Eine lange Busreise und kein Flug – die ökologische Variante

Im August 2016

 

Bereits vergangenen Winter ging ich einmal zum ÖBB-Schalter am Innsbrucker Hauptbahnhof. Ich wollte mich um Bahntickets nach England erkundigen. „Warum fliegen Sie nicht?“, wurde ich erstaunt gefragt, als wäre ich irgendein Außerirdischer. Oftmals in den vergangenen Wochen merkte ich Erstaunen in den Gesichtern jener, die von unserer Englandreise ohne Flieger hörten. „Nicht mit dem Flugzeug? …“ Wieder merkte ich bei diesem Rückfragen, wie selbstverständlich für meine Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen das Fliegen geworden ist. Der enorme ökologische Fußabdruck von Flugreisen wird nicht wahrgenommen. Wenn er überhaupt im Bewusstsein ist, dann wird er einfach weggesteckt. Die ökologische Lieblingsvariante einer Fahrt mit dem Zug schlossen wir dann aus. Dies wäre kostspielig gewesen und das Reservieren der Züge mit großem Aufwand verbunden. Schließlich blieb die Option mit dem Bus übrig. Dabei ist mir auch bewusst, dass die Billigbuslinien ihre Mitarbeiter bis zum Letzten ausbeuten und die Busse nicht mit Sonnenenergie, sondern mit wertvollem Dieseltreibstoff unterwegs sind. Zumindest eröffnete mir mein konsequentes Nichtfliegen mehrmals Gesprächssituationen, um die Unbekümmertheit der Fliegerei in ein ökologisch kritisches Licht zu bringen und ein Zeichen zu setzen, dass auch – und gerade angesichts der Klimaerwärmung – eine Fahrt nach England ökologischer als mit Airlines gestaltet werden kann. Dass dies letztlich auch günstiger als selbst mit einer Billigairline und Sonderpreisen ist, ist zudem ein schöner Nebeneffekt, wenngleich nicht die Motivation.

Unsere Reise beginnt also mit dem Bus nach Innsbruck. Das seltsame Verhältnis zwischen Billigbuslinien und Öffentlichen Verkehrsmitteln zeigt sich bereits von Beginn an: € 3,60 kostet die Fahrt Absam – Innsbruck, etwas mehr als die Hälfte dann die Fahrt mit Flexibus von Innsbuck nach München. Weitere 51 Euro sind es dann von München bis London.

Hinzu kommt freilich das Argument mit den Fahrzeiten. Wir wählen Varianten mit Umsteigen, wo wir jeweils genügend Pausen dazwischen haben und die Busse auch entsprechend Verspätungen haben dürften. So beginnt unsere Fahrt um 10:30 bei der Bushaltestelle in Absam, geht weiter um 11:45 mit dem Flexibus nach München mit Planankunft 14:05 – und erst um 17:15 wird es dann mit dem Bus weiter nach London gehen. Es folgt eine Nachtfahrt und am nächsten Tag mittags – also nach ca 26 Stunden Gesamtahrzeit – werden wir in London sein. Die Seele hat Zeit, um sich einzustellen zwischen dem Hier und Dort. Die Fahrt selbst soll mehr als nur Mittel zum Zweck sein und in sich das Erlebnis von fremden Landschaften, von Mitreisenden und von unplanbaren Begebenheiten mit sich bringen.

Die heutige Tageszeitung berichtet jedenfalls wieder von den steigenden Rohölförderungen, von fallenden Spritpreisen, von einem Umsatzplus im Autohandel, und auf der Fahrt nach München ist diese Ausbeutungssituation der Weltressourcen und der Vernichtung des Weltklimas so dramatisch spürbar. Kolonnenverkehr bereits auf der Inntalautobahn, dann auf der Strecke Seefeld – Mittenwald – Garmisch und Unmengen Autos auf den deutschen Autobahnen.

Unser erster längerer Aufenthalt ist in München. Die Wartezeit im Augustinerbräu Biergarten ganz in der Nähe vom ZOB ist angenehm und vergeht sehr schnell. Der Ort ist klassisch typisch für Bayern und München. Ein Maß Bier und große Brezn dazu gehören zum Muss. Manche kommen und legen blauweiß karierte Tischdecken auf die Biergartenbänke. Manche essen deftige Braten oder gebratene Hendl. Bei letzteren entdecke ich mein Mitgefühl für das ehemals lebendige Federvieh. Das Maß Bier schmeckt jedenfalls.

Vom ZOB fahren die Busse in alle Himmelsrichtung. Angebote von € 9 Euro nach Paris oder Prag verlocken zum Zugreifen. Unser Bus der Eurolines ist allerdings nur halb besetzt. Die beiden Busfahrer sind aus Tschechien. Der Bus hat eine tschechische Nummerntafel. Der Bus hat WLAN. Die Fahrt geht auf der sechsstreifigen A8 Richtung Stuttgart. Ausgedehnte Wälder links und rechts der Autobahnschneise. Windparks. Das Verkehrsaufkommen ist enorm. Die Nazis ließen diese Strecke als Reichsautobahn erbauen. Heute steht sie als Symbol einer völlig verkehrten Verkehrspolitik. Die dritte Fahrspur dient den rasenden Autos. Nach 2 Stunden in Ulm an einer Bushaltestelle der erste Stopp. Dauerberieselung mit Musik. Nach Ulm. Untergehende Sonne. Goldene Kornfelder. Ewige Weiten. Riesige Baustellen an manchen Abschnitten der A 8. Kolonnenverkehr in beide Richtungen. Jedenfalls erfahren wir so die Größe und Weite Deutschlands. Die Hügel von Baden-Württemberg. Das einzige Bundesland mit einem grünen Ministerpräsidenten. In Stuttgart wechsle ich den Sitz und setze mich etwas zurück. Die Dauerberieselung mit der Musik durch die Fahrer vorne nervt. Doch hinten unterhalten sich Jugendliche. Also wechsle ich wieder nach vorne. Irgendwo zwischen Karlsruhe und Frankfurt nicke ich etwas ein und finde so etwas wie leichten Schlaf.

Um 7:00 in Brüssel. Glaspaläste im Zentrum. Stadt, die noch verschlafen wirkt. Wie überall in diesen Metropolen: Autos beherrschen die Städte, Straßen, Parkplätze, Tankstellen. Diesel kostet hier € 1,054 – also fast gleich viel wie in Österreich. Auf sechsspuriger Autobahn hinaus aus Brüssel. Landschaften, die für die Autos zurecht gerichtet wurden.

Im Bus ist eine überaus bunte Mischung von Menschen. Der junge gepiercte Mann neben uns – etliche Piercings stecken in seinen Lippen. Hinter sein Ohr hat er sich in Erwartung des nächsten Stopps schon wieder eine Selbstgewuzelte gesteckt. Die schwarze Frau mit den zwei Kleinkindern hinter uns ist bereits in Frankfurt ausgestiegen. Dort sitzt jetzt eine ältere Frau. Sie dürfte Pakistani sein. Es ist eine bunte Fahrgemeinschaft. Junge, Alte, Ausländer, Inländer, vom Punk bis zum Krawattenträger lässt sich alles in diesem Eurolines-Bus finden. Nächste Station, 50km von Brüssel entfernt, ist Gent. Es gibt keine Möglichkeit, irgendwo den kurzen Stopp für eine Kaffeepause zu nützen. Weite landwirtschaftliche Ebenen. Autobahnschilder weisen den Weg nach Calais. Kühe grasen auf den Weiden. Kornfelder. Maisfelder. Häuser, die ungeschützt neben der Autobahn liegen. Wir durchfahren Belgien von Ost nach West. Lkw reiht sich an Lkw.

Ein besonderes Ereignis wird die Fahrt durch den Eurotunnel. 50km Tunnel zwischen Frankreich und England, durchschnittlich mehr als 40 Meter unter dem Meeresgrund. Die Baukosten von 15 Milliarden Euro waren dann doppelt so hoch als geplant. Vorgesehen war noch in den 80er-Jahren ganz im Stil des Thatcherismus eine rein private Finanzierung und Führung. Doch die enormen Kosten konnten sich nicht rechnen. Nachdem die Eurotunnel-AG aufgrund der Kreditrückzahlungen und Zinsbelastungen weiterhin rote Zahlen in Millionenhöhe schrieb, begannen staatliche Rettungsprogramme. So ist der Eurotunnel auch ein Lehrstück für gescheiterten Kapitalismus. Am 14.11.1994 fuhr der erste Zug mit Personen durch. Der Tunnel selbst besteht aus drei Eisenbahnröhren und einer Sicherheitsstraßenröhre dazwischen. In den letzten Jahren wurde Ereignisse an der französischen Seite des Tunnels immer wieder zum Symbol einer völlig verkehrten Asylpolitik. Tausende Flüchtlinge sind in Calais gestrandet. Viele von ihnen starteten verzweifelte Versuche, nach Großbritannien zu gelangen.

Auf der französischen Seite sind strenge Personen- und Gepäckskontrolle. Unsere bunte Busgesellschaft geht durch die Sicherheitsschleusen. Wir haben keine Schwierigkeiten. Doppelt- bis dreifache Stacheldrahtzäune signalisieren allerdings, dass hier für Flüchtlinge Endpunkt ist. Berichte über die Flüchtlingslager bei Calais, über lebensgefährliche Fluchtversuche durch Verstecken in LKWs und Proteste von MigrantInnenorganisationen gab es zuhauf.

Punkt 12:00 fährt unser Bus aus dem Zug. Wir sind nach 20 Kilometer Tunnelfahrt auf den britischen Inseln. Ungewohnt ist der Linksverkehr.  Britannien tickt anders als die anderen Länder Europas.  Fahrt durch Südengland. Auch hier – sechsspurige Autobahn am Rande der Kapazität. Nach einer Stunde wird die Skyline von London sichtbar. Nun dauert es aber noch einmal eine Stunde im Stop-and-Go-Rhythmus durch die Außenbezirke von London mit den so typischen Reihen der kleinen Einzelhäuser – in einem von ihnen hatte ich einmal gewohnt – bis hinein in die City of London, am London Eye vorbei, über die Themse, vorbei am Parlament und Westminister Abbey, wo Tausende touristisch unterwegs sind zum Victoria Station Busbahnhof. Es sind nur wenige Minuten von dort zum Victoria Station Bahnhof.  24 Stunden – von Innsbruck bis London. Es lohnt sich und rechnet sich.

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