„Wir verfehlen von vornherein den Sinn von ‚Auferstehung
im allgemeinen und auch bei Jesus,
wenn wir uns ursprünglich an der Vorstellung einer
Wiederbelebung eines physisch-materiellen Leibes orientieren.“[1]
1 Historisch-kritische Aspekte
Die so bekannte Emmaus-Perikope finden wir nur im Lukas-Evangelium. Eindeutig ist sie also lukanisches „Sondergut“, in dem sich die Erfahrungs- bzw. Auferstehungswirklichkeit der lukanischen Gemeinde widerspiegelt. Der Text dürfte um das Jahr 90 n. Chr. entstanden sein. Redaktionsgeschichlich zählt die Emmaus-Erzählung zu der Gattung der „Erscheinungserzählungen“[2], mit denen die vier Evangelien abschließen und die die jüngsten Schichten der jeweiligen Evangelien bilden. Exegetisch ist somit klar, dass es bei diesen Erzählungen nicht darum geht, einen historischen Bericht über die Auferstehung zu bringen, sondern bildhaft zu beschreiben, was Auferstehung bedeutet.
2 Bildhaft und nicht buchstäblich
Gerade mit meinen Schülern und Schülerinnen an einer Oberstufe ist es wichtig, auf diese historisch-kritischen exegetischen Aspekte hinzuweisen. Im ersten Moment ist eine Entmythologisierung im Stile von Bultmann für viele von ihnen eine heilsame Ent-Täuschung. Von Kindergartentagen an bis in die 5. Klasse eines Oberstufengymnasiums lebten sie mehr oder weniger mit der Vorstellung: Was in den Evangelien beschrieben wird, will historisches Faktum sein. „Religionskritische“ Schüler und Schülerinnen tragen bereits in sich die Zweifel, dass es jedoch mit der Auferstehung nicht so gewesen sein könnte, dass da ein menschliches Wesen, das zuvor grausam hingerichtet worden ist, nun plötzlich durch geschlossene Türen gehen könnte, die Jünger und Jüngerinnen anspricht und mit ihnen zusammen isst. Wenn diesen Schülern und Schülerinnen nicht der besondere Charakter dieser Erzählungen klar gemacht wird, dann würde dies dazu führen, dass die biblischen Geschichten generell als Märchen oder gar als Lügengeschichten abgetan werden und zu einer weiteren Distanzierung vom christlichen Glauben führen.
Die vorherrschende Kultur unterstützt eine buchstäbliche Interpretation der biblischen Auferstehungsberichte. Jedes Jahr in den Kar- und Ostertagen wird massenmedial versucht, die Bibel in einem buchstäblichen bzw. fundamentalistischen Sinn zu interpretieren, zu kritisieren bzw. ins Bild zu setzen. Mel Gibsons „Passion Jesu Christi“ ist ein bekanntes Beispiel für diese fundamentalistischen Umgang mit den Berichten der Bibel. Die biblischen Texte werden als Drehbuch missverstanden. Ein fundamentalistischer Katholizismus und evangelikale Fundamentalisten finden sich. In religiösen Doku-Sendungen wird nach dem Grab Jesu Christi gesucht, so als könne man die Auferstehung Jesu naturwissenschaftlich untersuchen.
Andererseits wäre auch eine rein spirituelle Deutung der Auferstehungsberichte nicht richtig, die jegliche Historizität leugnen und damit die konkret-leiblichen Aspekte übersehen würde. Es ist historisches Faktum, dass sich die Jünger- und Jüngerinnenbewegung nach der Hinrichtung Jesu nicht einschüchtern ließ, sondern sein Sache weiterführte. In diesem Sinne hat die bildhafte Sprache der Auferstehungserzählungen einen real-historischen Kern. Sie sind auch leiblich zu verstehen, weil die urkirchlichen Gemeinden begannen, das, was sie hatten, miteinander zu teilen (Apg 2,4). Auferstehung ist tatsächlich leiblich, weil in den Nachfolge-Gemeinden niemand mehr Not leiden musste. In diesem Sinne ist Auferstehung durchaus materiell begreifbar und nicht rein spirituell. In diesem Sinne – und nur in diesem Sinne – ist Jesus physisch und leiblich auferstanden, und das ist zugleich weit mehr als jede Spekulation über ein zombieartiges Fleisch-und-Blutwerden Jesu, wie es so oft in den Köpfen der Menschen herum spukt. Ich werde nie die Sätze von Dorothee Sölle vergessen: „Wäre Jesus nicht in unseren Herzen und Werken auferstanden, so wäre er noch immer im Grab!“ Weil aber dies ein irrealer Aussagesatz ist, dürfen wir Auferstehung Jesu feiern. Wenn Ostern lediglich verstanden wird als Ereignis vor 2000 Jahren, dann wird es bedeutungslos. Und noch einmal sei Dorothee Sölle zitiert: „Ostern ist entweder existentiell, oder es sagt überhaupt nichts und wird mit Recht vermarktet.“[3]
Eine solche Sicht kann auch an Hand des Begriffes „Auferweckung“ verdeutlicht werden. Wer ist es, der Jesus aus dem Totenhaus auferweckt? Die theologische Standard-Antwort kommt schnell: „Gott hat Jesus von den Toten auferweckt.“ Wir können dabei jedoch nicht stehen bleiben, sondern müssen auch die Gottesfrage stellen: „Wer und wie ist Gott?“ Schließlich wird in einer inkarnatorischen Theologie festgehalten, dass Gott im und durch das Handeln der Menschen wirkt, weil der Geist Gottes im Tun der Menschen lebendig werden kann. Somit sind es wir Menschen auch, die als Werkzeuge Gottes und beseelt von göttlichem Geist Jesus zum Leben erwecken können.
3 Erscheinungen als psychische Wirklichkeit
Neben der materiellen Wirklichkeit gelebter Jesus-Botschaft sind die Erscheinungsgeschichten und Visionen auch Ausdruck einer psychischen Wirklichkeit. Für Eugen Drewermann sind die Erscheinungen in den Tiefenschichten der menschlichen Psyche Bilder aus dem „Erbgedächtnis der Menschheit“[4]. Auch in dieser tiefenpsychologischen Interpretationsweise wäre es verkehrt, historisch-faktisch bzw. naturwissenschaftlich an die Auferstehung Jesu heranzugehen. Die Auferstehungs-Erzählungen sind die Träume von einer besseren Welt. Heute drückt es die Anti-Globalisierungs-Bewegung in ihrem Slogan aus: „Eine andere Welt ist möglich.“ Oder es wird spürbar in dem wohl berühmtesten politischen Diktum von Angela Merkel: „Wir schaffen das!“
4 Ostererfahrungen
Wenn wir die Wirklichkeit der Auferstehung begreifen wollen, nehmen wir zunächst die neutestamentlichen „Berichte“ von Auferstehung – die freilich immer auch schon Interpretationen und Bilder einer bestimmten Erfahrung von Auferstehung sind. Zum anderen aber ist es bedeutsam, die eigenen Auferstehungs-Erfahrungen ernst zu nehmen und beides wiederum in eine Verbindung zu setzen. Zwischen beiden Erfahrungsebenen besteht eine positive Dialektik. Je besser es mir gelingt, Auferstehungs-Erfahrungen in meinem eigenen Leben wahrzunehmen, desto besser kann ich die neutestamentlichen Berichte verstehen. Umgekehrt gilt: Je mehr ich mich auf die neutestamentlichen Auferstehungsberichte einlassen kann, desto besser werde ich auch in meinem eigenen Leben Auferstehungserlebnisse begreifen können.
Ich möchte die Erfahrungswirklichkeit bzw. Auferstehungswirklichkeit am Beispiel der Emmaus-Geschichte nachzeichnen. Gerade weil sie eine bildhafte Geschichte ist, können wir jeden der Hinweise in dieser Textstelle ernst nehmen, indem wir sie auch auf unser Leben hindeuten.
4.1 Sich auf den Weg machen
„… und siehe, zwei von ihnen wanderten an diesem Tag …“ (V 13)[5]
Die beiden Emmausjünger machen sich nach der Passion Jesu Christi auf den Weg. Wir können uns historisch in sie hinein fühlen. Es ist die Erfahrung, dass dieser Jesus von Nazareth, der für sie Hoffnung auf Befreiung bedeutet hatte, nun von den politisch Mächtigen kaltblütig und bestialisch hingerichtet worden ist. Wie soll nun ohne ihren Rabbi die Sache der Befreiung und des Reiches Gottes weitergehen? Ist ihr Projekt nicht gescheitert? Jedenfalls gehen sie weg von jener Stadt, die für sie zu einer Stadt des Grauens geworden ist. Vielleicht auch gehen sie mit Angst weg. Auch ihnen, den Kumpanen und Kumpaninnen von Jesus, könnte es an den Kragen gehen. Weg also von der Stadt, die voll von römischen Besatzungssoldaten und Tempelwachen, von den Günstlingen der römischen Besatzungsmacht und heimischen Kollaborateuren war.
Heue, 2016, müssen wir uns fragen: Ist das Projekt Jesu Christi nicht gescheitert, wenn wir die gegenwärtige Lage in der Welt betrachten, angesichts der Flüchtlingsbewegungen und der Errichtung einer Festung Europa, angesichts fortschreitender Klimaerwärmung und einem Verhalten der Masse der Menschen, das dem Zug der Lemminge gleicht? Auferstehung würde bedeuten, dass wir uns wie die Jünger von Emmaus auf den Weg machen, raus aus Festungsbauten, aus Krieg, Ungerechtigkeit, Naturzerstörung, selbst wenn wir noch nicht wissen, wohin der Weg uns führen wird. Der Weg, der beschritten werden muss, ist vielfach ein Weg der Umkehr. Dieser kann sehr konkret sein: Heute bedeutet es angesichts des Klimawandels wohl zunächst darauf zu achten, den CO2-Ausstoß durch das persönliche Verhalten möglichst niedrig zu halten. Oder sich zu fragen: Wo können bei uns Flüchtlinge aufgenommen werden und wie können sie bei uns ein Leben in Würde führen.
4.2 Miteinander unterwegs sein
„Und siehe, zwei von ihnen …“ (V 13)
Diese Auferstehungsgeschichte ist eine Geschichte von Zweien. Man kann sich das gut erklären: Zu zweit haben sie mehr Mut. Zu zweit fühlen sie sich etwas sicherer in dieser für sie bedrohlichen Zeit. Einer kann den anderen korrigieren. Zu zweit, das hatten sie bereits von ihrem Meister gelernt, der die Jünger und Jüngerinnen zu zweit ausgeschickt hatte. (Lk 10,1)
In dieser Paarkonstruktion wird zugleich Raum für Kommunikation geschaffen. Für heute stellt sich die Frage: Mit wem bin ich unterwegs, um offen zu sein für die Auferstehungswirklichkeiten? Wo bin ich allein mit meinen Träumen von einer besseren Welt und wo kann ich sie mit jemandem teilen? Ein Sprichwort trifft diese Auferstehungswirklichkeit des Miteinander punktgenau: „Wenn einer alleine träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele träumen, ist es der Beginn einer neuen Wirklichkeit.“
Freilich sind in es in der Emmaus-Geschichte zunächst nur zwei! Darin liegt auch eine Hoffnung. Auch damals, am ersten Ostermorgen und dann auf dem Gang nach Emmaus, waren es noch nicht viele. Auch die zarten Ansätze eines anderen Lebens sind heute nur klein und bestimmen nicht die Politik dieser Welt. Doch liegt darin schon der Keim einer anderen Welt. Das gibt Mut.
4.3 Miteinander reden
„… und sie redeten miteinander über all diese Ereignisse.“ (V 15) „Als sie miteinander redeten und nachdachten …“
Die kommunikative Grundstruktur des Glaubens an Auferstehung wird gleich zu Beginn dieser Erzählung deutlich. Zwei Menschen im Dialog. Sie reden nicht aneinander vorbei; sie führen keine Monologe; sie quatschen einander nicht voll; sie reden kein belangloses Zeugs; nicht einer versucht den anderen zu überzeugen. Nein: Sie reden miteinander, heißt es ausdrücklich. Ihre Worte sind auch geprägt von einem „Nachdenken“. Ich kann mir vorstellen, wie sie Pausen machen, um die Worte des jeweils anderen zu erwägen.
Wenn Dialog so stattfindet, wenn Kommunikation in dieser Weise gelingt, dann geschieht es, dass sich Jesus dazugesellt.
Wo sind meine Gesprächspartner, mit denen ich über die „Ereignisse“ vom Leben und Sterben und Auferstehen Jesu reden kann? Wo ist Kleopas an meiner Seite.
4.4 Nach Emmaus
„…auf dem Weg in ein Dorf namens Emmaus, das sechzig Stadien von Jerusalem entfernt ist.“
Die beiden Jünger haben sich auf ein Ziel geeinigt, das einen konkreten Namen hat: Emmaus. Sie haben sich kein großes Ziel gesetzt, keine weite Wegstrecke. Es sind nur 60 Stadien, das sind 12 km von Jerusalem nach Emmaus. Sie überfordern sich nicht. Sie laufen nicht einer Utopie nach, gehen nicht ins Nirgendwo. Ihr Ort ist konkret. Hat einen Namen, auch wenn er klein und unbedeutsam ist. Ihre Sehnsucht, auch wenn sie angesichts der Katastrophe des Karfreitags einen Rückschlag erlitten hatte, will sich verorten. Keine großen Versprechungen, sondern Halt finden im Kleinen, aus dem Großes wachsen kann.
4.5 Jesus nähert sich
„… da näherte sich Jesus selbst und ging ein Stück Weg mit ihnen…“ (V 15b)
Jesus drängt sich nicht auf. Dieses Nähern hat etwas Zärtliches und etwas Vorsichtiges an sich. Er erschreckt die beiden nicht. Er dirigiert nicht. Jesus bestimmt nicht, wo es lang gehen soll. Er geht einfach mit. Er passt sich den beiden an.
Auch davon können wir von Jesus lernen. Wie oft bin ich geneigt, anderen meinen Weg aufzudrängen, statt mit den anderen unterwegs zu sein?
4.6 Verzweiflung, Niedergeschlagenheit und Trauer
„Und sie blieben niedergeschlagen stehen.“ (V 17)
Die beiden Jünger gestehen sich ihre Niedergeschlagenheit und Trauer ein. Sie sind nicht Prototypen einer Keep-Smiling-Gesellschaft, haben nicht jenes Dauergrinsen der Mächtigen in Politik und Wirtschaft, das Zeichen für ihre Art des Erfolgs ist. Die beiden haben den Mut, ins Dunkle zu blicken und auch die Abgründe des Lebens anzunehmen. Typisch für diesen Jesus ist, dass er sich gerade den Menschen in ihrer Niedergeschlagenheit zuwendet. Es klingt an, was er gesagt hatte: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid.“ Diese Botschaft bleibt.
Auch heute kann die Erfahrung gemacht werden: Wir können uns dem Dunklen und Schweren in unserem Leben stellen, weil gerade darin Begegnung mit dem Auferstandenen möglich werden kann. Wir können und müssen alle Gefühle des Schmerzes, der Enttäuschung, der Mutlosigkeit und der Zerbrochenheit radikal ernst nehmen.
4.7 Erkennen beim Brotbrechen
„Als er mit ihnen zu Tische lag, nahm er das Brot, dankte; brach es und gab es ihnen.“
Die beiden Jünger machten eine eucharistische Grunderfahrung. Oder besser gesagt: Die lukanische Gemeinde machte die eucharistische Grunderfahrung und kleidete sie in die Geschichte der Emmaus-Jünger. Martina Kraml beschreibt in ihrem Buch „Verwandlung auf das Leben hin“, dass Essen und Trinken Orte der „Berührung Gottes“ sein können und damit die erfahrbare Grundstruktur bieten, die wir ekklesiologisch die eucharistische Gemeinschaft nennen.
Eucharistisches Erleben ist nicht an katholisch-kirchliches Tun gebunden bzw. vom sakramentalen Handeln eines Priesters abhängig. Wird die Emmaus-Erfahrung auf diese Form von Eucharistie reduziert, wird sie somit eingeengt auf eine katholische Messfeier, die gerade für Jugendliche meist nicht mehr eine Emmaus-Erfahrung ist, bei der ihnen „die Augen aufgehen“.
So haben Schüler und Schülerinnen meiner Klasse im Rahmen eines Projektes die Emmaus-Geschichte in Szene gesetzt und ins Bild gebracht. Bild 1: Zwei Schüler treffen sich am Skaterpark in Hall. Bild 2: Eine Schülerin kommt hinzu. Sie hat eine Pizza in einer Take-away-Schachtel. Die beiden Schüler laden sie ein, sich zu ihnen zu setzen. Bild 3: Die Schülerin in der Mitte, die beiden Schüler links und rechts auf ihren Skateboards, sie teilen die Pizza.
Emmaus lädt uns heute zur Frage ein: Wo sind meine Orte des göttlichen Brotbrechens? In den brüchigen und ambivalenten Erfahrungen des Miteinanderessens im Familienkreis, im Freundeskreis, in den Pfarrgemeinden, in der Schule, … ?
4.8 Jesus Christus als Verborgener
„Da wurden ihre Augen aufgetan, und sie erkannten ihn.“ (V 30f)
Der Auferstandene bleibt zunächst unerkannt. Erst schrittweise gehen die Augen auf. In der Auferstehungsgeschichte bei Johannes verwechselte Maria Magdalena zunächst den Auferstandenen mit einem Gärtner (Joh 20,1.11-18). Bei der Erscheinung im Abendmahlssaal (Joh 20,19-23) oder bei den Erscheinungen am See (Joh 21,1-4) – die Gestalt der Erscheinung wird erst in weiterer Folge mit der Person Jesu identifiziert. Drewermann deutet diesen Vorgang psychologisch. Ein archetypisches Bild bestimme das Bewusstsein dahin, „eine Erscheinung selbst mit einer bereits bekannten (religiösen Vorstellung) zu verknüpfen.“[6] Die Wahrheit der Auferstehung ist daher eine unbestritten psychische Wahrheit. Der Ort der Erscheinung ist die menschliche Psyche. Es wäre falsch, so Drewermann, psychische Phänomene unmittelbar mit außerpsychischen Formen der Wirklichkeit zu identifizieren. Drewermann formuliert eindeutig, was landläufig in den Osterpredigten meist nicht gesagt wird: „Wohl gehört es zum Begriff der ‚Erscheinung’, dass es eine Wirklichkeit geben muss, die sich dem menschlichen Bewusstsein mitteilt, aber es kommt sehr darauf an, die jeweiligen Erscheinungen nicht als Gegebenheiten an sich zu interpretieren.“[7]
Die Emmausjünger „träumen“[8] somit in der Begegnung mit dem Fremden und in der auch außerpsychisch objektiv erfahrbaren Wirklichkeit vom auferstandenen Jesus. Betont wird in der Erzählung das visuelle Element der „aufgegangenen Augen“. Die Auferstehung spielt sich somit nicht nur im träumenden Bewusstsein ab wie bei einem Schlaftraum, sondern hat einen sichtbaren Anhaltspunkt.
Der Wert dieser Sichtweise führt uns weg von den Orten Emmaus, Jerusalem oder dem See von Galiläa hin zu den Orten, in denen wir leben. Wir können die Emmaus-Erfahrungen an unseren konkreten Orten, und in unserer Zeit, im März 2016 machen. Die neutestamentliche Emmauserzählung soll uns ermutigen, den Visionen und Träumen in unserem Leben mehr Raum zu geben, ja vielleicht mehr noch, uns von ihnen bestimmen zu lassen. Wären die Träume an der Macht, so wäre diese Welt wohl eine bessere. Die Evangelisten hatten den Mut, die Jesus-Geschichte nach seinem Tod mit Visionen von der Auferstehung fortzuschreiben. Sie ermutigen dazu im Bewusstsein, dass wir an einen sich in der Geschichte stets offenbarenden Gott glauben, unsere Auferstehungs-Visionen selbst wahrzunehmen.
4.9 Mut zu Umkehr und Neubeginn
„und kehrten nach Jerusalem zurück.“ (V 33)
Obwohl es bereits Abend wurde, blieben nun die beiden Jünger nicht bequem in ihrer Emmaus-Herberge. Ihr Herz brannte. Sie waren begeistert, sie wollten zu den anderen Jüngern. Diese Erfahrung von Auferstehung wollten sie nicht für sich behalten. Die Auferstehungsgemeinschaft wächst, wenn wir im Text weiter lesen, denn auch die Elf und ihre Gefährten und Gefährtinnen hatten Auferstehungserlebnisse. So entstand die Kirche der Auferstehung. Die Jünger und Jüngerinnen teilen sich ihre Träume und Visionen. Für die Christen und Christinnen der Urkirche, die wir bildhaft mit den Emmaus-Jüngern in den Blick genommen haben, galten wohl die Worte von Faust, die ihn Goethe bei seinem Osterspaziergang sprechen lässt: „Sie feiern die Auferstehung des Herrn, denn sie sind selbst auferstanden.“ Und Goethe lässt auch deutlich werden, wie diese Auferstehung konkret und materiell geschieht: als Befreiung von Unterdrückung und Lebensverstümmelung:
„Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern/
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden/
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern/
Aus den Straßen quetschender Enge/
Aus den Kirchen ehrwürdiger Nacht/
sind sie alle ans Licht gebracht.“
Für mich wird hier so schön greifbar, was Auferstehung vor allem in einem politischen Sinne bedeutet. Dazu freilich ist es notwendig, den alten Goethe mit heutigen Wirklichkeiten in Verbindung zu setzen.
Klaus Heidegger, Ostern 2016
[1] Rahner Karl, Grundkurs des Glaubens, Freiburg 1976, 262.
[2] Die Exegese unterscheidet drei Gattungen von Auferstehungszeugnissen: Die älteste Schicht sind die Auferstehungsformeln, die bereits auf das Jahr 50 n. Chr. zurückgehen und sich in der paulinischen Briefliteratur finden. Die bildhafte Entfaltung davon sind dann die Auferstehungsberichte, die sich unterteilen lassen in die Geschichten vom leeren Grab einerseits und die Erscheinungserzählungen andererseits. Sie hatten auch apologetischen Charakter, das heißt es ging darum, den Leugnern und Leugnerinnen der Auferstehung zu bezeugen, dieser Christus ist wirklich auferstanden.
[3] Sölle Dorothee, Es muss doch mehr als alles geben, Freiburg i. Br. 20063, 105.
[4] Drewermann Eugen, Tiefenpsychologie und Exegese, Band II, 320.
[5] Bibeltext folgt der Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache, Gütersloh 2006.
[6] Drewermann Eugen, Tiefenpsychologie und Exegese, Band II, Olten 19923, 317.
[7] Ebd. 316.
[8] Für Drewermann besteht der Unterschied zwischen Traum und Vision = Erscheinung lediglich darin, dass Erscheinungen im Wachzustand geschehen. Vgl. ebd. 310.