Humanes und menschenrechtskonformes Grenzmanagement am Brenner

Positionierung zur Veranstaltung von Pax Christi Italien und Pax Christi Österreich am Brenner, 4. Juni 2016

von Klaus Heidegger, Arbeitsgruppe Pazifismus und Antimilitarismus

 

Die bleibende Herausforderung

In den letzten Wochen des Mai 2016 ist die öffentliche Debatte über Flüchtlinge etwas ruhiger geworden. Die hermetische Schließung der Balkanroute durch Staaten wie Österreich oder Ungarn und die Zusammenarbeit der EU mit dem türkischen Staat, um Flüchtlinge von einer Flucht abzuhalten oder bei geglückter Flucht von Griechenland wieder zurück zu schieben, zeigt Wirkungen.

Das Problem hat sich allerdings nur verlagert. Nachdem die sogenannte Balkan-Route für Flüchtlinge weitgehend gesperrt wurde und Geflüchtete aus Griechenland zum Teil direkt in die Türkei zurückgeschickt werden, wagen immer mehr Flüchtlinge die längere und gefährlichere Überfahrt von Libyen aus über das Mittelmeer nach Europa. Italien gilt als das „neue Tor nach Europa“.  Es sind mehrere Hunderttausend, die in den Lagern von Libyen ausharren und bei einer Überfahrt ihr Leben riskieren werden.

Von Jänner 2016 bis Ende Mai 2016 sind schätzungsweise bereits 1500 Menschen auf der Fahrt von Libyen nach Italien ertrunken. Anfang Juni 2016 sollen laut Behörden täglich rund 4000 Menschen nach Italien kommen.

Erst in den letzten Tagen haben uns wieder Nachrichten von Hunderten Menschen, die im Mittelmeer ertranken, aufgeschreckt.  Abertausende von Flüchtlingen, die eine lebensgefährliche Flucht überlebt haben,  sind in irgendwelchen Lagern gestrandet und ohne Aussicht auf eine würdige Aufnahme in einem europäischen Land. Die Lager bei Calais bzw. Idomeni, das inzwischen geräumt wurde, sind zu einem Symbol für dieses Europa geworden.

Zur spezifischen Situation am Brenner –  „Illegale“ Grenzübertritte

Es gibt eine steigende Zahl von „illegal“ eingereisten Flüchtlingen in Tirol. 6000 waren es bereits 2016 – letztes Jahr gesamt 10.000. Neu am Brenner ist der Trend, dass Flüchtlinge in Gruppen zu Fuß die Grenze überqueren. Laut Polizeiangaben waren es  im Mai 105. Weil die Bevölkerung solche Übergänge sofort der Polizei melde, könne diese einschreiten. Mit 1. Juni gab die Polizei bekannt, dass täglich rund 8 bis 12 Aufgriffe von den 80 Beamten am Brenner durchgeführt würden.

Rechtspopulistische Politiker in Tirol fordern lautstark eine stärkere Kontrolle der Brennergrenze und dazu einen Assistenzeinsatz des Heeres. Sie behaupten, dass die Bevölkerung im Wipptal durch illegale Grenzübertritte bereits Angst habe. Italien würde zu wenig kontrollieren und abhalten.

Der Brenner als Abschottungs-Grenze und Vollzugsort einer Obergrenzenpolitik

Die geplanten Sperren am Brenner würden einer Logik einer Obergrenzen-Flüchtlingspolitik entsprechen. Von Jänner bis April 2016 wurden 21.500 Asylanträge gestellt. Zieht man von dieser Zahl aber die Dublinfälle sowie den Familiennachzug ab, so sind es 11.000 Asylberechtigte. (Stand: 1.6.2016).

Die Bundesregierung hatte zu Beginn des Jahres eine Obergrenze von 37.500 Flüchtlingen beschlossen, die in diesem Jahr von Österreich aufgenommen werden könnten. Jede Woche werden derzeit in Österreich 800 bis 900 Asylanträge gestellt. Wenn die Obergrenze erreicht ist, dann – so die Logik der Regierung – müssten die Grenzen dicht gemacht werden. Auch am Brenner. Die beschlossene Notstandsverordnung würde in Kraft treten.

Hinter all diesen Zahlen verbergen sich menschliche Schicksale. Es sind Menschen, die nicht freiwillig geflohen sind, sondern wegen Krieg und Elend ihre Heimat verlassen mussten. Sie haben auf ihrer Flucht oft furchtbare Erfahrungen gemacht. Der erste Blick muss daher diesen Menschen in ihrer unbedingten Würde gelten.

B&B: Italien kontrolliert strenger südlich der Brennergrenze, Deutschland an der Grenze zu Bayern

Noch stellt Südtirol eine Art Puffer dar, wo Flüchtlinge bereits aufgefangen werden. Schleierfahndung und Kontrollen im Hinterland werden angewandt. Die Frage für das österreichische Innenministerium ist allerdings, wie lange dieser Puffer hält. Wenn nicht, so deren Einsatzpläne, müsste das geplante Grenzmanagement in Kraft treten.

Seit Herbst wird in Kufstein-Kiefersfelden die Grenze zu Bayern von den deutschen Behörden strenger kontrolliert. Tirol ist daher, was die Lage der Flüchtlinge betrifft, in einer Sandwich-Situation. Flüchtlinge wären, sollten sie aus Italien kommen und in Tirol einreisen, hier quasi gestrandet. Aus dieser Situation folgt jedoch, dass Tirol keine Insel ist, sondern Teil von Österreich und Teil Europas. Daher braucht es eine europaweite Lösung. Ein abgesperrter Brenner ist keine europaweite Lösung.

Noch – Anfang Juni 2016 – ist ein Reden von einer Obergrenze mit Blick auf Tirol relativ zynisch. Tirol erfüllt derzeit nicht die beschlossene Asylquote und nimmt im Vergleich zu anderen Bundesländern weniger Asylwerber auf. Mehr als die Hälfte aller Tiroler Gemeinden hat noch keine Flüchtlinge aufgenommen. Es ist also noch Platz für Flüchtlinge.

Grenzmanagement aus der Sicht des Ministeriums

Technische Vorrichtungen, die eine Kontrolle der Einreisenden ermöglichen und ein Umgehen der Grenzkontrolle verhindern sollen, wurden bereits gemacht. Auf personeller Seite wurden 200 Polizeibeamte neu eingestellt und speziell für fremdenpolizeiliche Maßnahmen geschult.

Gegen militärische Grenzsicherung

Auch eine Assistenzleistung des Bundesheeres war immer wieder im Gespräch und gehört zu den Einsatzszenarien. Dagegen muss Einspruch erhoben werden. Erstens sind für die „Sicherheit im Inneren“ nicht das Militär, sondern Polizei und Instrumente des Innenministeriums bzw. des Bundeskanzleramtes zuständig. Selbst der Grenzschutz sollte laut Verfassung nicht automatisch von militärischen Kräften übernommen werden. Wenn es mehr Mittel braucht, um die Flüchtlingskrise zu bewältigen und Flüchtlingen zu helfen – nicht um abzuschieben oder um Asylrecht zu verweigern – dann sollten diese Mittel direkt an Hilfsorganisationen bzw. Einrichtungen des Innenministeriums zweckgewidmet werden. Diese Apparate und Instrumente sind besser geeignet und wesentlich kostengünstiger als Soldaten und Soldatinnen, deren eigentliche Ausbildung und Funktion doch anderen Zwecken dienen. Wenn schon die Grenzen zu schützen sind, dann durch Grenzschutzpolizisten mit entsprechender qualifizierter Ausbildung.

Zweitens erzeugt der Einsatz des Heeres zur Flüchtlingsabwehr auf allen Seiten unheilvolle Assoziationen. Flüchtlinge werden zu Feinden, die es mit militärischer Waffengewalt zu „bekämpfen“ gilt. Es wird suggeriert, dass Flüchtlinge die Sicherheit Österreichs gefährden würden. Die Angst vor Flüchtlingen wird genährt – warum sonst müssen Flüchtlinge militärisch „bekämpft“ werden? Dies muss jedoch entschieden zurückgewiesen werden. Flüchtlinge sind keine „Feinde“, die es zu bekämpfen gilt. Soldaten in Kampfuniform und mit Sturmgewehren würden jedoch dieses Bild vermitteln.

Brennergrenze als Symbol der Humanität

Weil die internationale Politik versagt, wird es in den nächsten Monaten wichtig sein, an der Brennergrenze Solidarität und Humanität zu praktizieren und zu demonstrieren. Wir wollen keine Grenze, die wie eine undurchdringbare Festungsmauer Flüchtlinge vor der Ein- oder Durchreise abhalten will. Südlich des Brenners soll kein zweites Calais und Idomeni entstehen, wo Menschen in Not in menschenrechtswidrigen Lagern verzweifelt auf eine Weiterfahrt oder Aufnahme warten.

Am Brenner brauchen wir eine Grenze, die durchlässig bleibt für Flüchtlinge, wie es auch der Menschenrechtserklärung entspricht. Das Einhalten der Menschenrechte – dem Recht auf Asyl – muss oberste Priorität bleiben und darf nicht durch eine Abschiebepolitik an den Grenzen aufgelöst werden.

Humanes Grenzmanagement

Es ist sicherlich hilfreich, Flüchtlinge auf der Basis der Menschenrechte zu registrieren, damit sie nicht ohne rechtliche Basis in Europa herumirren müssen. Das Dublin-Prinzip steht jedoch nicht über dem unveräußerlichen Recht auf Asyl. Ein menschenrechtswidriger Fall wäre es, durch eine Notverordnung auf die Prüfung von Asylansuchen überhaupt zu verzichten.

Gerechte Aufteilung in Europa

Flüchtlinge sind nach einer Registrierung gerecht auf die europäischen Länder aufzuteilen. Bestimmte Länder müssen in die Pflicht genommen. Das wird Aufgabe der EU sein. In diesem Bereich muss sie ihre Handlungskompetenz unter Beweis stellen, da es sich um ein gesamteuropäisches Problem handelt. Es braucht dringend eine solidarische Verteilung der Flüchtlinge auf der Basis der Größe und der Wirtschaftskraft der EU-Mitgliedsstaaten. Vom Brenner könnten dann die Busse und Züge Richtung Flüchtlingsunterkünfte in EU-Mitgliedsstaaten gehen.

Staaten, die mehr als die erforderliche Leistung in der Aufnahme von Flüchtlingen erbringen, sollten von der EU hierfür Ausgleichszahlungen bekommen. Staaten, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, werden entsprechend EU-Gelder gekürzt.

Brenner als Ort der Willkommenskultur

Die nächsten Wochen und Monate werden also zeigen, ob der Brenner als Ort des Abschottens oder als Ort einer Willkommenskultur für Menschen in Not wird. Der UNO-Generalsekretär hat kürzlich zu Recht von den europäischen Regierungen einen „offenen Umgang mit den Schutzsuchenden“ eingemahnt und damit die restriktive Flüchtlingspolitik kritisiert.

Die Kirchen haben sich in vielfältiger Weise in ihren Gemeinden und kirchlichen Organisationen für eine Willkommenskultur entschieden. Sie wissen: Unter den Geflüchteten am Brenner ist Jesus zu finden. Katholiken gehören zur Gemeinschaft Petri in Rom und nicht einer Petry und ihren Freunden in Österreich.

Nach dem Willkommen die Integration

Was es bräuchte, ist eine Asyl- und Aufenthaltspolitik, die von den Menschenrechten ausgeht, denen die Dublin-Verordnungen untergeordnet sind. Österreich ist eines der reichsten Länder der Welt und hätte noch so viele Kapazitäten, um Menschen, die Schutz und Hilfe brauchen, menschenwürdige Flüchtlingsunterkünfte zu bieten. Bund und Länder sollten dafür die nötigen Mittel bereitstellen. Ein Staat, der Milliarden in letztlich fragwürdige Großprojekte wie den Brennerbasistunnel steckt, könnte für Flüchtlinge mehr Mittel aufwenden. Statt permanent die EU-Außengrenzen noch undurchlässiger zu machen, bräuchte es die Möglichkeit der sicheren und legalen Einreise nach Europa, etwa durch humanitäre Visa.

Wenn Asylsuchende registriert worden sind, ihr Asylverfahren entsprechend den grundlegenden Menschenrechten geprüft wurde und sie als Flüchtlinge anerkannt worden sind, gilt es, ihnen Hilfe zu geben bei der Integration am Arbeitsmarkt, bei der Wohnraumbeschaffung bzw. der Aufnahme in das Sozial- und Bildungssystem, damit sie möglichst gut auf eigenen Füßen stehen und die neue Heimat mitgestalten können.

Solidarität mit den Flüchtenden in einem umfassenderen Sinne

Es ist wie ein sprichwörtliches Eulen über den Brenner nach Griechenland tragen, dass zur gleichen Zeit die Politik, die Staaten Europas und internationale Gemeinschaften sowie jeder und jede einzelne herausgefordert ist, so zu handeln und zu leben, dass nirgendwo mehr Menschen wegen Krieg oder Zerstörung der Umwelt in die Flucht geschlagen werden.

Gerade an den letzten Wochenenden ist der Brenner auch wieder zu einem Ort geworden, wo die umweltverbrecherische Lebenskultur anschaulich wurde. Stundenlang quälten sich AutofahrerInnen von Nord nach Süd und Süd nach Nord. Wer eine wesentliche Ursache für die Klimaveränderung – und ihre fatalen Auswirkungen gerade in den Herkunftsländern der Flüchtlinge – sowie für die Kollaboration mit den Ölmultis, die ihrerseits mit islamistischen Terrornetzwerken ideologisch oder finanziell verknüpft sind, suchte, der musste nur aus einer Vogelperspektive auf die Autokolonnen blicken, die sich wie Giftschlangen über den Brenner wälzten.

An den Fluchtursachen anzusetzen bedeutet vor allem auch: Die Kriege und bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien, dem Irak, in Afghanistan, in Somalia und Eritrea zu stoppen. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeigt, dass dazu militärische Interventionen von außen nur noch mehr Elend und Zerstörung mit sich bringen. Im Kampf gegen den IS gibt es auch nicht-militärische Strategien. Sie würden bedeuten: Die Waffen- und Geldflüsse für die Terrormilizen zu stoppen. Ohne Ölgeschäfte hätten die verbrecherischen Milizen kein Geld für ihre Waffenkäufe, ohne Waffenhändler keine Waffen. Unter dem Mandat der Vereinten Nationen müssten Schutzzonen für bedrohte Bevölkerungsgruppen eingerichtet werden. Dazu wären auch bestens bewaffnete internationale Polizeieinheiten vorstellbar. Durch besseren Grenzschutz soll auch verhindert werden, dass immer neue Kämpfer für den IS rekrutiert werden. Für all diese Maßnahmen braucht es internationale Friedenskonferenzen unter der Führung der Vereinten Nationen und vor allem mit starker Beteiligung der arabischen Staaten.

Klaus Heidegger, 2. Juni 2016

Kommentare

  1. Lieber Klaus,
    diese Positionen decken sich mit meinen. Ich unterstütze sie auf voller Linie und argumentiere sie, wo und wie ich nur kann. Möchte Dich ermutigen, an Zeitungen ensprechende Leserbriefe zu schicken! – Eine Meldung aus Salzburg: bei einer Kundgebung gegen das erweiterte Bettelverbot hat Erzbischof Lackner eine Rede gehalten. Es war – wie er sagte – die erste Teilnahme seines Lebens bei einer Kundgebung. Dies hat Pfarrer Pucher aus Graz bewirkt, der auch da war.
    Möchte Dir bei dieser Gelegenheit für Dein engagiertes Bemühen um Frieden und Gerechtigkeit danken! 🌹🌿
    Liebe Grüße, Ulrike

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