Politisches Denken in biblischer Schöpfungshermeneutik
Wenn es mir im Unterricht gelingt, mit den Schülerinnen und Schülern herauszuarbeiten, wie die biblischen Schöpfungstexte zu verstehen sind und was überhaupt in einem religiösen Sinn mit Schöpfung gemeint ist, dann habe ich ein wesentliches Ziel in meinem Religionslehrerdasein erreicht. Die meist unbewusste kreationistische Prägung der Gehirne durch eine biblisch-fundamentalistische Leseart der Bibel und eine kollektive philosophische Denkfaulheit in der Mitwelt ist dominant. Gott, so das vorherrschende Denken, der allmächtige Vatergott also, habe in seiner unermesslichen Machtfülle alles Dasein in das Leben gerufen. So stehe es ja in der Bibel. Am Beginn wirke also der außerirdische Gott. Punkt.
Die vermeintlich religionskritischen Personen berufen sich andererseits auf die Evolution, die so ganz im Widerspruch zur Bibel stehe, weil die Welt ja nicht in sechs Tagen erschaffen worden sei, sondern alles sei in einem Jahrmillionenprozess von Anpassungen und Mutationen gewachsen. Die Wissenschaft stehe im Gegensatz zu den religiös geprägten Schöpfungstexten. Evolutionistische Religionskritiker, von manchen Schülerinnen und Schülern bis zu Richard Dawkins und einigen Kolleginnen und Kollegen, übernehmen dabei unkritisch genau jene kreationistische Leseart, die der Qualität der biblischen Texte keineswegs gerecht wird.
Beide Seiten sind trennend unterwegs: Gott und Welt werden als unterschiedliche Qualitäten definiert, die wesensmäßig letztlich nichts miteinander zu tun haben. Gott mache die Welt – eine Kraft von außen – mit wundersamen Tricks. Er könne ja alles. Gott stehe über der Wissenschaft. Die andere Seite wiederum behauptet: Die Wissenschaft stehe im Widerspruch zur Religion. Wissenschaftlichkeit lasse eine religiöse Interpretation der Wirklichkeit gar nicht zu. Am Beginn nicht Gott, sondern der Big Bang. Am Ende nicht das Reich Gottes und Erlösung, sondern der Big Crunch.
Vom allmächtigen Vatergott zum Autoritarismus heute
Wer in diesen Kategorien denkt, tut sich nicht schwer mit einem Politstil, wo von oben nach unten geherrscht wird. Da werden Bedingungen diktiert und Ämter nur angenommen, wenn sie mit Durchgriffsrechten und Generalvollmachten verknüpft sind. Die Ich-AG will sich nichts dreinreden lassen, sondern den Weg vorgeben, der dem eigenen Ego entspricht. Wer dabei im Wege steht, wird entfernt, selbst wenn es einmal ein eigener Parteifreund war. Solche Männer werden fälschlicherweise als „Halbgötter“ bezeichnet. Fälschlicherweise, weil Gott als Schöpferkraft so gar nichts mit den Allmachtsphantasien mancher Politiker und einem Streben nach Alleinherrschaft zu tun hat.
Die Qualitäten des biblischen Schöpfergeistes
Schon die ersten Verse der Bibel und des Talmuds spielen eine andere Melodie und geben den Grundakkord vor. Es heißt in Genesis 1,1 bezeichnend: „Im Anfang schufen die Gottheiten …“ Dabei ist auf jedes Wort zu achten.
Das erste Wort lautet „im“. Darüber lässt dann Goethe seinen Doktor Faustus sinnieren. Die Präposition „im“ als Anfangsbezeichnung ist ungewöhnlich. Es ist auch kein Beginn, kein bestimmtes Datum. Dafür haben wir die Präposition „am“. Im Anfang deutet aber nicht einen fixen Zeitpunkt an, sondern einen Kairos, der immer wieder sein kann. Im Anfang kann heute am 16. Mai sein. Es ist der Gedenktag des Hl. Johannes Nepomuk. Sein Todestag war in diesem Sinne ein „im Anfang“. Dieser Anfang begann, als er Christus nachfolgte, begann, als er den widerständischen Mut hatte, sich dem allmächtigen Königshaus zu widersetzen, begann, als Jesus solchen Weg vorging, begann, als dies bereits die Propheten des Alten Bundes vorlebten. Das Wörtchen „im“ lässt sich als Punkt auf einem Kreis darstellen, während das Wörtchen „am“ den Beginn einer linearen Strecke kennzeichnet.
Über das erste Verb in der Bibel könnte auch viele geschrieben werden. Es muss im Plural stehen, weil dies auch das Subjekt ist. Elohim. Die Gottheiten. Gott nicht als Punkt, sondern als Beziehung. Gott nicht als Monolith, sondern als Dynamik. In Gott ist daher schon Kommunikation und Dialog grundgelegt, aus denen dann schöpferisches Wirken fließt. Gott braucht den Dialog für den Schöpfungsakt. Politisch gewendet könnten wir sagen. Gott will und braucht die Demokratie. Es ist kein „Machen“, sondern ein Schaffen, kein Erledigen von Befehlen, sondern bereit auch zum Widerspruch, zu These und Antithese, um daraus Synthesen zu schaffen, kein Aufsagen und Auswendiglernen, wie in der Schule oft, sondern geistvolles Lernen.
Symbolisches oder Diabolisches
Die Wortbedeutung von „diabolisch“ ist aufdeckend. Zugrunde liegt das altgriechische Wort diaballo (διαβάλλω), was bedeutet: Ich werfe durcheinander. Von diabalo leitet sich Diabolo ab, somit das Wort Teufel. Diabolisches ist somit eine Kraft, die durcheinander würfelt, die Zerstreuung bringt, die Trennungen verursacht. Man inszeniert das Gegeneinander.
Demgegenüber steht die schöpferische Kraft Gottes, die göttliche Geistkraft, die als zusammenführende, vereinende, integrative, inklusive Kraft, als Zusammenfallen (συμβάλλειν) bezeichnet werden kann. Es ist eine symbolische Geistkraft. Hier wird nicht mehr gespalten, sondern versöhnt. Man will das Miteinander. Gott wird als Kraft erfahren, die – wie es ebenfalls Goethe wundervoll geschrieben hat – „die Welt im Innersten zusammenhält“. Gott nicht außerhalb der Welt, von außen in die Welt regierend, über ihr wie ein König über seinem Volk, sondern in ihr. Ein Mensch bleibt immer ein Zellhaufen von 80 Billionen Zellen, ist zugleich immer aber auch Geschöpf Gottes. Beides.
Spaltungen tragen in sich oft Diabolisches
Die politische Interpretation dieser entgegengesetzten Kräfte liegt auf der Hand. Auch in unserer Gegenwartszeit gibt es jene, die bewusst spalten. In den letzten Tagen sprach man von den „Sprengmeistern“ der regierenden Koalition. Körpersprachlich ausgedrückt ist es nicht die offene Hand, sondern die geballte Faust. Der politische Mitbewerber ist nicht Partner, sondern Gegner. Wo politische Konturen deutlich werden, ist es vor allem eine Politik der Mauern und Grenzzäune. Der Oberschließmeister der Balkanroute wird ÖVP-Chef. Der Überwachungsminister kann seinen Erfolg feiern. High Noon in der österreichischen Innenpolitik. Umso dankbarer bin ich in diesen politisch turbulenten Zeiten für das Geschenk des Glaubens: Dass es mit Blick auf Jesus oder Johannes Nepomuk Auswege aus der mimetischen Rivalität gibt.
Klaus Heidegger, 16. 5. 2017