GeStreifte Hunger Games in Tirol

An diesem vorletzten Jännerwochenende des Jahres 2016 finden die zivilisierten Hunger Games auf und rund um Ganslernhang und Hahnenkamm statt. Vertreter des einen Prozents der Weltbevölkerung, das über 99% des Weltvermögens verfügt – so Oxfam in einer Aussendung in ebendieser Woche des Kitzbühel-Spektakels – besetzen die Promiränge neben Politikern, die in ebendieser Woche Obergrenzen gegen Flüchtlinge beschlossen haben. Die Science-Fiction-Story der „Tribute von Panem“ könnte, was die ökonomische Situation des Fantasy-Landes „Panem“ betrifft, durchaus reale Gestalt gefunden haben. Die Hauptsponsoren der Spiele von Kitzbühel – allen voran Red Bull und Audi – leben von den Rohstoffen aus den Distrikten, besonders aber von jenem Distrikt 12, wie er in den Büchern von Suzanne Collins beschrieben wird, der verelendet – weil ausgebeutet – wird. Der Mateschitz-Konzern mit seinem Dosenimperium verursacht gigantische Zerstörungen. Red Bull aus den Dosen schmeckt nach dem verseuchten Wasser des Amazonas, in den der giftige Rotschlamm der Bauxitverarbeitung geleitet wurde. Kerosinsteuerbefreit jetten die Promis herbei. Die besonders durch Flugverkehr verursachten Klimaschädigungen sind kein Thema. Die Hirne und Herzen der Menschen sollen besetzt werden von den vier verschlungenen Kreisen auf den Rennanzügen der gegeneinander antretenden Athleten und Athletinnen. Ausgeblendet wird die Tatsache, dass gerade der Automobilverkehr – und hier wiederum die PS-aufmunitionierten Nobelautos aus deutschen Konzernen – maßgeblich für die hohen Kohlenstoffdioxidemissionen und damit für den Klimawandel verantwortlich sind. Wie passend, dass am ersten Tag bei der Siegerehrung die martialische Marseillaise intoniert werden konnte. Aber wer denkt bei diesen Klängen schon an den O-Text der französischen Nationalhymne, wo es beispielsweise treffend heißt: „… Jeder ist Soldat, um Euch zu bekämpfen, Wenn sie fallen, unsere jungen Helden, Zeugt die Erde neue, Die bereit sind, gegen Euch zu kämpfen…“ Einige dieser jungen Helden liegen aktuell frisch operiert in den Spezialkliniken. Wie treffend ist auch die Schlagzeile in der Tiroler Tageszeitung vom 23.1. „40.000 pilgern zur Streif“. Pilgern hat mit Kult und Religion zu tun. Pilgern hat mit heiligen Stätten zu tun. Die Hunger Games in Kitzbühel sind zur Ersatzreligion geworden.
In der Roman-Trilogie der „Tribute von Panem“ – der Filme sind es vier – gibt es als zentrale Erlöserfigur Katniss Everdeen. Sie verkörpert die Hoffnung. Sie ist nicht mehr bereit, in diesem Spiel mitzumachen. „Denke daran, wer den Feind ist …!“, wird sie in einer Schlüsselszene gefragt. Dann richtet sie nicht mehr ihren Pfeil gegen Menschen, sondern gegen das System. Katniss Everdeen aus dem Elends-Distrikt 12 ist inkarnierte Hoffnung, die dann dazu führt, dass sich sozial Schwache nicht mehr gegen andere Schwache ausspielen lassen, wie dies gegenwärtig in widerwärtigster Form hierzulande geschieht – Flüchtlinge sind schuld, dass es Arbeitslose gibt, Flüchtlinge werden das Sozialsystem gefährden usw. Das System Panem funktioniert nach dem kapitalistischen Grundsatz „survival oft the fittest“. Mit Blick auf die hiesigen Spiele und das Rundherum und all das, was damit vernetzt ist, muss gefragt werden. „Gibt es Hoffnung…?“ Hoffnung liegt darin, dass nicht mehr die Reichen und Satten „Opfer“ („Tribute“) verursachen und erbringen lassen. Die Erlöserfigur Katniss ist selbst bereit, sich immer wieder für andere zu „opfern“. Das können auch die kleinen Dinge im Leben sein: Statt der vordergründigen Bequemlichkeit des eigenen Autos ein öffentliches Verkehrsmittel wählen, auch wenn dies in diesem irrwitzigen System mehr kostet. Sich für Produkte mit einem kleineren ökologischen Rucksack entscheiden, auch wenn sie teurer sind. Zusammenrücken, um Platz für die Flüchtlinge zu machen, und damit die eigene Komfortzone etwas zu verkleinern. Sich beim nächsten Einkauf überlegen: Brauche ich das wirklich oder ist eine Spende für eine Hilfsorganisation wie die Caritas nicht sinnvoller? Nicht um sich selbst zu kreisen, sondern zu fragen: Was braucht der oder die andere neben mir? Solche Fragen öffnen Perspektiven und Handlungsstrategien, die befreiend für alle werden können. Man ist nicht mehr Spielfigur in den Hunger Games, sondern wird zum Akteur oder zur Akteurin gegen ein System, das Jean Ziegler zu Recht als „Raubtierkapitalismus“ bezeichnet hat.

Kommentare

  1. „Sich beim nächsten Einkauf überlegen: Brauche ich das wirklich oder ist eine Spende für eine Hilfsorganisation wie die Caritas nicht sinnvoller?“ Lass mich mal testen, wie ich das umsetzen kann: Mein Blick in meine Geldtasche ergibt einen Stand von 13,96 €. Mein nächster Einkauf gilt Lebensmitteln. Mein Sohn kommt morgen zum Essen. Dabei trifft es mich noch gut. Wünscht sich Kartoffeln mit Spiegelei… Und Kartoffeln hab ich noch vom Garten. Spenden… nein, leider momentan nicht möglich. Lebensmittel gehen vor… Und ja, ich muss auf den Preis schauen… auch bei den Lebensmitteln…

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