Zum 1×1 meines Religionsunterrichtes zählt es, mit den Schülerinnen und Schülern den Wert der 10 Gebote zu erarbeiten. In diesen Weisungen und Zumutungen verdichtet sich die jüdisch-christliche Ethik. Das achte Gebot – „du wirst nicht lügen“ – steht momentan im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Dieses Grundgebot wird auch übersetzt mit „Du wirst nicht falsch Zeugnis geben wider deinen Nächsten.“ Meine alevitischen Schülerinnen kennen seit Kindestagen an das „eline beline diline sahip ol“. „Diline sahip ol“ – es bedeutet: die Zunge zu beherrschen, nicht zu lügen, keinen Meineid zu schwören, Unwahrheiten zu vermeiden, von Verleumdung, Rufmord und Rufschädigung Abstand zu nehmen. Wahrhaftigkeit gehört zum Imperativ aller religiösen und philosophischen Richtungen.
Der Nationalratswahlkampf 2017 in Österreich ist ein Schauspiel großflächiger und hintertückischer Verlogenheiten. Aus Steuergeldern höchstbezahlte Werbestrategen stellen Fakeseiten auf Facebook, um damit dem politischen Gegner zu schaden. In den War rooms wird ungeniert nachgedacht, wie Gerüchte über den politischen Kontrahenten in Umlauf gesetzt werden könnten, um ihm zu schaden. Dirty Campaigning überlagert die Notwendigkeit, über sachpolitische Themen reden zu müssen. Der Stil ist aus den USA bekannt. Mit diesen Methoden kam Donald Trump an die Macht. Er schafft sich seine „alternativen Fakten“ und bezeichnet das, was ihm nicht gefällt, als Produkte der „Lügenpresse“. Eigentlich ist hierzulande das lügenhafte Anpatzen aber nur die Verlogenheit im Hintergrund, die breit diskutiert wird, womit von den erlaubten Verlogenheiten abgelenkt wird. Die größeren und erlaubten Verdrehungen, Halbwahrheiten und Lügen finden sich großflächig oder auf Dreieckständern oder auf Tafeln landauf landab auf den Werbeplakaten, mit denen ganz Österreich zugekleistert und zugestellt wird. Da wird eine „neue Gerechtigkeit“ versprochen und zugleich würde deren Umsetzung massiv ungerecht sein gegenüber jenen, die heute schon arm oder unterprivilegiert sind. Die Umsetzung der „neuen Gerechtigkeit“ würde Ungerechtigkeit vermehren. Da wird „Fairness“ plakatiert und zugleich höchst unfair der Islam als Religion diffamiert. Da wird der Islam nicht als Teil Österreichs gesehen, obwohl diese Religion seit 1912 anerkannte Religionsgemeinschaft ist und 700.000 Muslime Österreich wesentlich mitgestalten. Fair? Den Asylsuchenden und Asylberechtigten wird Fairness verweigert. Fair? Wer gegen Tempolimits und für Dieselprivilegien eintritt, lässt Fairness gegenüber den von Klimawandel und Umweltbelastungen Betroffenen jedenfalls vermissen.
Gelogen und geschwindelt wird auch im Bereich der neoliberalen Wirtschaft. Der Abgasbetrug von Automobilfirmen steht für diese Betrugsgeschichte. Die Emissionen vor allem von Dieselfahrzeugen sind wesentlich höher als von den Firmen angegeben werden. Manipulationssoftware wurde eingebaut. Mit Greenwashing-Strategien wird vorgegaukelt, dass die eigenen Produkte nun plötzlich ökologisch gut seien. Man verspricht Ökoprämien bei der Verschrottung des alten und beim Kauf eines neuen PKW. Mit „ÖKO GUT, ALLES GUT“ und der Aufforderung, einen „umweltfreundlichen …“ zu kaufen, werden in Inseraten Kunden angelockt.
Das Tiroler Landestheater startet an diesem Oktober-Wochenende mit einer gewagten Neuinszenierung von Goethes Faust. Er ist der Prototyp eines Menschen, der in seinem unersättlichen Streben den Pakt mit dem Teufel eingeht. Mit dem Sündenfall, wie Gott sein zu wollen, nimmt die Tragödie ihren Lauf. Die Welt wird durch Lug und Trug vergiftet. Es herrscht die Kraft, „die stets das Böse schafft“. Faust will einerseits nicht lügen, Mephisto jedoch setzt Lüge geradezu als seine Strategie ein. Das Vertrauen Gretchens und ihre gesunde Naivität wurde missbraucht. Heinrich Faust in seinem Willen zur Macht ließ sich verführen. Mephisto benützte die unredlich-bösen Mittel. Und am Ende?
Du wirst nicht lügen, so lautet die biblische Zumutung. Wer sich auf die göttlichen Gebote einlässt und mit Gottes Kraft unterwegs ist, braucht sich auf die Lügengeschichten dieser Welt nicht einzulassen. Es ist möglich, das Gesicht zu wahren. Ein authentischer Lebensstil ist machbar. Am Ende des Tages kann es gelingen, in den Spiegel zu schauen, ohne erröten zu müssen.
Klaus Heidegger, 9. 10. 2017