1 Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes
Der österreichische VfGH stellt mit der Erkenntnis vom 4. 12. 2017 fest, dass eine Unterscheidung zwischen Ehe und Eingetragener Partnerschaft (EP) das Diskriminierungsverbot des Gleichheitsgrundsatzes verletzt. Dies bedeutet, dass die unterschiedlichen Regelungen für verschieden- und gleichgeschlechtliche Paare mit Ablauf des 31. Dezembers 2018 aufgehoben werden sollen. Konkret heißt dies, dass gleichgeschlechtliche Paare in Österreich ab 1.1.2019 heiraten können. Gleichzeitig steht dann die EP auch verschiedengeschlechtlichen Paaren offen.
2 Gleichheitsgrundsatz und Diskriminierungsverbot
Der VfGH argumentiert auf der Basis des Gleichheitsgrundsatzes. Die Unterscheidung in Ehe auf der einen Seite und der Eingetragenen Partnerschaft auf der anderen Seite lasse sich nicht aufrechterhalten, ohne gleichgeschlechtliche Paare zu diskriminieren, denn eine Trennung in zwei Rechtsinstitute bringe zum Ausdruck, dass Menschen mit gleichgeschlechtlicher sexueller Orientierung nicht gleich den Personen mit verschiedengeschlechtlicher Orientierung sind. Wörtlich heißt es in dem Erkenntnis des VfGH: „Die damit verursachte diskriminierende Wirkung zeigt sich darin, dass durch die unterschiedliche Bezeichnung des Familienstandes (‚verheiratet‘ versus ‚in eingetragener Partnerschaft lebend‘) Personen in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft auch in Zusammenhängen, in denen die sexuelle Orientierung keinerlei Rolle spielt und spielen darf, diese offen legen müssen und, insbesondere auch vor dem historischen Hintergrund, Gefahr laufen, diskriminiert zu werden.“
3 Ehe für alle als Menschenrecht
Ab 1. Jänner 2019 können also gleichgeschlechtliche Paare in Österreich heiraten. Eine „Ehe für alle“ gibt es in vielen europäischen Ländern. Bisher waren es 14. Österreich wird das 15. europäische Land. Weltweit sind es 20. In den Niederlanden gibt es eine gleichgeschlechtliche Ehe bereits seit 2001. Deutschland hat ein entsprechendes Gesetz im Juni 2017 im Deutschen Bundestag beschlossen. Weltweit einzigartig ist allerdings, dass in Österreich erstmals ein Gericht das Eheverbot für gleichgeschlechtliche Paare aufhebt und diese Ehemöglichkeit als Menschenrecht ansieht. In allen anderen Staaten kam ein entsprechender Beschluss auf politischem Wege zustande.
4 Reaktionen von politischen Kräften
Die Aufhebung des Eheverbots für Schwule und Lesben durch den VfGH wurde vor allem seitens der SPÖ, den Neos, der Liste-Pilz und den Grünen begrüßt. Sie sprachen sich bereits im Sommer 2017 für eine Annahme der Regelungen aus, wie sie in Deutschland beschlossen worden waren. Auf politischem Weg wäre eine Gleichstellung bei den derzeitigen Machtverhältnissen kaum denkbar. Die neue ÖVP gab sich zurückhaltend. Die FPÖ zeigte einmal mehr ihre Ablehnung. In ihrer Weltsicht sind Lesben und Schwule für Ehe und Familie grundsätzlich ungeeignet. Erinnert sei an den Ausspruch von Parteichef Heinz-Christian Strache, der zur Möglichkeit einer Ehe für alle meinte, dann könne man auch den Islamisten erlauben, die Polygamie einzuführen. Die VfGH-Erkenntnis zur Ehe für alle ist im Kontext der türkis-blauen Koalition von besonderer Wichtigkeit, da eine neue Regierung nicht hinter diesen Beschluss zurücktreten kann. Allerdings kündigte der FPÖ-Chef bereits an, das VfGH-Urteil „gesetzlich zu reparieren“. Bereits die Einführung des Adoptionsrechts für gleichgeschlechtliche Paare sowie andere Homosexuellengleichstellungsschritte basierten auf Verfassungsgerichtshoferkenntnissen. Eine politische Kritik oder gar eine Missachtung von VfGH-Erkenntnissen ist jedenfalls nicht unproblematisch. Erinnert sei an die Politik unter Jörg Haider, der beispielsweise den VfGH in der Frage der Minderheitenrechte kaltschnäuzig ignoriert hatte. Die FPÖ-heute bleibt dieser Tradition treu.
5 Kritik von Amtsträgern und Organisationen der katholischen Kirche
Es scheint, als habe sich die ganze katholische Kirche gegen die Erkenntnis des VfGH in Österreich, auch gleichgeschlechtlichen Paaren den Weg zur Ehe zu ermöglichen, gestellt. Allen voran äußerte sich Kardinal Christoph Schönborn, gefolgt vom Familienbischof Klaus Küng, aber auch die Präsidentin der Kath. Aktion Österreichs sowie der Vorsitzende des Katholischen Familienverbandes zeigten sich ablehnend. So erscheinen die Amtskirche sowie die Laienorganisationen geschlossen in ihrem Nein zu einer Homoehe. Die Bischöfe können sich in ihren Äußerungen auf eine gemeinsame Erklärung der katholischen Bischofskonferenz vom 12. November 2017 stützen. Dort wurde bereits der Eheöffnung für Homosexuelle eine Abfuhr erteilt. Auch auf akademischer Ebene haben die Kritiker der Homoehe theologische Rückendeckung bekommen. Martin Lintner bekräftigte das Argument, dass katholisch gesehen eine Ehe nur zwischen Mann und Frau denkbar sei, weil diese Verbindung prinzipiell auf die Zeugung von Nachkommenschaft angelegt sein soll. Der Wiener Dogmatiker Tück wiederum betont die Ungleichheit zwischen einer gemischtgeschlechtlichen und einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft.
6 Zeugungsfähigkeit als Kriterium
Oberstes Argument der kirchenamtlichen Kritiker der Homoehe ist primär das Junktim von Ehe und Zeugung von Nachkommenschaft. Daher könne es eine Ehe auch nur zwischen Mann und Frau geben, weil nur aus einer solchen Verbindung Kinder entstehen können. Roma locuta, causa finita, Rom hat gesprochen, die Sache ist beendet, könnte man sich nun denken.
Der St. Pöltner Diözesanbischof greift eine Argumentation auf, die bereits katholisch-kirchliche Vertreter in Deutschland im Frühsommer 2017 äußerten, als ebendort die gleichgeschlechtliche Ehe im Bundestag beschlossen worden war. Die staatlich standesamtliche Ehe und die kirchliche Ehe würden nun einen anderen Charakter haben, meinte Klaus Küng. Ein deutscher Bischof sprach sinngemäß von einer staatlichen Ehe einerseits, die im Widerspruch zu einer „christlichen Ehe“ stünde.
Mit dem Zeugungsargument verbunden ist für den St. Pöltner Bischof auch der katholische Stehsatz, dass Sexualität nicht von der Fortpflanzungsqualität getrennt werden dürfe. Damit begibt sich der Oberhirte aus St. Pölten aber letztlich auf das schwulen- und lesbenfeindliche Parkett, indem sexuelle Handlungen prinzipiell als schlecht oder gar sündhaft angesehen werden – eben weil sie nicht fortpflanzungsorientiert sind. Klaus Küng, so sei erinnert, war jener Bischof, der noch vor vielen Jahren Aussagen machte, dass Homosexualität heilbar sei.
Das Argument, Ehe und Fortpflanzungsbereitschaft und damit das Erfordernis einer Mann-Frau-Verbindung als Einheit zu sehen, wird auch von Seiten der FPÖ vorgebracht. Der FPÖ-Vorsitzende dazu: „Die Ehe soll das Privileg bleiben für Frau und Mann, weil die Ehe die Besonderheit in sich birgt, dass daraus ein Kind und so Zukunft entsteht.“ (KURIER, 10.12.2017,5)
Meines Erachtens kann aber selbst die Lehre der Kirche in einer Weise interpretiert werden, dass sie nicht im Widerspruch zu einer Homoehe steht. Was bedeutet es nämlich, wenn selbst im Katechismus – dem Hort fundamentalistischer Rechtgläubigkeit – geschrieben wird, dass den Homosexuellen Respekt entgegengebracht werden muss. Homosexuelle Paare können es aber wohl als respektlos interpretieren, wenn sie in puncto Ehe mit Heteropaaren nicht gleichgestellt werden. Kardinal Christoph Schönborn meint, dass eine Homoehe gegen die Schöpfungsordnung sei, die nicht infrage gestellt werden dürfe. Ist aber, so müssten wir heute aus humanethischer wie humanmedizinischer bzw. psychologischer Sicht argumentieren, auch Homosexualität ein Teil der Schöpfungsordnung?
7 Wesensmerkmale der Ehe: Freiheit und Treue
Im staatlichen wie kirchlichen Verständnis von Ehe gibt es große Gemeinsamkeiten. Die Grundsäulen der staatlichen Ehe bauen auf dem kirchlichen Eheverständnis auf.
Dies ist erstens der Grundsatz der Freiheit. Eine Ehe kann nicht durch Zwang zustande kommen. Eine Homoehe würde prinzipiell nicht gegen diese Grundsäule verstoßen. Zweiter Wesenszug der Ehe ist die Treue. Untreue gilt auch aus staatlich-säkularer Perspektive als gesetzlicher Regelbruch. Ausgehend von diesem Wesenszug der Ehe würden gleichgeschlechtliche Paare klar dokumentieren, dass auch ihre Beziehungen nicht auf Vorläufigkeit, sondern auf Dauer angelegt sind.
Im Streit ist erstens die Frage, ob zum Wesen der Ehe eine Verschiedengeschlechtlichkeit gehört und – damit verknüpft – ob auch die Fortpflanzungsmöglichkeit konstitutiv zu einer Ehe zählt. Auf diese beiden Aspekte konzentriert sich die Kritik, die von katholische Seite gegen eine Homoehe genannt wird.
8 Wesensmerkmal Fortpflanzungsmöglichkeit und Verschiedengeschlechtlichkeit?
Zum Hauptargument der Gegner der aktuellen VfGH-Erkenntnis wird also angeführt, dass zum Wesen der Ehe eine Offenheit für Kinder bestehen müsse. Dies folgt der traditionell-katholischen Argumentation, dass der vorrangige Zweck der Ehe in der Bereitschaft zur Zeugung von Nachkommen besteht. Ist diese Orientierung nicht aber auch in kirchlichen Äußerungen durch eine andere Bewertung von Ehe aufgehoben worden? Wenn ich im schulischen Kontext über den Wert der Ehe arbeite, dann kann ich auf kirchliche Texte wie „Amoris laetitia“ von Papst Franziskus verweisen. Dort ist so viel von der „Freude“ zu lesen, die sich Ehepartner schenken, die auch eine „Freude der Kirche“ sei. Gelten solche Worte nicht auch für schwule oder lesbische Paare? In diesem päpstlichen Rundschreiben ist die Rede von der Zärtlichkeit als Bildnis für die Liebe Gottes. Gilt dies nur für heterosexuelle Paare? An einer Stelle wird sogar Kritik laut gegenüber einer Betonung der Funktion der Fortpflanzung für die Ehe. Was biblisch über die Ehe gesagt wird – als Geschenk Gottes, das die Sexualität einbezieht – lässt sich in vieler Hinsicht nicht nur auf heterosexuelle Paare anwenden. Die Fortpflanzungsmöglichkeit als Kriterium einer Ehe zu werten, wäre zudem nicht nur diskriminierend gegenüber homosexuellen Paaren, sondern auch gegenüber all jenen Menschen, die aus irgendwelchen Gründen keine Kinder bekommen können. Dies erinnert beklemmend an Zeiten, in denen zeugungsunfähigen Paaren ein Ehehindernis bescheinigt wurde.
9 Ungleiches nicht gleich behandeln
Gegner einer Homoehe argumentieren auf der Basis, dass zu einer Ehe zwingend eine Verschiedengeschlechtlichkeit einerseits und die Fortpflanzungsfähigkeit andererseits gehört, dass Heteroehe und Homoehe unterschiedlich seien und daher auch nicht gleichbehandelt werden dürften. Der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück spricht in diesem Zusammenhang von einer „Differenznivellierung“, wenn gleichgeschlechtliche Paare heiraten können.
10 Sakramentalität der Ehe auch für homosexuelle Paare
Heute wäre es höchst an der Zeit, wenn Vertreter der katholischen Kirche nicht nur davon ablassen würden, staatliche Regelungen und entsprechende höchstgerichtliche Entscheidungen zu kritisieren, die gegen jegliche Diskriminierung schwuler und lesbischer Paare sind, sondern vielleicht sogar einen Schritt weitergehen würden, und auch die Sakramentalität der Ehe nicht ausschließlich auf heterosexuelle Paare beziehen würden. Das 1×1 im katholischen Eheverständnis lautet, dass die Ehe ein „Natursakrament“ ist und insofern einen besonderen Charakter hat, weil es nicht von einem Priester oder Bischof gespendet wird, sondern die Eheleute spenden sich dieses Sakrament durch die freie Zusage.
Natursakrament bedeutet, dass in einer ehelichen Beziehung von sich aus Transzendenzerfahrungen möglich sind, dass hier eine lebendige und wirksame Gegenwart des Göttlichen im menschlichen Leben und Tun vorhanden ist. Ehe ist zugleich auch Sakrament, insofern es hier um einen kirchlichen Lebensvollzug geht. Sie ist Kernzelle christlicher Gemeinschaft und gilt als Ort personal gelebten Glaubens. Drittens schließlich ist die Ehe auch Sakrament, insofern sie zeichenhaft die Liebe und Treue Gottes zu seinem Volk sichtbar macht. Das Einssein Gottes mit den Menschen drückt sich im Einssein der Sich-Liebenden aus.
11 Ehe als Institution für Vertrauen, Verlässlichkeit und Verantwortung
In sozialpolitischen Fragen ticken katholische und evangelische Kirche vielfach ähnlich. Konträr ist allerdings die Positionierung in Sache Ehe für alle. Hier gibt es von Seiten der evangelischen Kirchenleitung deutliche Zustimmung zur VfGH-Erkenntnis. Bischof Michael Bünker sieht die Ehe für alle als „Zukunftsmodell“, die gute Voraussetzungen biete für lebenslange Verlässlichkeit, Vertrauen und Verantwortung. Durch die Ermöglichung von gleichgeschlechtlichen Ehen würde auch die Ehe zwischen Mann und Frau nochmals aufgewertet.
Diese evangelische Argumentation hat Gewicht: Wer sich auf eine Ehe einlässt, entscheidet sich ganz für einen Partner bzw. Partnerin – und dies auf „Lebenszeit“. Das widerspricht dem Zeitgeist postmoderner Beliebigkeit und entspricht aber so ganz einem wesentlichen Punkt der traditionellen katholischen Ehelehre. Wer Ja zur Ehe sagt, stellt sein oder ihr Leben in den Dienst einer anderen Person, ist bereit, ganz für sie da zu sein in Gegenwart und Zukunft. In einer Zeit, in der mehr und mehr Menschen ohne Trauschein zusammenleben und in der fast die Hälfte aller Ehen wieder geschieden werden, ist es ein wunderschönes Zeichen, dass Schwule und Lesben die eheliche Lebensform für sich entdecken.
Zurück zur staatlichen Ehe, die nun dank VfGH ermöglicht werden soll. Ihre Gegner müssen eine Antwort auf die Frage geben, warum nicht auch lesbische und schwule Paare ihre Liebe und Fürsorge füreinander nicht auch rechtlich durch einen Ehevertrag absichern können.
12 Ein Traum finaler Gleichberechtigung
Die Geschichte ist geprägt von einer Missachtung grundlegender Rechte für homosexuelle Menschen – und auch in der Geschichte der Kirche beschädigten homophobe und diskriminierende Urteile und Verhaltensweisen das Bild der Kirche. Umso mehr ist es zu bedauern, wenn die katholische Kirche in der öffentlichen Wahrnehmung nun wieder so erscheint, als stünde sie mit ihrer Lehre und Praxis einer Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben im Wege.
Noch ist es nur eine Wunschvorstellung. Schwule und lesbische Paare können sich gleichberechtigt wie heterosexuelle Paare das Sakrament der Ehe spenden und die Kirche anerkennt solche Verbindungen. Es wird eine Kirche sein, die sich von der Bürde einer homophoben Vergangenheit endgültig befreit hat. Es wird deutlich sein, dass nie mehr Homosexualität und auch nicht homosexuelle Handlungen als solche als Sünde angesehen werden. Sünde ist der Missbrauch der Sexualität. Sünde ist der Sexismus und die Abwertung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts oder der sexuellen Orientierung.
Klaus Heidegger, 11.12.2017
Verständnisfragen
- Warum hat der VfGH in Österreich für eine Ehe für alle gesprochen?
- Wie haben sich politische Vertreter in dieser Frage positioniert?
- Mit welchen Argumenten lehnen katholisch-kirchliche Vertreter eine Ehe für alle ab?
- Was sind die Wesenszüge einer Ehe?
- Wie kann aus dem Wesen der Ehe für eine gleichgeschlechtliche Ehe argumentiert werden?
- Welche theologischen Argumente sprechen für eine Ehe für alle?