Pazifistische Mantelteiler: Von Bischof Martin zu Bischof Hermann

Bischof aus dem Volk und für das Volk

Vor einem Jahr wurden die Feierlichkeiten rund um die Erinnerung an 1700 Jahre Martin beendet. Ein Jahr danach hat die Diözese Innsbruck nach langem Warten einen Nachfolger von Bischof Manfred Scheuer bekommen. Am 2. Dezember 2017 wird Hermann Glettler im Olympiastadion in Innsbruck zum Bischof der Diözese Innsbruck geweiht werden. Vorangegangen sind viele Monate mit Spekulationen, Vermutungen und Ungewissheiten, wer den Bischofssitz in Innsbruck übernehmen wird. Am Anfang stand ein Bemühen, aus einem basis- und ortskirchlich geprägten Diözesanprozess einen Bischof zu finden, wie es in der Tradition des Martin von Tours liegen könnte. Seine authentische Weise der Christusnachfolge, zu der einerseits die Option für die Armen zählte und andererseits das Herabsteigen vom militärischen Ross, weckte in den Gläubigen den Wunsch, dass er ihr Bischof werden soll. Bekannt ist seine anfängliche Weigerung, dem Ruf auf das Bischofsamt zu widerstehen. Ruhm, Macht und Karriere waren nicht sein Lebensziel und nicht der Grund, warum er sich für Jesus entschied. Weil ihm das episkopale Amt zu abgehoben vorkam, versteckte sich der Heilige laut Legende in einem Gänsestall. Er hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass die Gänse ihn verraten würden. 1700 Jahre später müssten sich Bischofsanwärter wohl nicht mehr in einem Gänsestall verstecken, um dem Ruf des Volkes, Hirte zu sein, zu entgehen. Längst schon werden Bischöfe nicht mehr – wie zu Martins Zeiten – vom Volk und auf Wunsch des Volkes bestellt, sondern Entscheidungen fallen hinter dicken vatikanischen Mauern. Und dennoch – wohl Dank Papst Franziskus – scheint mit Bischof Hermann auch unsere Diözese wieder einen Volksbischof so ganz im Stil des heiligen Martin zu bekommen. Die bevorstehende Weihe in der Olympiahalle ist so ein Signal. Es soll Platz für alle sein und so wird das ganze Volk zur Mitfeier eingeladen, was rein platzmäßig im Dom zu St. Jakob gar nicht möglich wäre. 4000 bis 6000 Leute könnten in der Olympiahalle mitfeiern. Schon lange vor dieser Feier nahm sich der designierte Bischof Zeit, um – wie er es nannte – „Tirol zu lernen“, besuchte landauf landab auf bescheidene Weise Orte und Einrichtungen, als Hörender und nicht als allwissender Wunderwuzzi. Sein bischöflicher Wahlspruch „geht, heilt und verkündet!“ passt zu diesem Stil. Vor jeder Verkündigung geschieht das Zugehen auf die Menschen, das zur Heilung führen kann. In diesen Prozess hinein geschieht das Kerygma, die Verkündigung. Mich erinnert es an meinen Beruf als Religionslehrer, wo im Unterrichtsalltag immer zuerst die Offenheit gegenüber den Schülerinnen und Schülern stehen muss, die Hinwendung zu ihren Fragen und Sehnsüchten und in diese hinein die Verkündigung geschehen kann.

Bescheidenheit

Es gibt Bischöfe im Stile des heiligen Martin, der jeglichen Prunk vermied und in seinem Lebensstil auf Insignien der Macht verzichtete. Der Bischof von Rom, Papst Franziskus, der auf einer FPÖ-nahen Website als „Papa horribilis“ gebrandmarkt wird, setzte von Beginn an viele Zeichen in diese Richtung. Ein Bischof passt auf keinen Thron, darf sich nicht beweihräuchern lassen und vor einem Bischof soll sich kein Mensch niederwerfen: Das war die Botschaft des Martin zu einer Zeit, als sich die Kirche mehr und mehr dem römischen Herrschaftsgehabe anzupassen begann.

Mantelteilen als antike Friedensdividende

Der Heilige aus dem 4. Jahrhundert entspricht auch dem Pazifismus eines Martin Luther King. Ein Bild könnte auch täuschen. Landauf landab wird Martinus als römischer Soldat hoch zu Ross dargestellt. Martin – der dem Kriegsgott Mars „Geweihte“. Diese Wahrnehmung passt besser zu einer militärischen Kultur als ein Christ, der sich aufgrund seines Glaubens entscheidet, keine Waffe mehr zu tragen. Es stimmt zwar, dass Martin zunächst als Berufssoldat gedient hatte. Mehr und mehr aber dürfte Martin diesen Dienst nicht mehr als vereinbar mit seinem Christsein empfunden haben, obwohl damals die Kaiser Soldatendienst und Christsein durchaus nicht mehr wie in der frühen Kirche als Gegensatz gesehen hatten. Sulpicius Severus berichtet in seiner Vita Sancti Martini, verfasst um 395, von dessen Absage an den Kaiser. Martin soll ihm gesagt haben: „Bis heute habe ich dir gedient, Herr, jetzt will ich meinem Gott dienen und den Schwachen. Ich will nicht mehr länger kämpfen und töten. Hiermit gebe ich dir mein Schwert zurück. Wenn du meinst, ich sei ein Feigling, so will ich morgen ohne Waffen auf den Feind zugehen.“ Wenn später aus dem Martin der Patron der Soldaten und Waffenschmiede gemacht wurde, so stimmt dies mit dem Leben des Bischofs von Tours nicht überein. Wohl ganz im Sinne der Konversion des Martinus hat Papst Franziskus am Tag vor dem Martinsfest, am 10. November 2017, bei einer internationalen Abrüstungskonferenz nicht nur die Drohung, sondern auch den Besitz von Atomwaffen scharf verurteilt. Der Papst meinte: „Wenn man allein an die Gefahr einer versehentlichen Explosion als Folge irgendeines Fehlers oder Missverständnisses denkt, sind die Drohung mit Atomwaffen wie schon ihr Besitz mit Nachdruck zu verurteilen.“ Hermann Glettler hat in der Steiermark auch bei Pax Christi mitgewirkt. Eine Arbeitsgruppe dieser kirchlichen Friedensbewegung beschäftigt sich aktuell damit, Verwicklungen österreichischer Firmen in der Produktion von Rüstungsgütern aufzuzeigen. Seit 30 Jahren bemüht sich Pax Christi darum, dass Österreich wie jeder einzelne und jede einzelne Wege der Gewaltfreiheit wählt.

Option für die Armen

Ein dritter Wesenszug des beliebten Volksheiligen Martin ist integral mit den zuvor genannten verknüpft. Er entscheidet sich für Jesus Christus und den gewaltfreien Weg aufgrund seiner Begegnung mit den Armen. Sinnfällig findet durch das Mantelteilen eine Friedensdividende statt. Sein Schwert dient nicht mehr zum Kämpfen, sondern zum Teilen von Besitz. Seine Rüstung – der Mantel – wird aufgelöst, um die Armen damit zu kleiden. Er spricht kein Bettelverbot aus, sondern steigt vom Ross, um auf Augenhöhe mit dem Bettler zu sein. Er weist Obdachlose nicht ins Nichts, sondern schützt sie mit dem Mantel vor der Kälte der Obdachlosigkeit. Wer den Mantel teilt, macht sich freilich verletzlich. Auch Martin, so die Legenden, musste zunächst mit dem Spott der Umstehenden rechnen, weil er mit einem halben Mantel sehr hässlich ausgesehen habe.

Dem Ruf des neuen Bischofs von Innsbruck geht voraus, dass er in der Pfarre St. Andrä und als Bischofsvikar der Caritas die Sorge um die an den Rand Gedrängten in den Mittelpunkt seines Wirkens stellte. Und schon die ersten öffentlichen Stellungnahmen von Hermann Glettler erinnern so deutlich an den Martin von Tours. Er kritisierte die Entscheidung des Innsbrucker Gemeinderates zum Nächtigungsverbot im Freien. Das Interesse der Medien an seiner Ernennung nützte der designierte Bischof mehrfach, um vor der „aggressiven Abwehrhaltung gegenüber Migranten“ zu warnen oder die aktuelle Asylpolitik zu kritisieren, weil damit „bewusst Ängste geschürt“ würden. Solche Worte würde wohl auch Martin heute sprechen: „Nur Zäune hochziehen und Menschen zurückdrängen, die aus einer aussichtslosen Notlage kommen, wäre zumindest längerfristig keine Lösung, die dem Evangelium entspräche.“

Dr. Klaus Heidegger, Vorsitzender der Katholischen Aktion der Diözese Innsbruck, 11. November 2017