Am Wilden Freiger (3418m) im Stubaital. August 2018. Ich sitze auf einem Felsblock, wo vor ein paar Jahren noch Eis und Schnee waren. Ich sehe, wie die Ferner unter mir schmelzen. Unzählige Bächlein haben sich auf einer gräulich gewordenen Eisfläche gebildet. Ich höre ihr Glucksen und Plätschern. Wer die Klimaerwärmung immer noch leugnet, sollte hier heraufkommen. Die Gletscher sind das Fieberthermometer des Weltklimas. Und die Erde hat Fieber. Die Krankheitserreger sind oben in der Luft mit ihren Kondensstreifen und unten auf der Erde. Menschenmassen befeuern mit ihren Verbrennungsmotoren das Schrumpfen ehemaliger Eismassen. Der Wilde Freiger ist längst kein Eisriese mehr und selbst das nahe Zuckerhütl hat seinen Eiszucker verloren und ragt nur mehr steinern-nackt am Ende des Stubaitales heraus. Was ich letzte Woche schon im Pitztal hörte: Von so manchem Felsenhang lösen sich Erdrutsche und Steine donnern hinunter. Der einst gefrorene Boden ist instabil geworden. Der Sulzenauer Ferner unter mir – in wenigen Jahren wird er wohl verschwunden sein. Was statistisch in den Zeitungen steht – im Jahre 2050 wird die Hälfte der Gletschermasse gemessen am Jahr 2000 geschmolzen sein: es wird hier sichtbar. Was wird dann sein? Woher werden in Zukunft die Trinkwasserreservoirs gefüllt werden, wenn im Sommer in den aufgeheizten Alpentälern kein Schmelzwasser mehr zur Verfügung stehen wird? Wer heute in ein Auto steigt, sollte sich bewusst machen, was Klimaforscher und Glaziologen berechnet haben: Umgerechnet auf ein 2016 neu zugelassenes Durchschnittsauto geht für alle 500 Meter Autofahrt ein Kilogramm Gletschereis verloren. Dankbar bin ich, an einem Sommertag wie diesem auf einem der „Seven Summits“ des Stubaitales zu stehen, dankbar für die unbeschreibliche Schönheit der Natur, deren Artenvielfalt auch mit den Gletschern zusammenhängt. Das Erleben dieser Schönheit verbinde ich zugleich mit etwas, das als „Moral“ bezeichnet wird – oft abfällig gemeint. Und die „Moral von dieser G`schicht‘“ – steig‘ möglichst wenig in ein Auto und ein Flugzeug!
Klaus Heidegger, 17.8.2018