Du Mensch,

… wenn sie dich in diesen Tagen als „Gutmensch“ beschimpfen, dann sieh es als Kompliment, weil du zu jenen Normalmenschen zählst, die das Menschliche dem Unmenschlichen entgegensetzen, weil für dich das Menschliche nicht durch willkürlich gesetzte Obergrenzen begrenzt werden kann.

… wenn sie dir Angst machen, dass zu viele Flüchtlinge unseren Wohlstand bedrohen und das Sozialsystem gefährden würden, dann werde nicht müde vorzurechnen, dass für 2016 die gesamten Ausgaben für Flüchtlinge in Österreich rund 1,4 Prozent des BIP betragen werden oder dass 2015 1 Million Flüchtlinge in einen Kontinent von mehr als 500 Millionen kamen. Noch so viel ist möglich. Das Holz kann für längere Tische und nicht für Zäune verwendet werden. Es gäbe auch den anderen Blickwinkel: Bei gelingender Integration könnten die Flüchtlinge, die bleiben werden, unsere Wirtschaft und Gesellschaft mittragen.

… wenn sie behaupten, dass die Aufnahme von 90.000 Flüchtlingen in Österreich schon zu viel sei, dann rechne dagegen: So viel ist noch möglich, wenn wir beginnen zu teilen, wenn leere Wohnungen und Häuser für Flüchtlinge frei gemacht werden, wenn 100.000 Menschen in Österreich 100.000 Flüchtlinge zu sich aufnehmen würden, weil man beginnt, die eigene Komfortzone etwas zu verkleinern.

… wenn sie argumentieren, dass die Willkommenskultur von gestern sei und heute nicht mehr gelte, dann halte dagegen: Willkommenskultur hat kein Ablaufdatum. Eine Abschottungskultur braucht unsere Welt aber wahrlich nicht.

… wenn sie dir versichern wollen, dass eine Willkommenskultur nur das Erstarken rechts-nationalistischer Kräfte verstärken würde, dann entgegne: Wir lassen uns das Handeln und Denken nicht durch diese Kräfte verderben! Dass wir klein beigeben, ist ja nur das, was sie wollen.

… wenn sie in schönen Worten grausame Dinge verbergen, wenn eine Unrechtsmauer zur „Security Wall“ und wenn Grenzzäune zu einem „Türl mit Seitenteilen“ oder wenn Abschottungspolitik „Grenzmanagement“ werden, dann traue diesen Euphemismen nicht: Mauern machen nicht frei.

… wenn sie dir eine Renationalisierung als Instrument gegen die Flüchtlingskrise verkaufen, dann werde nicht müde zu fordern: globale Probleme lassen sich nur mit internationalem Krisenmanagement lösen. Die Vereinten Nationen und die EU sind dazu da, diese Herausforderungen anzunehmen. Nationalistischer Kleingeist schafft nur neue Probleme.

… wenn sie über die Kriege und die hohe Zahl an Flüchtlingen jammern, dann weise sie auf ihre Mitverantwortung hin: Durch ihre Waffenlieferungen füttern sie die Kriege und durch unseren umweltvernichtenden Lebensstil verursachen wir die Klimakatastrophen in den Ländern des Südens.

… wenn sich dein eigenes Land am Wettstreit der „Unwilligen“ beteiligt, wenn sie ein optimistisches „Wir-schaffen-das“ durch ein „Es-geht-nicht-mehr“ ersetzen, dann verstecke dein „Refugees-welcome“-Schild nicht und bleibe standhaft.

… wenn sie lamentieren, man könne als Einzelner und Einzelne ohnehin nichts erreichen, wenn sie mit Verweis auf andere individuelles Fehlverhalten entschuldigen, so sei doch selbst die Veränderung, die du für diese Welt möchtest. Sei phantasievoll im Widerstand und im Entdecken eines lustvollen Lebens, das geprägt ist von Solidarität und Mitgefühl.

Klaus Heidegger
22.2.2016, am Gedenktag der Geschwister Sophie unweißeRosed Hans Scholl sowie Christoph Probst. Möge ihr Widerspruch gegen die Unmenschlichkeit uns heute Kraft geben.

Kommentare

  1. Finde Ihr Engagement und Ihre Form des Widerstands/der Denkanstöße genial ! Sie sprechen mir total aus der Seele – hab nur leider nicht das „Schreibtalent“…Teile jedoch sehr fleißig 👍🏻😊
    Danke und liebe Grüse
    K. Bachlechner

  2. Der Asylant

    Es begann mit Denunzierungen, dann brannten Häuser, und zum Schluss sie selbst.

    Wahnsinn,

    weshalb ich es einst nicht glauben und noch weniger verstehen konnte, als man in der Schule davon sprach. Die Großeltern hätten nichts davon gewusst? Wie soll ich so eine Vergangenheit meinen Kindern erklären?

    Und plötzlich ist alles wieder da. Der Imperialismus, dem wir unseren Wohlstand verdanken, beginnt seine Rechnung einzufordern. Tausende Kilometer Flucht klopfen an unsere Tür, der Strom der Geschichte ist angekommen und prüft, was wir gelernt haben.

    Einmal mehr schauen wir weg – die Banalität des Bösen wird erneut greifbar. Abermals brennen Häuser, erste Tote werden weggetragen unter dem hasserfüllten Gegröle des Pöbels.

    Meine Kinder sehen mich fragend an …und beginnen laut „INDIGNEZ-VOUS!“ zu rufen.

    Was werden sie ihren Kindern darüber berichten, von sich und ihren Eltern?

    1. Vielen Dank für Ihre Antwort. Ihr Buch zu dieser Thematik ist mir übrigens stets ein wichtiger geistiger Begleiter. Als KA-Vorsitzender von Tirol bin ich dankbar, dass Sie als Geistlicher Assistent für die KAÖ auch in diesem Sinne tätig sind. Mfg

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