Von der Zerstörung des Planeten und der Vielfliegerei
Nach dem wärmsten April seit Aufzeichnungen von Wetterdaten können wir bereits in den ersten Maiwochen des Jahres 2018 sommerliche Temperaturen spüren und sehen Felder, die austrocknen, so als wäre es Hochsommer. Im Osten Österreichs gab es heftige Gewitter. Das Wetter spielt verrückt. Die Folgen der Klimaveränderung im Alpenraum sind besonders merk- und fühlbar. Kardinal Schönborn hat in einer Kolumne am 4. Mai 2018 geschrieben: „Schönwetter-Prognosen werden unheimlich.“ Im Jahr 2017 gab es mit 25,2 Metern den höchsten Gletscherrückgang seit 1960. Der Verkehr ist hierzulande der Hauptverursacher für klimaschädliche Emissionen und damit sind eine Verkehrspolitik und eine Änderung in der Art und Weise, wie Menschen und Waren transportiert werden, der Schlüssel für eine nachhaltige Klimapolitik. Das betrifft nicht nur den Schwerverkehr auf den Straßen mit fast täglich neuen Rekordmeldungen, sondern auch den Individualverkehr. Kaum thematisiert und problematisiert wird jedoch der Flugverkehr.
Auf Plakatflächen wirbt seit einigen Wochen – es ist ja Hauptbuchzeit für Urlaubsreisen – landauf landab der Flughafen Innsbruck mit einer in ein Dirndl gekleideten Frau, die ihre Hände wie die Flügel eines Flugzeugs ausstreckt und schon abgehoben ist. In den Printmedien inserieren Reisebüros für Flugreisen. Ganze Schulklassen machen sich auf für Sprachreisen und Tausende Maturantinnen und Maturanten wurden für eine megageile Maturareise in irgendeinem Club am Meer gekeilt, wo unbegrenzt der letzte Funken an Ökogefühl hinunter gesoffen werden kann. Kürzlich entdeckte ich ein Plakat, das in einer 7. Klasse bereits für eine einwöchige Maturareise 2019 nach Thailand wirbt. 999 Euro.
Der Flug zu den angepriesenen Traumständen wird jedoch zum Albtraum für Millionen Menschen, die zu Opfern der Klimaveränderung geworden sind. Neue Flughafenpisten werden gebaut. Anderswo im Süden dieser Welt breitet sich die Wüste aus. Klimaveränderung, Ausbeutung der Ölfelder, Gewinne aus dem Ölgeschäft und Kriegsindustrie hängen ursächlich zusammen. Am Beginn des nun schon siebenjähriges Krieges in Syrien standen klimatisch verursachte Dürrezeiten.
Tabakkonsum und Flugkonsum: eine Analogie
Als ich jung war, wurde unbekümmert (fast) überall geraucht. Mein Volksschullehrer paffte sogar in der Klasse und zu Weihnachten durfte ich ihm immer eine Stange Smart schenken. Es war kein Problem für mich als Knirps, beim Gemischtwarenhändler für meinen Opa um ein paar Schilling eine Packung filterlose A3 zu kaufen (er schrammte einige Jahre später knapp am Raucherbein vorbei). Ich erinnere mich noch heute an großflächige Werbetafeln für Marlboro, Memphis und Co und die Werbeeinschaltungen der Tabakindustrie gefielen einem Jugendlichen, versprachen sie doch all das, wonach sich ein Pubertierender sehnt: Freiheit, Lebenslust, Intimität. Mein Lieblingsort war aber das Widum (Pfarrhaus), wo uns Ministranten der Pfarrer – mein großes Vorbild – mit seiner Pfeife in eine permanente Tabakwolke hüllte. Die Kirche selbst war einer jener heiligen Orte, wo Weihrauchwolken gegenüber den Nikotinwolken Vorrang hatten. 10 Jahre danach war ich in Hörsälen an der Uni und links und rechts von mir glimmten die Tabakstängel. Auf den Zigarettenpackungen gab es damals keinerlei Warnhinweise. Das Wissen über die Schädlichkeit des Rauchens hat – zum Glück – einige Jahrzehnte später zu vielerlei Verboten geführt. Werbung für Tabakwaren wurde großteils untersagt, Rauchverbote verhängt. Was Mensch und Umwelt gefährdet, soll nicht beworben, sondern eingeschränkt werden. Lediglich rechtspopulistische Parteien weigern sich besserer Einsicht zu folgen. Die Sensibilität gegenüber den negativen Folgen des Rauchens ist heute da. Wann endlich kommt es zu einer Sensibilität gegenüber den zerstörerischen Konsequenzen von Flugreisen?
Flugreisen werden beworben und öffentlich gefördert
Jede Wochenendausgabe einer Zeitung ist voller Werbungen für Flugreisen. Um einen lächerlichen Preis werden Wochenendflüge in irgendeine Stadt angeboten. Selbst Zwickeltage werden genützt, um schnell in eine Großstadt Europas zu jetten. Großflächig lassen Airlines ihre Angebote affichieren. Man fliegt in den Urlaub. Schulen bieten für Klassenfahrten irgendwo ins Ausland Flugreisen an. Selbst die Kirchenzeitung, die ansonsten ökologische Achtsamkeit predigt, wirbt in regelmäßigen Abständen für Pilgerreisen mit Flugzeugen. Die öffentliche Hand fördert den Ausbau von Flughäfen. Diesel und Benzin werden besteuert. Die Mineralölsteuer beträgt rund 50 Cent pro Liter. Das ist im Vergleich zu anderen Ländern immer noch weniger – weswegen der Tanktourismus in Österreich rund 20% beträgt – doch immerhin wird dadurch eine gewisse Lenkung erreicht. Wie steht es aber mit der Besteuerung des Kerosins? Im Gegensatz zu Benzin und Diesel ist Flugbenzin für den kommerziellen Flugverkehr von der Mineralölsteuer befreit. Das ist ein eindeutiger Wettbewerbsnachteil für alle anderen Verkehrsmittel. Nun soll auch die Ticketsteuer für Flugtickets fallen.
Klimasünder Flugzeuge
Das beschleunigte globale Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr kommt auch im Luftverkehr an: Insgesamt wuchs die weltweite Luftfahrt im Jahr 2017 um 7,6 Prozent. Besonders stark war das Wachstum in Europa, wo der Luftverkehr um 8,2 Prozent zulegen konnte. Bereits im Jahr 2013 – aktuelle Zahlen fehlen noch – hat der Flugverkehr in Österreich rund 705.000 Tonnen Treibstoff verbraucht und dadurch 2,17 Millionen Tonnen CO2 verursacht. Der Flugverkehr trug also bereits vor fünf Jahren so viel zu Treibhausgasen bei wie rund eine Million Autofahrer mit ihrem privaten Pkw in einem ganzen Jahr emittieren. Der Flugverkehr trägt zum Klimawandel bei, auch wenn er in der Kyoto-Klimabilanz nicht aufscheint.
Fliegen ist eindeutig die klimaschädlichste Fortbewegungsart, die zugleich am meisten beworben und am wenigsten besteuert wird, was heißt: Die ökologisch bedenklichste Fortbewegungsart wird von der Politik gefördert. Laut Greenpeace belastet eine einzige Flugreise von Wien nach New York die Erdatmosphäre durchschnittlich so stark wie ein Jahr Autofahren. Im Verhältnis zur Bahn verursacht das Auto 10-mal so viel CO2-Emission, ein Langstreckenflug 18-mal und ein Kurzstreckenflug 23-mal so viel. Kurt Langbein zeigt in seinem jüngsten Film, Zeit für Utopien, auf, wie klimaschädlich Fliegen ist. So entspräche eine Flugreise nach New York genau jenem CO-2-Verbrauch, den ein Mensch pro Jahr beanspruchen könnte, damit die Kyoto-Klimaziele eingehalten werden könnten.
Kondensstreifen hinter Flugzeugen und ihre Folgen heizen die Erde stark auf. Sie verursachen bereits mehr Erderwärmung als das angesammelte Kohlendioxid seit Beginn der Luftfahrt ausgestoßen hätte, heißt es in einer Studie. Aus den Kondensstreifen entstehen so genannte Zirren – Wolken aus Eispartikeln. Ihre Fläche ist etwa neunmal größer als der linienförmige, meist sichtbare Streifen, den Flugzeuge am Himmel hinterlassen. Da Kondensstreifen in der Luft enthaltene Feuchtigkeit verbrauchen, reduzieren sie die Bedeckung durch natürliche Wolken. Beide – natürliche und künstlich erzeugte – Zirren verringern jedoch die Infrarotausstrahlung der Erde und erwärmen so das Klima.
Wie sehr die Fliegerei zunimmt, zeigt auch ein so kleiner Flughafen wie Innsbruck. So verzeichnete allein der Innsbrucker Flughafen im vergangenen Winter an manchen Wochenenden bis zu 120 Starts und Landungen, was einem Zehn-Minuten-Takt gleichkommt. Die Aufwärtsentwicklung geht weiter. Neue Direktverbindungen von Innsbruck in verschiedene Städte Europas sind geplant. Lärmgeplagte Anrainer des Flughafens werden mit Lärmschutzfenstern vertröstet. Kritische Berichte über das steigende Flugverkehrsaufkommen gibt es kaum.
Wertvolles Öl wird als Kerosin verbrannt
Die Ölvorräte dieser Welt gehen zu Ende. Dort, wo gebohrt und gefördert wird, werden ganze Landstriche verwüstet und wird das Leben der ansässigen Bevölkerung gefährdet. Die Bohrinseln sind ein permanentes Gefährdungspotenzial: Dennoch bleibt der Preis für Kerosin auf niedrigem Niveau. Wegen der knapper werdenden Ölvorräte werden heute schon Kriege geführt und künftige geplant. Der Arktis drohen durch Ölbohrungen gigantische Umweltdesaster. Durchschnittlich verbraucht ein Flugpassagier pro 100 Kilometer 5 Liter Kerosin. Aufgrund der in 10.000 Kilometer Höhe gegebenen Bedingungen kommt die Verbrennung von 5 Liter Kerosin einer Klimaschädlichkeit von 25 Liter zu.
Reife mit ökologischer Unreife
Weiterhin lassen sich Abertausende Maturanten und Maturantinnen auf die Maturareiseindustrie im Stile von Summer Splash & Co ein. Die Nachfrage wird geschickt von der Werbeindustrie angeheizt. Großbanken, Boulevard-Presse und Energy-Drink-Produzenten saugen mit ihrer Geldmacht die jungen Menschen an. Wer sich auf diese Reisen einlässt, hat jedenfalls ein ökologisches Reifezeugnis nicht verdient. Irgendetwas wurde hier in vielen Unterrichtsstunden nicht vermittelt. Was haben die Schüler und Schülerinnen über Klimaveränderung gelernt, die wesentlich Folge des ungebremsten Flugverkehrs ist? Was haben sie gelernt über die Ausbeutungsverhältnisse in den großen Clubs irgendwo in Antalya? Waren die zerstörerischen Auswirkungen des Massentourismus – beispielsweise auf den Balearen – jemals ein Thema in Referaten, wo über den Dreck überlasteter Kläranlagen, der im Meer landet, über die wachsenden Müllberge, den hohen Energieverbrauch durch Klimaanlagen etc. berichtet wurde. Geographie und Wirtschaftskunde, Biologie und Politische Bildung, Religion und Ethik … was haben die Schüler und Schülerinnen gelernt, wenn dann doch ihr Handeln von ökologischer und sozialer Ausbeutung geprägt ist? Oder war die Klimaveränderung kein Thema im Unterricht oder wurde sie gar kleingeredet? Vielleicht auch waren wir Lehrer und Lehrerinnen zu wenig Vorbild und zu wenig glaubwürdig. Können wir jungen Menschen vorwerfen, in der Welt herumzufliegen, wenn mit wenigen Ausnahmen die ökologisch-moralische Verderbtheit ohnehin zum Programm erkoren wurde? Die Diagnose zunehmender Affluenza – mit den Symptomen von sozial-ökologischer Verantwortungslosigkeit, Beliebigkeit und moralischer Verwahrlosung – trifft auf die industriellen Maturareisen sicherlich in weitem Maße zu.
Die Alternative: Auf Flugreisen verzichten
Innerhalb von Europa kann wohl gänzlich auf ein Flugzeug verzichtet werden. Der positive Nebeneffekt für Bahn-Reisende: Man nähert sich dem Urlaubsland langsamer, nimmt landschaftliche Eindrücke auf und kann sich bereits auf dem Weg in den Urlaub oder zu beruflichen Zwecken auf die veränderten klimatischen Bedingungen einstellen. Vor allem aber gilt heute besonders: Muss es wirklich eine ferne Destination sein, oder könnten nicht viel mehr die Schönheiten vor Ort mehr entdeckt und genossen werden? Ein Selfie von einer Südseeinsel wird ein Enkelkind in 40 Jahren, wenn die Gletscher verschwunden und ebendiese Insel unter Wasser sein werden, einmal anders beurteilen.
Klaus Heidegger, 8. Mai 2018