Anything goes im heimischen Polittalk: Die postmoderne Flüchtlingsrhetorik zu Beginn des Jahres 2016

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Israelischer Grenzzaun, der für HC Strache auch für Österreich vorbildlich sein könnte. KURIER, 3.1.2016
Bild aus:  © Wikipedia/Idobi.

 

 

 

Heinz Fischer sprach in seiner letzten Neujahrsrede als Bundespräsident deutliche Worte. Er erinnerte an das „Wir schaffen das“ der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und meinte dann, man könne nicht „den Hahn zudrehen und die Grenzen dicht machen … denn durch diesen Hahn, den man zudrehen soll, fließt kein Wasser und auch kein Öl, sondern ein Strom von Menschen.“ Offensichtlich haben am Tag danach die schwarzen Landeshauptleute diesen Appell nicht hören wollen. Anders als Heinz Fischer forderten sie, bei Flüchtlingen die Bremse anzuziehen. Der Salzburger Landeshauptmann warnte sogar mit drastischen Worten davor, dass wir bei einer weiteren unkontrollierten Aufnahme dann „sehenden Auges in den Abgrund“ gehen würden. Salzburg könne jedenfalls keine Flüchtlinge mehr aufnehmen. Das Recht auf Asyl könne im Fall einer Völkerwanderung auch eingeschränkt werden und überhaupt seien ein „nicht unerheblicher Teil“ der Flüchtlinge, die zu uns kommen, keine Kriegs- sondern Wirtschaftsflüchtlinge. Den Flüchtlingen müsse bei uns das Leben schwer gemacht werden, etwa durch Kürzung von Sozialleistungen, „so dass es sich nicht mehr auszahlt, zu uns zu kommen.“ Zudem sollten die Außengrenzen stärker bewacht werden. Gemeint waren wohl militärische Flüchtlingsabwehr und Grenzzaun. Diese Worte erinnern an eine andere Partei, und wenn zeitgleich heute im KURIER eine Schlagzeile lautet, „Schwarz-blau im Gespräch“, dann mag dies wohl mit den Annäherungen und Übereinstimmungen in der Flüchtlingsdiskussion zu tun haben.
Johannes Voggenhuber begegnet auf seiner Facebook-Seite mit konkreten Zahlen der Angstmache von Wilfried Haslauer, wenn dieser davon spricht, dass die Zahl der Flüchtlinge längst schon das Limit überschritte haben. Voggenhuber dazu: Die Flüchtlingsquote „liegt danach in einer der reichsten Regionen der Welt bei ganzen 1% der Bevölkerung (bei einer touristischen Infrastruktur allein im Land Salzburg für 15 Millionen Übernachtungen pro Jahr). Gleichzeitig beherbergen 1/3 der Salzburger Gemeinden nicht einen einzigen Flüchtling. Gleichzeitig liegt Salzburg mit seiner schwarz-grünen Regierung in der Erfüllung der Aufnahmequoten im Schlussfeld aller Bundesländer. Gleichzeitig müssen immer noch Flüchtlinge mitten im Winter in Zelten unterkriechen. Gleichzeitig bekämpft er die Nutzung der Kaserne Tamsweg als Erstaufnahmezentrum und sperrt ein privates Asylheim wegen des Widerstandes eines ÖVP-Bürgermeisters.“
Im KURIER konnte heute (3.1.2015) tatsächlich wieder HC Strache seine unhaltbaren Behauptungen verbreiten, die wie Gift in der Flüchtlingsdiskussion sind. Er spricht davon, dass lediglich 20 Prozent echte Flüchtlinge seien und von denen wiederum hätte ein beträchtlicher Teil gefälschte Pässe. Er warnte wieder vor der Islamisierung und einer „neuen Landnahme“ durch die „Völkerwanderung“. Als Lösung nannte er Zäune an den Außengrenzen und als Modell verwies er auf die Zäune des Staates Israel – solche aus Stacheldraht und mit fester Betonverankerung, was auch billiger käme als der gegenwärtige Zaun.
Währenddessen spielen sich in der Ägäis weiterhin die tödlichen Dramen ab: Verzweifelte Menschen auf Schlauchbooten, bereit den Schleppern Unsummen zu geben und ihr Leben zu riskieren, um in Europa ein Leben frei von Verfolgung, Krieg und Terror führen zu können. 4000 sollen es pro Tag sein, die zu Beginn des Jahres 2016 diese Überfahrt auf stürmisch-kalter See nehmen. Die Türkei steckt einstweilen Milliarden ein, die sie von der EU bekommt, um die Ausreise von Flüchtlingen zu erschweren – und damit deren Leben nochmals mehr zu gefährden. Zugleich befindet sich die Türkei im Krieg mit den Kurden. Die Ölfördermengen werden erhöht und so scheffeln sich die ölexportierenden Länder selbst bei sinkenden Ölpreisen Milliarden in die Kriegskassen. Die Massen hier schmieren mit ihrem eigenen Ölkonsum für die Tanks ihrer Autos oder das Kerosin bei den Flugreisen die Kriegsindustrien und Waffendeals. Die versprochene Erlösung von der Erbsünde durch Taufe verkommt zum dogmatischen Gerede ohne materielle Substanz.
In den letzten Wochen konnte ich aber auch wieder bekannte Menschen treffen und von ihnen hören, wie sie sich um Flüchtlinge bei uns kümmern, wie viel möglich ist, wenn Herzen und Häuser geöffnet werden. Hier wird so deutlich, was ein Satz aus dem heutigen Sonntagsevangelium konkret bedeuten könnte: „…und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gezeltet.“
Klaus Heidegger, Sonntag 3.1.2016

Kommentare

  1. Den vernunftbegabten Politikerinnen und Politikern war offensichtlich immer bewusst wie gefährlich die Nennung einer Zahl als Obergrenze bei asylsuchenden Menschen ist, da damit eine Lizitation nach unten beginnt. Für Strache & Co. endet diese Lizitation erst bei Null. Personen wie z.B. Herr Dr. Hauslauer – die bei glauben durch ihren Namen wäre ihnen Politik in die Wiege gelegt, was sichtbar nicht der Fall ist – scheinen diese Dynamik aber nicht begriffen zu haben. Dr. Häupl beweist: Man muss diesen politischen Hausverstand auch nicht verlieren, wenn man die Neigung zu einigen Spritzern Weißwein hat, andere Herrn auf dem Landesfürstenthron glauben immer wieder den Bürgerinnen und Bürgern das Denken abnehmen zu müssen.

    ÖVP – Landesfürsten sind gut darin ihren Bundesparteiobmann zu unterlaufen, dazu kommt bei allen Landeshauptleuten das Einmahnen von Forderungen an die Bundesregierung oder einzelne Ministerinnen oder Minister, dazu braucht es aber nicht viel, wenn man von der Funktionärsochsentour über die Parteisekretariate einmal absieht. Österreich ist zu klein für so viele Funktionäre, die jeden Tag darüber nachdenken können wie sich persönlich innerhalb ihrer Partei profilieren können, dieses Manko der Innenpolitik wird einem als Bürger in der Situation einer humanitären Krise mit weltweitem Ausmaß noch deutlich bewusst als im ganz trivialen politischen Alltag.

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