Idealistische Lesearten
In den heimischen traditionellen Kirchen stehen viele von ihnen. Statuen von Josef. „Nährvater Jesu“, so seine klassische Bezeichnung. Sein Kopf ist meist demütig zur Seite geneigt. Im einen Arm hält er zärtlich den kindlichen Jesus, in der anderen Hand ein Attribut aus der Tischlerzunft. Josef bekommt eine Rolle zugeteilt, die sich wie folgt darstellen lässt: Demütig die Herausforderungen annehmend, nicht aktiv, sondern durch „Unterlassungen“, durch „Nicht-Handeln“ – so Josef Quitterer, Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck zum Josefstag 2018. Dazu passt die Titelseite im Sonntagsblatt der Diözese Innsbruck mit der Aufschrift: „Der Windel-Josef“. Josef sei derjenige, der „die zweite Geige spielt“, der die Windeln des Jesus wäscht. Heute würden manche bösartig formulieren: Er ist derjenige, der daheim nicht die Hosen anhat. Ähnliche bildhafte Interpretationen gibt es in gotischen Wandgemälden in den Kirchen Südtirols etliche. Josef, der nach der Geburt an einer Feuerstelle sitzt und für seine junge Familie eine Suppe kocht. Der häusliche Josef bleibt dabei stets im Hintergrund, Windel waschend, liebevoll das Kind schaukelnd, Suppe kochend. Der Dogmatikprofessor Jozef Niewiadomski weist ebenfalls zum Josefstag 2018 auf diese zärtliche Seite seines Namenspatrons hin. Eine syrische Ikone über die Geburt Jesu zeigt Josef, der sich liebevoll um Jesus kümmert und ihm ein Schlaflied vorsingt. Der biblische Josef habe nur eine „Nebenrolle“ gespielt, zurückhaltend, weg vom Rampenlicht. Es ist ein Männerbild, das tatsächlich ein wichtiger Kontrapunkt zu patriarchalen Rollenzuweisungen ist, in der zu oft Männer aktiv außer Haus gesehen werden, fern der Kinder- und Hausarbeit. Ja, es braucht die Männer, die Windeln waschen, Suppen kochen, Kinder zärtlich in den Armen wiegen und ihnen Schlaflieder singen. Solche Männer werden durch den häuslich-zärtlich-demütigen Josef ermutigt. Diese Josefsperspektive fördert die notwendige Sichtweise, in der patriarchale Genderkonstruktionen dekonstruiert und ein neues, eine gendergerechte Lebensweise konstruiert wird.
Zum Glück vergilbt ein anderes Bild des Josef, jenes, in dem er als „alter Mann“ dargestellt wird, der wie ein greiser Opa das Jesuskind hegt, neben ihm die jugendliche Maria, die seine Tochter sein könnte. In den von der Gnosis beeinflussten apokryphen Texten des zweiten Jahrhunderts – beispielsweise dem Proto-Evangelium des Jakobus – wurde diese Interpretation erfunden. Das passt zu einer Tendenz, aus der Jesusgeschichte die Sexualität zu verbannen und gedanklich Maria in ihrer biologischen Jungfräulichkeit festzubinden. Dabei wird selbst in den Evangelien davon geschrieben, dass Josef mit Maria noch weitere Kinder hatte, die wohl nicht vom Himmel gefallen sind. Die Mär von der Josefsehe verdrängt die sexuelle Kraft des Mannes Josef. In einer Kirche, in der über Jahrhunderte Theologie von zölibatär lebenden Kirchenmännern geprägt wurde, ist dieses entsexualisierte Josefsbild eine Rechtfertigung für Kirchengesetze wie das Zölibat sowie für eine repressive Sexualmoral. Ist es so abwegig, sich Maria und Josef auch als sexuell liebende Ehepartner vorzustellen, wo nicht der eine am Josefsaltar steht und die andere im Marienaltar thront und dazwischen eben das Kirchenschiff?
Historisch-kritische Verortung der Josefs-Geschichte
Die neutestamentlichen Hinweise auf Josef zeigen uns, dass wir ihn nicht nur mit Windeln und Kochtopf und Tischlerwinkel vorstellen dürfen. Programmatisch wird er in beiden Kindheitsgeschichten bei Matthäus und Lukas als Davidide, als Nachfolger des Königs Davids bezeichnet. Das ist eine hochpolitische Ansage. Wer in der damaligen Besatzungswirklichkeit mit König David in Verbindung gebracht wurde – damit ist nicht so sehr eine Blutsverwandtschaft gemeint –, stand in Opposition zum Kaiser in Rom und seinen brutalen Stellvertretern im besetzten Palästina. Nachfolger Davids zu sein bedeutete, im Widerstand zu sein. Historisch gesehen wird diese Tatsache mehrfach unterstrichen, wenn die Codes der Kindheitsgeschichten entschlüsselt werden. Josef wird ausdrücklich als jemand geschildert, der aus Nazareth in Galiläa stammt. Mit Galiläa verband man die Gegend des politischen Widerstands. Es war die Peripherie, in der Zeloten und Sikarier mit Guerillaangriffen den römischen Besatzungssoldaten das Leben schwer machten. Umso brutaler waren wiederum die römischen Repressionen. Idealtypisch wird die politische Dimension in den Kindheitsgeschichten nach Matthäus und Lukas geschildert: Josef, der mit Maria von Galiläa nach Betlehem zieht. Hier wird der politische Faden zwischen den Aufständischen im Norden des Landes und der Stadt Davids geknüpft. Josef, der mit Maria und ihrem Neugeborenen nach Ägypten flieht und damit in jenes Land, wo die Wiege des politischen Aufbruchs des Volkes Israel liegt. Josef, der zurück nach Nazareth in Galiläa geht und damit den Exodusfaden wieder aufnimmt. Die bildhafte Interpretation stellt dabei Josef als „Reisegefährt“ stets einen Esel zur Seite – jenes messianische Reittier, auf dem später „sein“ Sohn den Triumphzug in Jerusalem machen wird. Warum taucht Josef im späteren Leben von Jesus laut Evangelien nicht mehr auf? Vielleicht war er auch einer der Männer, die als Widerstandskämpfer von den römischen Soldaten umgebracht wurden. Josef, der als Bauhandwerker so viel Leid in der Bevölkerung sehen musste, so viel an Ausbeutung, an Gewalt – vor allem gegenüber Frauen: es wäre verständlich gewesen, wäre er auch wie viele andere im offenen Widerstand gewesen und deswegen umgebracht worden. Der Heimatort Jesu, die kleine Stadt Nazareth, war nur wenig entfernt von Sepphoris, einer großen römischen Garnisonsstadt. Besatzungssoldaten vergewaltigten Frauen und töteten jüdische aufrührerische Männer. Im ganzen römischen Reich war vor allem das jüdische Volk aufgrund seiner Religion und Geschichte am wenigsten bereit, sich unterjochen zu lassen. Der Jude und Davidide Josef: Ein politischer Widerstandskämpfer, der sich in die Höhlen von Galiläa zurückgezogen hatte und mehr dem Idealtypus eines sozialistischen Arbeiterführers entspricht, der nicht als greiser Mann im Bett stirbt, sondern die römische Macht herausgefordert hatte. Von ihm hat dann Jesus nicht nur das Zimmerhandwerk gelernt, sondern zugleich die politische Querköpfigkeit geerbt.
Widerständisch war Josef auch angesichts der Tatsache, dass Maria bereits während der Verlobung schwanger geworden ist. Das jüdische Gesetz hätte es verlangt, seine Verlobte zu verlassen. Für Maria hätte es sogar das Todesurteil bedeuten können. Josef, weil er „gerecht“ war, hält sich nicht an den Buchstaben des Gesetzes. „Sein“ Sohn Jeschua wird dann später zum Rabbi, der jedes Gesetz unter der Perspektive des barmherzigen Abba-Gottes interpretiert. In diesem Sinne wiederum war Josef ein guter Vater, der Jesus liebevoll zärtlich aufzog, ihm die Geschichten des jüdischen Volkes erzählte – die Makkabäeraufstände dürften wohl auch nicht zu kurz gekommen sein, mit ihm daheim und in der Synagoge betete, ihm das Handwerk lernte aber auch die Art und Weise, politisch aktiv zu sein. Der Holz- und Steinarbeiter Josef legte ihm wohl den Traum vom Reich Gottes in die Wiege.
Josef verorte ich daher nicht nur mit Windeln und Kochtopf, sondern ich sehe ihn wie einen Mann im legendären Gemälde von Novecento. Neben ihm könnte Maria mit dem Jesuskind sein. Josef nicht nur mit Windeln, sondern ein Mann, der als Arbeiterführer im gewerkschaftlichen Kampf involviert ist, Josef, der eine Greenpeace-Fahne auf dem Kühlturm eines Atommeilers entrollt, der mit versteckter Kamera in die Massentierhaltungsfabriken eindringt, der auf einem NGO-Schiff Flüchtlinge im Mittelmeer vor dem Ertrinken rettet oder als indigener Umweltaktivist den Kampf gegen die Abholzung der Regenwälder für Palmölplantagen führt, ein Palästinenser, der mit einer Spraydose auf die Unrechtsmauer des israelischen Staates „Free Palestine“ sprüht, ein schwarzer Menschenrechtsaktivist in den Favelas von Rio de Janeiro, der mit Marielle Franco Seite an Seite kämpfte, oder der eine Person, die sich einfach jeden Tag neu bemüht, den ungerechten Systembedingungen nicht willfährig zu sein. Josef glaubte sicher an den Traum vom „Reich Gottes“, das nicht nur in uns zu suchen ist, wie der neue Film über Maria Magdalena suggeriert, sondern die konkreten Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser Welt im Sinne von Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit verändern möchte.
Klaus Heidegger, zum Josefstag 2018