Dankbar bin ich Dir, Du Immerwährende. Du hast mein Land davor bewahrt, Mitglied in einem der klassischen Militärblöcke zu werden. So konnte Österreich in der Jungzeit der Zweiten Republik immer wieder zum Ort der Begegnung zwischen verfeindeten Blöcken werden. Anders als in den Paktstaaten war es möglich, das Militärbudget noch relativ niedrig zu halten. Wien konnte zu einem der Hauptorte der Vereinten Nationen werden.
Übel wird Dir seit vielen Jahren mitgespielt. Du wirst hintergangen und betrogen. Nach außen hin verspricht man Dir weiterhin bleibende Treue, doch längst schon haben die Entscheidungsträger der Regierungen der vergangenen Jahre auf militärische Bündnispolitik im Kontext von EU und NATO gesetzt. Du bist durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Man hat Dich ausgehöhlt durch gesetzliche Tricks, die eine Beteiligung an den EU-Battlegroups ermöglichen. Die Mächtigen handeln so, als wäre eine Mitgliedschaft in einer NATO-Vorfeldorganisation kompatibel mit den am 26.10.1955 beschlossenen neutralitätsrechtlichen Grundsätzen.
Manche Kräfte in diesem Land – und sie fühlen sich auf der Siegerstraße – negieren weiterhin den inklusiven Charakter Deines Festtages und huldigen ihrer Deutschtümelei. Wir feiern die österreichische Nation. Der Deutschnationalismus passt nicht zu Deinem Festtag.
Noch bist Du nicht begraben. Noch darf ich mit Dir Geburtstag feiern. Deinen 62. Jubeltag will ich aber nicht an jenen Orten feiern, wo das Militär seine Leistungsschauen zelebriert und diesen Feiertag für sich beansprucht. Das martialische Gehabe widerspricht so sehr Deiner Intention, die da lautet: NIE WIEDER KRIEG! Im Herzen feiere ich deswegen heute mit all den jungen Männern, die auf ihre Weise die Wehrpflicht verweigern, mit den Gedenkdienern und Zivildienern, mit den Organisationen, die für eine Erhöhung der schäbig niedrigen Entwicklungshilfe Österreichs plädieren, mit den Friedensbewegten, die weiterhin für ein Ende jeglicher kriegerischer Gewalt und ihrer Vorbereitungen eintreten. Vielleicht brauchen wir schon einen politischen Neutralitätsdefibrillator, um dich neu zu beleben für eine aktive Neutralitätspolitik. Dann würde sich das politische Österreich nicht an militärisch gesicherten Grenzzäunen einer Festungsunion beteiligen, sondern auf internationaler Ebene für eine humane Flüchtlingspolitik einsetzen. Dann würden nicht anachronistische Aufmärsche am Heldenplatz stattfinden, sondern die Repräsentanten dieser Republik würden an diesem Tag ihre rot-weiß-roten Blumen am Deserteursdenkmal niederlegen. Dann würde sich nicht das „Bundesheer im Aufwind“ fühlen, sondern es würden endlich die Konzepte ziviler Friedensdienste umgesetzt. Dann würde Wien zum Ort werden, wo Friedensgespräche stattfinden. Dann würden auf dem Gebiet des neutralen Österreich keine Kriegsmaterialien produziert und exportiert werden. Dein Festtag jedenfalls ist eine Ermutigung für solche Visionen.
Dein Fan,
Klaus Heidegger, 26. Oktober 2017