In diesen Sommertagen, an denen stakkatomäßig Nachrichten über Anschläge in Deutschland und Frankreich unsere Herzen berühren und unser Nachdenken beschäftigen und an denen wir uns kaum lösen können von den schrecklichen Bildern, tut es so gut zu hören und zu lesen, was kirchliche Vertreter in diesen Tagen ersehnen. Der Erzbischof von Rouen, jener Diözese, in der einer seiner Priester von IS-Djihadisten hingerichtet wurde, rief beim Weltjugendtreffen in Krakau dazu auf, nicht vor der Gewalt zu kapitulieren, sondern „Apostel der Zivilisation der Liebe“ zu sein. Der Erzbischof von Wien, Kardinal Schönborn, sagte nach dem Attentat von Nizza: „Es gibt die Erfahrung, die sagt: Niemand wird zum Täter, der nicht vorher zum Opfer geworden ist. Darum stimmt es auch, dass unter all jenen Sicherheitsmaßnahmen, die einer Gesellschaft zur Terrorverhütung zur Verfügung stehen, die Liebe und die Güte, Barmherzigkeit und Vergebung, die wichtigsten sind. Damit nicht mehr Menschen zu Tätern werden.“
Nirgendwo wird von kirchlicher Seite dazu aufgerufen, was heute de facto geschieht: Kein Kampf gegen die Terroristen von Daesh. Kein Antiislamismus, wie er von den rechtspopulistischen Parteien nach jedem der Attentate neu genährt wird. Keine Pauschalverdächtigungen gegenüber dem Islam. Kein Narrativ vom „Krieg der Religionen“, das der französische Premierminister Manuel Valls benützte. Während die einen nach den Bluttaten von Rouen, Würzburg und Ansbach nun noch dichtere Grenzen fordern, noch mehr Abschiebungen und noch mehr Härte gegenüber Asylwerbern, fordert der höchstrangige Vertreter der katholischen Kirche von Österreich, dass wir mehr tun müssten, um jungen Migranten und Asylwerbern Chancen zu geben.“
Während der letzten beiden Anschläge war ich mit dem Mountainbike in den Dolomiten unterwegs. Fanesgruppe, Civetta, Cinque Torri, Averau. Es ist nur 100 Jahre her. Immer wieder waren wir auch auf den alten Frontstraßen unterwegs, die heute Lieblingsstrecken für Mountainbiker sind. Mit unvorstellbarer Brutalität wurde dort gekämpft. Bis zu 100.000 Menschen starben im Dolomitenkrieg. Damals hatten Bischöfe und Priester Waffen gesegnet und das gegenseitige Abschlachten gerechtfertigt. Heute stehen die Denkmäler für die Helden des „Großen Krieges“, wie er aus italienischer Sicht genannt wird. Die Spuren einer Kultur der Gewalt sind nicht ausgelöscht. Wir fahren vom Sennjoch hinunter nach Spinges. Ein Wandgemälde an einem Haus unweit der Kirche erinnert an die Geschichte der Katharina Lanz bei der Schlacht von Spinges. Mit einer Mistgabel ersticht sie einen französischen Soldaten. Sie gilt als Heldin. Kultur der Gewalt. In einer anderen kleinen Kapelle, nach der langen Abfahrt von Averau hinunter, kommen wir an der Wallfahrtskirche Santa Lucia vorbei. Und nun eine anderes Gedenken. Es ist die Geschichte einer starken Frau, die gewaltfrei auf der Seite der Armen und Kranken stand und dafür als Märtyrerin starb – ein Martyrium, das heute an Pater Jacques Hamel von der Kirche Saint-Étienne-de-Rouvray bei Rouen erinnert. Möge das Martyrium der Heiligen Lucia und von Pater Hamel zum Frieden zwischen den Religionen werden und nicht für einen Krieg der Religionen missbraucht werden.
Klaus Heidegger, 27.7.2016