Über Homosexualität und Kirche reden
Martin Lintner, Professor für Moraltheologie in Brixen, hat bereits vor einigen Jahren ein wertvolles Buch mit dem Titel „Den Eros entgiften“ geschrieben. Mit diesem Titel greift er die Kritik von Friedrich Nietzsche auf, der meinte, „Das Christentum gab dem Eros Gift zu trinken: – er starb zwar nicht daran, aber entartete zum Laster.“ In besonderer Weise ist jener Eros vergiftet worden, der sich auf gleichgeschlechtlich Liebende bezieht. Die römisch-katholische Kirche hat sich bei dieser Giftmischerei in der Geschichte vielfach schuldig gemacht. Auch heute noch mixt so mancher zumindest im Hintergrund seine Giftfläschchen und bedient sich dabei längst überholter Textpassagen aus dem Weltkatechismus, der Instruktion zur Priesterausbildung, mittelalterlicher Beichtspiegel oder einer fundamentalistisch-verengten Bibelinterpretation. Umso mehr braucht es daher ein zeitgemäßes Reden und Handeln der Verantwortlichen der Kirche und eine Praxis in den kirchlichen Gemeinden sowie eine Verkündigung, die geprägt ist von Achtsamkeit gegenüber den gleichgeschlechtlich Liebenden.
Die Auseinandersetzung mit dem Thema „Ehe für alle“ ist nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 4. 12. 2017 dem öffentlichen Interesse entwichen. In den Köpfen und Herzen abgespeichert bleiben die ersten Reaktionen kirchlicher Vertreter, von Kardinal Schönborn und anderen Bischöfen über katholische Verbände und Theologieprofessoren. „Ehe für alle“ – auch wenn diese den staatlichen Bereich betrifft – wurde abgelehnt. Für homosexuell Lebende und Liebende dürfe es keine Ehe geben.
Argumente prüfen
Auf meine drei Beiträge im DerStandard.at zur „Ehe für alle“ gab es viele Reaktionen. Der Großteil der Postings war geprägt von klischeehaften Ressentiments der katholischen Kirche oder generell den Religionen gegenüber. Einige wenige aber griffen die Argumente auf, vor allem in persönlichen Mails an mich, die für eine Ehe für alle geltend gemacht werden könnten.
Olivier Dantine, Superintendent der evangelischen Kirche von Tirol und Salzburg, unterstrich die Argumentation, dass Ehe nicht untrennbar mit Nachkommenschaft in Verbindung gebracht werden sollte. Dies würde erstens dem Wesen der Ehe nicht gerecht und könnte zweitens für kinderlose Paare einen Druck bedeuten, ihre Ehe als weniger wertvoll zu sehen, weil einer der postulierten Ehezwecke nicht erfüllt sei. Kinder wiederum, so Dantine in einem dritten Argument, könnten sich in manchen Fällen ausgenützt fühlen, wenn sie sich als Zweck einer Ehe verstehen müssten, nicht aber in ihrer Eigenwürde. Michael Bünker, Bischof der Evangelischen Kirche, hat sich in gleicher Weise daher auch für die Insitution einer „Ehe für alle“ ausgesprochen.
Tatsächlich sieht auch die katholische Kirche im kirchlichen Recht eine „Zeugungsunfähigkeit“ nicht als Ehehindernis an – zum Unterschied von der „Beischlafunfähigkeit“, die überholterweise noch als Ehehindernis in konservativ-fundamentalistischen Diktionen angegeben wird, in dieser Form jedoch längst schon im Widerspruch steht zu anderen kirchlichen Texten steht. Eine kirchliche Argumentation, die also die Offenheit gegenüber der Nachkommenschaft – und implizit ist damit immer Zeugungsfähigkeit gemeint – als Kardinalargument gegen eine Ehe für alle anführt, verfehlt die eigene Argumentation.
Eine positive Argumentation lautet, dass durch die Institution der Ehe das gleichgeschlechtlich orientierte Paar dokumentieren würde: Wir sind nicht „anders“ als Heteropaare mit unserem Willen, in Partnerschaft, in Treue und Liebe füreinander einzustehen, „bis dass der Tod und scheidet“. Gleichgeschlechtlich Liebende bezeugen öffentlich, dass sie nicht auf den Aspekt der Sexualität – und noch weniger auf eine genitale Fixiertheit – reduziert werden möchten, sondern dass ihre Beziehungen eine Fülle an zwischenmenschlichen Qualitäten aufweisen. Gerade die schwulen Partnerschaften werden in der öffentlichen Wahrnehmung mit Promiskuität verbunden – und damit auch oft mit HIV-Gefahren. Eine Entgiftung solcher Images geschieht durch die Institution Ehe für alle, weil dann gleichgeschlechtliche Partnerschaften nicht mehr „verheimlicht“ werden müssen, weil sichtbar wird, wie gleichgeschlechtlich Liebende sich in Treue und Respekt füreinander und sich als Paar für die Gemeinschaft einbringen können.
In meinen Anfangsjahren als Lehrer kam es noch häufiger vor, dass Jugendliche jemand anderen als „schwule Sau“ bezeichneten. Wenn ich so etwas hörte, gab es einen Klassenbucheintrag mit dem Vermerk „diskriminierende, beleidigende Wortwahl“. Ob Erwachsene oder Jugendliche, noch immer fällt es schwer, sich als Schwuler zu outen, denn, so die begründete Befürchtung, dann würde man vielleicht nicht mehr so sehr als Person, als Mitschüler, als Kollege, als Nachbar … gesehen werden, sondern als der Schwule. Jahrhundertelange giftige Homophobien haben sich in die kollektiven Muster eingefressen, sodass Schwulsein immer noch verbunden wird mit einem „Das ist nicht ganz normal“. Wer schwul oder lesbisch ist, muss sich als „anders“ empfinden; er oder sie ist eben nicht, wie es im Englisch für Heteros heißt, „straight“, was gleichbedeutend mit „brav“, „korrekt“ oder „richtig“ ist
Homosexualität aus der Perspektive der biblischen Schriften
Eros und Sexualität dienen den Menschen, um so Liebe und Partnerschaft erfahren zu können. Sie sind gut, wenn sie mit Liebe und Partnerschaft verknüpft werden, sie werden missbraucht, wenn sie egoistischer Triebbefriedigung dienen. Das ist auch der rote Faden, den wir in den biblischen Schriften aufgreifen können, beginnend mit der Schöpfungsgeschichte im 1. Buch Mose (Genesis), wo es gleich zu Beginn über die Erschaffung von Adam und Eva heißt: „Und Gott sah, dass es sehr gut war!“
Es gibt allerdings in der Bibel nur ganz wenige Stellen, die sich explizit zum Thema der Homosexualität äußern. Dort geht es um homosexuelle Handlungen von Männern, die nicht auf der Basis von Liebe sind, sondern beispielsweise mit Lustknaben und Prostitution zu tun haben. Die Frage lesbischer Beziehungen wird an keiner einzigen Stelle ausdrücklich thematisiert. Zugleich aber – und dafür steht beispielsweise die Beziehung zwischen David und Jonatan – werden gleichgeschlechtlich Liebende nicht verurteilt. Die Behauptung, in der Bibel würde Homosexualität generell verurteilt, ist damit nicht auch mit Bezug auf das Erste Testament nicht haltbar. In den Schriften des Neuen Testaments finden wir lediglich in den Briefen des Apostels Paulus spärliche Hinweise zur Homosexualität, während in den Evangelien dies kein Thema ist. Auch in den paulinischen Texten geht es aber entweder um sexuelle Ausbeutung und Entartungen mit Lustknaben – heute würden wir von Pädophilie sprechen – oder um kulturell bedingte Reinheitssituationen. Das Vorzeichen der paulinischen Schriften lautet in dieser Frage aber wohl: „Der Leib ist ein Tempel Gottes!“ Dies heißt auch: Im Eros und der menschlichen Sexualität können sich göttliche Qualitäten manifestieren. Die spärlichen biblischen Aussagen über Homosexualität bei Männern dürfen jedenfalls nicht wortwörtlich gedeutet werden. Eine historisch-kritische Exegese ist notwendig. Wo also von Homosexualität in der Bibel die Rede ist, geht es nicht um Liebesbeziehungen, sondern um das Thema kultureller Reinheit oder um die Frage von Tempelprostitution in nicht-jüdischen Kulturkreisen. Würde beispielsweise die Bibel wortwörtlich genommen werden, so müsste ja mit Bezug auf eine Stelle im Buch Leviticus 20,13 („Schläft einer mit einem Mann, wie man mit einer Frau schläft, dann haben sie eine Gräueltat begangen. Beide werden mit dem Tod bestraft.“) für Homosexuelle die Todesstrafe vollzogen werden. Zur Zeit der Abfassung solcher Passagen gab es kein medizinisch-psychologisches Wissen über das Faktum natürlicher sexueller Veranlagungen. Dies trifft auch auf eine jahrhundertelange Interpretation solcher Stellen zu. Heute wüsste man es besser, dass Homosexualität Bestandteil der menschlichen Natur ist – also letztlich in der Sprache der Kirchen und der Bibel – ein Bestandteil der göttlichen Schöpfungsordnung und weder Modeerscheinung noch Frage der Erziehung ist.
Homosexualität in der kirchlichen Verkündigung
Im Religionsunterricht und in der Verkündigung müssen wir heute jene Stelle im Weltkatechismus korrigieren, die zwar die Notwendigkeit der Achtung gegenüber Homosexuellen einfordert, dann aber zugleich zur Enthaltsamkeit auffordert und homosexuelle Handlungen verurteilt. Dort heißt es: „Gestützt auf die Heilige Schrift, die sie (die Homosexualität) als schlimme Abirrung bezeichnet, hat die kirchliche Überlieferung stets erklärt, ‚dass die homosexuellen Handlungen in sich nicht in Ordnung sind‘.“ (KKK 2357) Und weiters: „Homosexuelle Menschen sind zur Keuschheit gerufen. Durch die Tugenden der Selbstbeherrschung … können und sollen sie sich … der christlichen Vollkommenheit annähern.“ (KKK 2359)
Wenn sich heute kirchliche Vertreter kritisch bis ablehnend gegenüber der Ehe für alle stellen, dann schwingt hier doch auch die Vermutung mit, dass das „Ausleben der Homosexualität“ laut kirchlicher Lehre doch noch zumindest mit Vorbehalt gesehen wird. Dies passt zu einigen anderen römisch-katholischen Entwicklungen, wenn etwa erst im Jahr 2005 eine Bestimmung erlassen wurde, die homosexuellen Männern eine Ausbildung zu Priestern untersagt. Wörtlich heißt es in der vatikanischen Instruktion: „Die genannten Personen befinden sich nämlich in einer Situation, die in schwerwiegender Weise daran hindert, korrekte Beziehungen zu Männern und Frauen aufzubauen.“
Ermutigungen zum Schluss
Wenn gleichgeschlechtlich Liebende in einer Partnerschaft leben, sich selbst schon ein unbedingtes Ja geschenkt haben, dann leben sie – sakramentaltheologisch gesehen – jetzt schon die Ehe, auch wenn ihnen kirchliche Strukturen noch das Ritual der Trauung verweigern. Sünde ist nicht, wenn Menschen gleichgeschlechtlich lieben, sondern die Sünde liegt in den Strukturen und Geisteshaltungen, die weiterhin dazu führen, dass Menschen aufgrund ihrer homosexuellen Veranlagungen ausgegrenzt oder diffamiert werden. In der Tradition eines Jesus von Nazaret, der sich in seinem Leben und seiner Botschaft nie scheute, Gesetze im Sinne des Menschlichen zu deuten, braucht es heute Verantwortliche, die vorangehen in eine Kirche, in denen lesbische und schwule Partnerschaften gleichberechtigt anerkannt werden und an jenem Maßstab gemessen werden – dem Maßstab der Liebe und Treue – mit denen auch gemischtgeschlechtliche Partnerschaften gemessen werden. Bereits im Juli 2001 hatte die Katholische Männerbewegung Österreichs in einem Positionspapier die Forderung nach einer Segnung für gleichgeschlechtliche Paare aufgestellt. 17 Jahre später braucht es immer noch Mut, solche Positionen zu vertreten. Ich denke an einen Priester aus Nordrhein-Westfalen, der dem ersten schwulen Paar in Deutschland, das nun staatlich heiraten konnte, einen Segnungsgottesdienst in seiner Kirche anbot. Eine gewisse Offenheit signalisierte auch der Osnabrücker Bischof Franz Josef Bode in Richtung Segnung für homosexuelle Paare. Er hält eine solche für denkbar, wenn auch noch viele Details dazu diskutiert werden müssten. Die Zeit ist nicht mehr aufzuhalten. Viele andere Kirchen zeigen heute der römisch-katholischen Kirche, dass für Schwule und Lesben längst nicht mehr das Sündeneck und Beichtstuhl und Askese vorgesehen sind.
Klaus Heidegger, 17. Jänner 2018