Wer sind die Opfer, wer die Täter? Obergrenze für Nächstenliebe – Teil 2

Im ersten Teil bin ich vor allem auf die Äußerung von Bundespräsidentschaftskandidat Andreas Khol eingegangen, dass es ihm um „Nächstenliebe“ gehe, wenn er für eine Begrenzung des Asylrechtes eintritt – siehe Blog http://www.klaus-heidegger.at/?p=2121. Da die Diskussion um die Frage der Obergrenze weiterhin viele Menschen in meinem Umkreis bewegt, sie auch Thema im schulischen Unterricht ist, möchte ich meinen Standpunkt im Folgenden weiter entfalten und begründen.
Rechtswissenschaftliche Argumente gegen Obergrenze
Neben der christlichen Argumentation müsste der Diskurs auch auf der Ebene der Rechtswissenschaften geführt werden. Es mutet seltsam an, dass ein habilitierter Verfassungsjurist und der Kandidat für das höchste Amt im Staat – auch ein Wächter der Verfassung – letztlich zum Bruch grundlegender Rechte ermuntert. Der österreichische Caritaspräsident Michael Landau hat darauf hingewiesen, dass eine Höchstgrenze gegen Asylanträge gegen das Menschenrecht auf Asyl sprechen würde. (Tiroler Tageszeitung, 16.1.2016) Daraus folge, so Landau: Wenn die Genfer Konvention nicht eingehalten würde, müsste dies höchstgerichtlich geklagt werden.
Ökonomische Argumente gegen Obergrenze
Humanitäre und entwicklungspolitische Organisationen weisen vor allem daraufhin, dass das Abschottungsbegehren in den reichen Staaten die Tatsache ausblende, dass der Wohlstand in diesen Ländern wesentlich mit Ausbeutung zu tun hat. Wir benutzen Produkte und Rohstoffe aus Ländern der Dritten Welt, für die wir keine fairen Preise zahlen. Unser Lebensstil – beispielsweise der hohe Fleischkonsum oder der enorme Verbrauch an fossilen Rohstoffen – führt zu Umweltzerstörungen und dramatischen Klimaveränderungen, von denen vor allem Länder der Dritten Welt betroffen sind. Der „Raubtierkapitalismus“ (©Jean Ziegler) zerstört die Wirtschaft in jenen Ländern, aus denen heute Flüchtlinge zu uns kommen, die dann als „Wirtschaftsflüchtlinge“ diffamiert werden und keine Aufnahmemöglichkeit in den reichen Staaten des Nordens haben.
Ökonomische Umkehr beginnt mit eigenem Lebensstil
In den Hightechprodukten, die wir benützen – Smartphones, Laptops, Autos –, steckt der Krieg, der Menschen massenhaft zu Flüchtlingen macht. Der Krieg im Kongo hat mit Koltan, Diamanten, Kupfer, Kobalt und Gold zu tun. Der Krieg in der Zentralafrikanischen Republik mit der Frage, wer die Ölquellen unter Kontrolle hat. Papst Franziskus spricht in der Ökoenzyklika daher zu Recht von der Notwendigkeit einer Umkehr des Lebensstils in den reichen Ländern des Nordens. Das bedeutet ganz konkret: Weniger Verbrauch an Ressourcen, weniger Konsum von Hightech-produkten. Konkret: Es muss nicht immer das neueste Handy sein oder der alte Laptop ist gut genug, auch wenn er – wie jener, auf dem ich schreibe – schon mehr als ein Jahrzehnt alt ist.
Beginnend mit Papst Franziskus haben Vertreter und Organisationen der katholischen Kirche immer wieder auf diese Zusammenhänge hingewiesen und fordern daher stets eine doppelte Strategie: Einerseits die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen – ja, auch der Verelendungs- und Klimaflüchtlinge – und andererseits zugleich eine Änderung der verheerenden Terms of Trade zwischen Nord und Süd. So schrieb Papst Franziskus in seiner Botschaft zum Welttag der Migranten und Flüchtlinge im Herbst 2014: „Auf die Globalisierung des Phänomens der Migration muss mit der Globalisierung der Nächstenliebe und der Zusammenarbeit geantwortet werden, um die Lage der Migranten menschlicher zu gestalten. Zugleich müssen die Bemühungen verstärkt werden, Bedingungen zu schaffen, die geeignet sind, eine fortschreitende Verminderung der Gründe zu gewährleisten, welche ganze Völker dazu drängen, aufgrund von Kriegen und Hungersnöten, die sich häufig gegenseitig bedingen, ihr Geburtsland zu verlassen. (…) Der Mut des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe ermöglicht es, die Abstände zu vermindern, die uns von den menschlichen Tragödien trennen.“ Solches Denken hat Tradition in der katholischen Soziallehre, denn schon in der Enzyklika Octogesima adveniens aus dem Jahr 1971 schrieb Papst Paul VI.: „Die am meisten Bevorzugten müssen auf einige ihrer Rechte verzichten, um mit größerer Freigebigkeit ihre Güter in den Dienst der anderen zu stellen.“
Humanitäre Argumente gegen Obergrenze
Wer eine „Obergrenze“ fordert, wird auch reale Grenzen fordern, die Flüchtlinge von einer legalen Einreise in sichere Länder hindern sollen. Solche Grenzen führen zu den Katastrophen, die uns täglich herausfordern. „Wieder Tote im Mittelmeer“, heißt es heute (17.1.2016). Mehr als 3700 waren es im abgelaufenen Jahr 2015, die im Mittelmeer auf der Flucht ertrunken sind. HC Strache sieht als Vorbild das Ungarn von Viktor Orbàn und träumt von einem Stacheldraht, wie ihn der Staat Israel gegenüber den Palästinensern errichtet hat. Die ÖVP nennt zwar keine Zahlen für die Obergrenze, suggeriert aber mit dieser Rhetorik, dass Österreich bei der Aufnahme von Flüchtlingen restriktiv sein sollte. Für die FPÖ nannte zuletzt der oberösterreichische Parteivorsitzende als Zahl für die Obergrenze 5000. (Neujahrstreffen der FPÖ in Wels, 15.1.2016)
Wer von den Menschenrechten und dem Recht auf Asyl ausgeht, wer ein Mitgefühl für das Elend der Flüchtlinge hat, wird sich mit solchen Äußerungen schwer tun. Es scheint, dass sich die ÖVP und mit ihr Andreas Khol der Nichtwillkommenskultur der FPÖ angenähert hat.
Es gäbe auch die andere Perspektive, die von vielen Menschen und zivilen Organisationen genannt wird. Sie lassen sich die optimistische Sichtweise von „wir schaffen das“ nicht nehmen. Zweifelsohne bedeutet die Aufnahme von Tausenden eine große Herausforderung. Sie fordert zum Teilen heraus. Menschen müssen zusammenrücken, um Platz für andere zu machen, die in Not sind, doch kann die Nähe von anderen Menschen auch Wärme bedeuten.

Opfer-Täter-Umkehr
All jene, die heute nach einer Obergrenze rufen, die sich durch die Flüchtlinge in ihren Komfortzonen gestört fühlen und ins Selbstmitleid kippen, machen nun jene Menschen zu Tätern, die eigentlich Opfer von Krieg und Ausbeutung geworden sind. Flüchtlinge werden als Kriminelle gewertet, weil sie als „Illegale“ zu uns kommen, ohne ihnen jedoch einen legalen Weg der Einreise zu geben. Flüchtlinge würden unser Sozialsystem über Gebühr beanspruchen, ohne auf jene zu verweisen, die die Profiteure des Ausbeutungssystems sind. Flüchtlinge werden pauschal unter Generalverdacht gestellt, die nicht in unsere „Leitkultur“ passen würden – und mit Blick auf die Silvesternacht in Köln müssten sich Frauen vor ihnen fürchten. Jene, die durch Bomben aus den Produktionsstätten Europas und Amerikas bedroht wurden, werden zur Bedrohung unserer Lebensweise stilisiert.
Populistischer Stimmenfang
Aber augenscheinlich geht es dem ÖVP-Präsidentschaftskandidaten wie auch der ÖVP weder wirklich um eine christliche noch um eine juridische oder ökonomische Begründung ihrer Positionen. Diese können als vordergründiger Stimmenfang gewertet werden.
Ein Bundespräsidenschaftskandidat, der für die Europäische Union steht, müsste entschieden dafür eintreten, dass dieses Europa in gemeinsamer Anstrengung zu einem Kontinent wird, in dem Flüchtlinge aufgenommen und humanitär behandelt werden. Eine Politik des Einzäunens zerstört das Friedensprojekt EU, von dem gerade ÖVP-Politiker in der Vergangenheit immer gerne geredet haben.

Kommentare

  1. Ich kann Ihren Ausführungen viel abgewinnen. Die Gesichtspunkte die Sie hinsichtlich unseres Lebensstiles (Rohstoff- und Energieverbrauch von Europa und den USA) anführen sind richtig, diese in ihren Auswirkungen zu erfassen, erfordert jedoch einerseits einen hohen Informationsstand und den Willen zu einer differenzierten Wahrnehmung unserer Lebenswirklichkeit, d.h. die Lebenswirklichkeit auf einem Planeten der mit enorm beschleunigter Dynamik globalisiert wurde.

    Hierorts und europaweit herrscht aktuell das „Islamargument“ vor, das öffentlich stark präsent ist und man muss nicht an „Islamophobie leiden“ um nicht doch einiges an „Angst abzukriegen“. Der Islam tritt nun einmal aktuell nicht in seine besten Erscheinungsformen auf, weder in der weltweiten medialen Wahrnehmung, noch hierorts mit den offensiven Kräften die sich gegen eine weltanschauliche eher „lahme“ laizistische Gesellschaft richten. Natürlich sehe ich auch als Christ in unserer Gesellschaft viele Erscheinungsformen, die ich für die Entwicklung des Menschen nicht für förderlich halte. (So halte ich weder Miniröcke noch dich aufgetragene Schminke für einen kulturellen Fortschritt der für die Entwicklung der Menschheit unentbehrlich wäre, allerdings ist in einer am Markt orientierten Wirtschaft „alles gut was ein Geschäft ist“.) So manche Erscheinungsform des Islam erscheint jedoch wirklich noch in einer Entwicklungsstufe zu stecken, die bei uns – jedenfalls vorwiegend – als überwunden gilt. Die Gleichwertigkeit der Geschlechter oder das Recht auf meine Religion und meine politische Einstellung, sind in Europa nun einmal Allgemeingut, wenn man von faschistischen „Restposten“ absieht. (Leider scheinen sich nicht wenige davon im aufkommenden Nationalismus zu verstecken.)

    Die Mehrzahl der Menschen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht jenes globalisierte Bewusstsein angeeignet, das Sie für Ihre Argumente empfänglich sein könnte aber in der aktuellen Situation natürlich sehr hilfreich wäre. Für die Menschen die mit ihren täglichen Sorgen – der Arbeitsmarkt wirkt dabei keineswegs als beruhigendes Moment – lässt den meisten Menschen wenig Zeit sich um „Weltverbesserungsfragen“ (das ist positiv zu verstehen) zu sorgen. Natürlich gibt es in unsere Gesellschaft nicht wenige Gelegenheit um sich abzulenken und es gibt dafür die unterschiedlichsten Gründe.

    Was ich selbst den Verantwortungsträgern in der EU massiv zum Vorwurf mache ist, dass bei dem in diesen Institutionen vorhandenen Know-how nicht politische Vorsorge getroffen wurde, hinsichtlich des Bevölkerungsdruckes der aus Afrika – Nordafrika – auf die EU zukommt. Die EU wurde mit diversen Verordnungen und Richtlinien als „übergriffig“ im Sinne von Einmischung in Problemstellungen die durch auf regionaler Ebene zu lösen sind, wahrgenommen.

    Der Wahlkampf wird wieder eine Ablenkung bringen, allerdings werden die Prothagonisten nicht in erster Linie dazu beitragen, das Weltgewissen der Menschen zu bilden.

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