazifistische Bischof und die Friedensdividende für die Armen

martinjpgIn diesem Jahr, 2015, wird die 1700ste Wiederkehr des Geburtstages des hl. Martin gefeiert. Er zählt zu den populärsten europäischen Heiligen. Martin von Tours steht für eine Kirche, die so ganz auch zum Stil von Papst Franziskus passt. Von seiner Vita ist zunächst die anfängliche Weigerung bekannt, dem Ruf auf das Bischofsamt zu folgen. Ruhm, Macht und Karriere sind nicht sein Lebensziel und nicht der Grund, warum er sich für Jesus entschied. Daher versteckte er sich laut Legende in einem Gänsestall. Dabei hatte er nicht damit gerechnet, dass die Gänse ihn verraten würden. Heute werden Bischöfe nicht mehr wie zu Martins Zeiten vom Volk und auf Wunsch des Volkes bestellt. Es gibt Bischöfe im Stile von Martin, der jeglichen Prunk vermied und in seinem Lebensstil auf Insignien der Macht verzichtete. Der heutige Bischof von Rom setzt Zeichen in diese Richtung. Ein Bischof passt auf keinen Thron, darf sich nicht beweihräuchern lassen und vor einem Bischof soll sich kein Mensch niederwerfen: Das war die Botschaft des Martin zu einer Zeit, als sich die Kirche mehr und mehr dem römischen Herrschaftsgehabe anzupassen begann. Da passt Martin von Tours so ganz zu Martin Luther, dem der päpstliche und bischöfliche Pomp seiner Zeit ein Gräuel war.
Der Heilige aus dem 4. Jahrhundert entspricht auch dem Pazifismus eines Martin Luther King. Landauf landab wird Martin als römischer Soldat hoch zu Ross dargestellt. Martinus ist von seinem Namen her jemand, der dem Kriegsgott Mars „geweiht“ ist. Dieses Bild passt besser zu einer militärischen Kultur als ein Christ, der sich aufgrund seines Glaubens entscheidet, keine Waffe mehr zu tragen. Es stimmt zwar, dass Martin zunächst als Berufssoldat gedient hatte. Mehr und mehr aber dürfte Martin dies nicht mehr als vereinbar mit seinem Christsein empfunden haben, obwohl nach der Konstantinischen Wende Soldatendienst und Christsein nicht mehr als Gegensatz gesehen wurden. Sulpicius Severus berichtet in seiner Vita Sancti Martini, verfasst um 395, von dessen Absage an den Kaiser. Martin soll ihm gesagt haben: „Bis heute habe ich dir gedient, Herr, jetzt will ich meinem Gott dienen und den Schwachen. Ich will nicht mehr länger kämpfen und töten. Hiermit gebe ich dir mein Schwert zurück. Wenn du meinst, ich sei ein Feigling, so will ich morgen ohne Waffen auf den Feind zugehen.“ Wenn später aus dem Martin der Patron der Soldaten und Waffenschmiede gemacht wurde, so stimmt dies mit dem Leben des Bischofs von Tours in keinster Weise überein. Martin realisiert in seinem Leben den Gewaltverzicht und die Feindesliebe Jesu.
Ein dritter Wesenszug des beliebten Martin ist untrennbar mit den zuvor genannten verknüpft. Er entscheidet sich für Jesus Christus und den gewaltfreien Weg aufgrund seiner Begegnung mit den Armen. Bei ihm findet eine Friedensdividende statt. Sein Schwert dient nicht mehr zum Kämpfen, sondern zum Teilen von Besitz. Seine Rüstung – der Mantel – wird aufgelöst, um die Armen damit zu kleiden. Er spricht kein Bettelverbot aus, sondern steigt vom Ross, um auf Augenhöhe mit dem Bettler zu sein. Er richtet keinen Zaun zwischen den Notbedürftigen und denen, die helfen könnten. Entrüstet euch für die Armen dieser Welt und steigt von euren Thronen, so lautet die Botschaft des Heiligen. Teilen ist seine Grundidee. In den Nischen einer Sharing Economy oder im Engagement der Zivilgesellschaft für die Flüchtlinge, findet heute Nachfolge im Geist des Martin statt. Teilen kann auch bedeuten, selbst weniger in Anspruch zu nehmen und auf etwas zu verzichten. Über all dies hat Papst Franziskus so beeindruckend in seiner Enzyklika Laudato Si geschrieben. Dort heißt es, dass sich der Mensch selbst Grenzen setzen muss gegen die Ansprüche des Konsumismus, was ihn oder sie zugleich befreit, um wie der hl. Martin auf die anderen zuzugehen. Papst Franziskus hätte sich auch Papst Martin nennen können.
Klaus Heidegger, 11. November 2015