Und wieder erzählt uns das Evangelium am heutigen 5. Fastensonntag eine Geschichte von Jesus, der sich der Not in dieser Welt zuwendet. Am 4. Fastensonntag hörten wir von der Heilung eines Blindgeborenen. Diese Geschichte befindet sich vor der Lazarus-Perikope. Ein Mann, ausgegrenzt wegen seiner Krankheit, als unrein geltend, kulturell-religiös stigmatisiert durch die kollektiv-vermittelte Meinung, seine Krankheit sei Folge einer Schuld, wird von Jesus in die Mitte geholt. Die Blindheit wird durch doppelten Regelbruch geheilt. Zum einen berührt Jesus den vermeintlich Unreinen, lässt die Reinheitsgesetze nicht gelten, wenn es um Heilung geht, zum anderen heilt er ganz bewusst an einem Sabbat, macht damit aufmerksam, dass die Zuwendung zu den Kranken wohl der wichtigste Gottesdienst sei. Und nun, am Beginn der Passion Jesu, geschieht die Totenerweckung des Lazarus. Nicht nur eine Krankheit wird geheilt, selbst Totes wird durch die göttliche Kraft, für die Jesus und seine Jüngerbewegung stehen, zu neuem Leben auferweckt. Der Evangelist Johannes schildert dieses wunderwirkende Teamwork zwischen den Schwestern Maria und Martha und ihrem Intimus Jesus. Ihr Glaube, dass selbst scheinbar Totes wieder neu zum Leben kommen kann, ist unerschrocken. Hier gilt das Prinzip: Wenn einer träumt, ist es nur ein Traum, wenn viele träumen, ist es der Beginn einer neuen Wirklichkeit. Auch heute sehe ich so viel Totes um mich herum. Fatalismus als Grundhaltung vieler Menschen. Als Lehrer erlebe ich immer wieder die lähmende Haltung im Konferenzzimmer: Schulreformen seien doch nicht möglich. Geben wir uns zufrieden mit dem, wie es ist. In den Klassenzimmern ist so mancher Schüler oder Schülerin aufgrund bestimmter Entwicklungen oder einer persönlichen Situation oft wie gelähmt. „Ich mag nicht mehr!“ – und der Auslöser für diese Resignation mag eine verpatzte Schularbeit oder das Zerbrechen einer Freundschaft sein. Wie oft trennen sich Menschen in langjährigen Beziehungen, weil sie nicht mehr daran glauben können, dass ein Neubeginn möglich sei. Als Vorsitzender der Katholischen Aktion höre ich immer wieder den Satz: „Diese Kirche wird sich doch nicht ändern.“ Zölibat und Ausschluss der Frauen vom Priesteramt werden bleiben. Die Unbekümmertheit, mit der trotz Klimakatastrophen und Hunger in der Welt – beides hat miteinander zu tun, Menschen rund um mich mit großem ökologischen Fußabdruck unterwegs sind, ist auch Ausdruck einer Haltung, man könne doch selbst nichts ändern. In all diesen Situationen – und vielen mehr – ist der Glaube von Maria und Martha und der Ruf Jesu „Lazarus – komm heraus!“ so befreiend und ermutigend. Auch der Name Lazarus selbst ist entlastend. Ich darf an eine Veränderung todbringender, stinkender, erstarrter Zustände glauben – und muss es doch nicht alleine tun, weil Got ist El-azar, was heißt, Gott hat geholfen.
Klaus Heidegger, 2. 4. 2017