Debatte über Zölibat und Missbrauch entkoppeln
Ein Nachdenken, Schreiben und Reden über den Zölibat sollte unabhängig von der Debatte über Missbrauchsfälle geführt werden. Nicht der Zölibat ist die Ursache für die schrecklichen Vorfälle, sondern das kriminelle Fehlverhalten einiger weniger Kleriker. Würden Zölibat und Missbrauch in einen direkten Zusammenhang gebracht werden, würden alle zölibatär lebenden Menschen quasi unter Generalverdacht geraten.
Mit Blick auf die die Priester in unserem Land, die sich unermüdlich und vorbildlich für die Menschen und die Gesellschaft einsetzen, ist es wichtig, dass durch die schrecklichen Vorfälle einiger weniger die Lebensform der Ehelosigkeit nicht an sich als negativ bewertet wird. In diesem Punkt kann ich ganz der Positionierung von Bischof Hermann folgen. Alexandra Plank hat mich in ihrem Artikel vom 30. September 2018 in der Tiroler Tageszeitung dazu korrekt wiedergegeben.
Nur in wenigen Ausnahmefällen kann unter dem Deckmantel des Zölibats eine Person ihre Sexualität in einer Weise verdrängen, dass sie zur Gefahr für andere wird und zu kriminellen Handlungen führt. Diese kriminelle Energie und sexuelles Fehlverhalten könnte aber auch unabhängig vom Zölibat auftreten.
Die #MeToo-Bewegung hat deutlich gezeigt: Sexuelle Gewalt und Übergriffe sind nicht ursächlich mit einer bestimmten Lebensweise zu verknüpfen. Missbrauch geschah durch Ehemänner und durch allein lebende Männern, ist unabhängig jeder sozialen Stellung und von jedem Alter.
Motive für die Aufhebung des Zölibats
Wenn der Zölibat in Diskussion gerät, so braucht es dennoch den Mut, über dieses Gesetz unabhängig von der Missbrauchsdiskussion nachzudenken und das Gespräch darüber mit Blick auf die Pastoral und die theologischen Implikationen zu suchen.
- Die Aufhebung des Zölibats könnte dazu führen, dass die vielfältigen Berufungen zu einem priesterlichen Dienst ernst genommen werden. Männer, die sich zwar zu einem priesterlichen Leben berufen fühlen, den Zölibat aber nicht leben können, könnten die großen Lücken füllen, die in unseren Pfarren sowie in der kategorialen Gebieten bestehen.
- Der Blick auf die priesterlosen Gemeinden, die immer größer werdenden Seelsorgsräume, die Reduzierung der Eucharistiefeiern oder auf Priester, die bis ins hohe Alter für immer noch mehr Gläubige zuständig sind, wirft nicht erst heute die Frage auf, ob die verpflichtende Ehelosigkeit für römisch-katholische Priester wirklich die Antwort für eine missionarische Kirche der Gegenwart und Zukunft ist. Solange jedenfalls die Sakramente als Wesensmerkmale der römisch-katholischen Kirche an das Priesteramt geknüpft sind, werden immer weniger Priester dafür sorgen müssen, dass das Recht der Gemeinden auf die Sakramente von der sonntäglichen Eucharistiefeier bis zur Krankensalbung gewährleistet werden kann. Gläubige in diesem Land brauchen die Sakramente, v.a. die Eucharistie – aber auch die Krankensalbung. Sie brauchen keine anonyme Versorgung mit Sakramenten von „Blaulichtpriestern“, sondern Seelsorger, die ihre Situation kennen und sich so ganz auf sie einlassen können.
- Freilich ist der Mangeln an Priestern – diesen gibt es tatsächlich und kann nicht wegdiskutiert werden – nicht das einzige Motiv, warum Zölibat und Priesteramt entflochten werden sollten.
- Die Entkoppelung von Priesteramt und Zölibat würde weiters bedeuten, dass das Charisma der Ehelosigkeit, das manche in der Nachfolge Jesu wählen, durch den Charakter der Freiwilligkeit stärker akzentuiert würde. Die Bedeutung der freigewählten Ehelosigkeit für Ordensleute würde ebenfalls unterstrichen und nicht vermischt mit dem Zölibatsgesetz für weltliche Priester.
- Priester, die ihrer Berufung treu bleiben und zugleich aber für sich den Wert von Partnerschaft erfahren, würden nicht in untragbare Widersprüche geraten. Hinter der Zölibats-Frage stehen Lebensschicksale von Männern und deren Beziehungen – also auch die Schicksale von Priester-Frauen und deren Kinder. Es sind Biographien von Männern, für die ein Leben als Priester nicht auch gleichbedeutend war mit einem Leben ohne eheliche Partnerschaft.
- Unabhängig von pastoralen Erwägungen würde auch der Stellenwert der Sexualität in der römisch-katholischen Kirche eine besondere positive Aufmerksamkeit erlangen. Wenn Sexualität und Spiritualität auseinandergerissen werden, kann das Herz zerreißen. Wenn es stimmt, dass Sexualität eine Quelle der Spiritualität sein kann, dann kann diese Dimension auch positiv in das Leben von Priestern integriert werden.
Ordination von Frauen
Wenn nun über die Entkoppelung von Weihe und Ehelosigkeit für Männer nachgedacht wird, so muss dies zugleich immer verbunden werden mit der Forderung, Frauen den Zugang zum Diakonat und Priesteramt zu ermöglichen. Die Verdrängung der Frauen von diesen Ämtern ist Sexismus, weil es eine Selektion aufgrund des Geschlechts ist, bleibt somit eine Wunde in der Kirche, die völlig im Widerspruch steht zur Stellung der Frauen im Neuen Testament und der Jesusbewegung.
Damit soll die Zulassung der Frauen zum Weiheamt nicht so sehr aufgrund eines Weihemangels geschehen, sondern aus Gründen einer viel tieferliegenden Gendergerechtigkeit, die dem Wesen des Evangeliums entspricht.
Kein Klerikalismus
Gleichzeitig mit geänderten Zugangsbedingungen zum Weiheamt muss zurecht vor der Gefahr des Klerikalismus gewarnt werden, die Papst Franziskus schon öfters angesprochen hat. Nur Frauen als Priesterinnen zu weihen und Männern im Priesterdienst die Ehe zu ermöglichen könnte tatsächlich auch bedeuten, dass Aufgaben, die gegenwärtig aufgrund des Mangels an Priestern auf viele Gläubige verteilt werden, wieder auf Kleriker konzentriert werden.
Bereitschaft zur Reform und Konzil
Ob es die Abschaffung des Zölibats ist oder die Frage der Ordination der Frauen: Es sind Anliegen, die Laienorganisationen an die Ortsbischöfe vorlegen. Theologen und Theologinnen, kirchliche Reformbewegungen, Pfarrerinitiativen und Laienorganisationen verlangen seit vielen Jahren ein Konzil, in dem die Kirche den Mut hat, sich den neuen Herausforderungen auf der Basis des Evangeliums anzupassen. Als einer der Wünsche für die Jugendsynode im Vatikan wurde von einem jugendlichen Teilnehmer formuliert: „Pfarrer sollen heirate dürfen, auch Frauen sollten Pfarrer werden.“ Das sei notwendig für die Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit der Kirche. Eine Änderung der Kirchenstrukturen kann Hand in Hand gehen mit dem missionarischen Aufbruch, der jetzt schon möglich ist. Zölibat und der Ausschluss der Frauen von den Weiheämtern bleiben große Stolpersteine, die im Weg dieses Aufbruchs liegen.
Es ist überaus positiv, wenn in der Diözese Innsbruck ein neuer Aufbruch gewagt wird und wenn die große Bereitschaft von so vielen Gläubigen, die Kirche mitzutragen und mitzugestalten, spürbar wird. Dieser Aufbruch braucht aber gleichzeitig den Willen zur Strukturveränderung.
Klaus Heidegger, mit Stand vom 6. Oktober 2018