Kirchlicher Rückenwind und Stolpersteine für gleichgeschlechtlich Liebende

Das Positive zuerst. Längst haben Vertreterinnen und Vertreter aus den Kirchen – hier spreche ich bewusst in der Mehrzahl – sich von einer schrecklichen Last aus der Vergangenheit befreit. Homophobie in der Kirche, in kirchlicher Verkündigung und im Lehramt sind mehrheitlich und tendenziell einer prinzipiell schwulen- und lesbenfreundlichen Haltung gewichen. Dies betrifft insbesondere die Evangelische Kirche. Aber auch im Herzen der römisch-katholischen Kirche – damit meine ich nicht den Vatikan – finden wir unter den Laienorganisationen wie bei Bischöfen, bei Theologieprofessorinnen und Professoren und im Religionsunterricht eine theologisch begründete Anerkennung gleichgeschlechtlich Liebender.

Martin Lintner, Professor für Moraltheologie in Brixen, hat bereits vor einigen Jahren ein wertvolles Buch mit dem Titel „Den Eros entgiften“ geschrieben. Mit diesem Titel greift er die Kritik von Friedrich Nietzsche auf, der meinte, „Das Christentum gab dem Eros Gift zu trinken: – er starb zwar nicht daran, aber entartete zum Laster.“ In besonderer Weise ist jener Eros vergiftet worden, der sich auf gleichgeschlechtlich Liebende bezieht. Die römisch-katholische Kirche hat sich bei dieser Giftmischerei in der Geschichte vielfach schuldig gemacht. Und auch heute noch mixt so mancher zumindest im Hintergrund seine Giftfläschchen und bedient sich dabei längst überholter Textpassagen aus dem Weltkatechismus oder der Instruktion zur Priesterausbildung, mittelalterlicher Beichtspiegel oder einer fundamentalistisch-verengten Bibelinterpretation. Umso mehr braucht es daher heute ein Reden und Handeln der Verantwortlichen der Kirche und eine Praxis in den kirchlichen Gemeinden sowie eine Verkündigung, die geprägt ist von einer großen Achtsamkeit gegenüber den gleichgeschlechtlich Liebenden.

Dem widersprechen in jüngster Zeit Maßnahmen und Äußerungen aus dem Vatikan und von bischöflichen Stellen: Positive Aussagen zur Homosexualität und zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare haben eine weitere Amtszeit des Rektors der Theologisch-Philosophischen Hochschule Sankt Georgen, den Jesuitenpater Ansgar Wucherpfennig, ab 1. Oktober 2018 verhindert. Das Nein kam von der Bildungskongregation im Vatikan, die vom Jesuitenpater einen öffentlichen Widerruf seiner Positionen verlangte. Wucherpfennig wiederum sieht seine Positionen nicht im Widerspruch zur katholischen Lehre. Die gesamte Diözesanleitung des Bistums Limburg, der Jesuitenorden, Laienorganisationen wie der Bund der Katholischen Jugend haben sich allerdings gegen die vatikanischen Vorgänge ausgesprochen. An einer katholischen Privatschule in Deutschland wurde der Vertrag eines Lehrers gekündigt, weil er öffentlich bekanntgab, mit seinem Partner eine zivilrechtliche Verbindung einzugehen. In Österreich wiederum kam von katholisch höchster Stelle, Kardinal Christoph Schönborn, ein deutliches Nein zur zivilrechtlichen „Ehe für alle“. Davor schon sprachen sich Vertreter kirchlicher Organisationen, die im Katholischen Laienrat Österreichs zusammengefasst sind, gegen die vom Verfassungsgerichtshof geforderte Einführung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare aus. Zentraler Punkt der Argumentation von Schönborn wie Katholischem Laienrat lautet: Ehe sei untrennbar mit der Fähigkeit zur Zeugung der Nachkommenschaft verbunden.

Selbst mit Blick auf das Kirchenrecht lässt sich diese Argumentation jedoch nicht durchhalten. Längst sieht die katholische Kirche eine „Zeugungsunfähigkeit“ nicht als Ehehindernis an – zum Unterschied von der „Beischlafunfähigkeit“, die überholterweise noch als Ehehindernis in konservativ-fundamentalistischen Diktionen angegeben wird, in dieser Form jedoch längst schon im Widerspruch steht zu anderen kirchlichen Texten. Eine kirchliche Argumentation, die also Offenheit gegenüber der Nachkommenschaft – und implizit ist damit immer Zeugungsfähigkeit gemeint – als Kardinalargument gegen eine Ehe für alle anführt, widerspricht sich selbst.

Heute ist es jedoch mit Blick auf die Sakramentheologie der Kirche wie der Moratheologie wichtig, andere Blickwinkel in die Diskussion einzubringen. Eine positive Argumentation lautet, dass durch die Institution der Ehe das gleichgeschlechtlich liebende Paar dokumentieren würde: Wir sind nicht „anders“ als Heteropaare mit unserem Willen, in Partnerschaft, in Treue und in Liebe füreinander einzustehen, „bis dass der Tod und scheidet“. Gleichgeschlechtlich Liebende bezeugten öffentlich, dass sie nicht auf den Aspekt der Sexualität reduziert werden möchten, sondern dass ihre Beziehungen eine Fülle an zwischenmenschlichen Qualitäten aufweisen. Gerade die schwulen Partnerschaften werden in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch oft mit Promiskuität verbunden – und damit mit HIV-Gefahren. Eine Entgiftung solcher Images könnte durch die Institution der Ehe für alle geschehen, weil dann gleichgeschlechtliche Partnerschaften nicht mehr „verheimlicht“ werden müssten, weil sichtbar würde, wie gleichgeschlechtlich Liebende sich in Treue und mit Respekt füreinander und als Paar für die Gemeinschaft einbringen können.

Klaus Heidegger, 9. Oktober 2018