Im Gedenken
Beginnend mit dem Allerheiligentag über Allerseelen und den Seelensonntag am 4. November 2018 finden in unserem Land die traditionellen Gedenkfeiern und Gedenkgottesdienste bei den sogenannten Kriegerdenkmälern statt. Kränze werden niedergelegt, „Ich hatte einen Kameraden….“ wird gespielt, stramm stehen Abgeordnete des Bundesheeres und es ist vor allem der Tag für die lokalen Kameradschaftsbünde. Auf den Inschriften der Gefallenen – so werden die Männer bezeichnet, die zum Opfer unsinniger Schlachten geworden sind – steht vielfach das Jahr 2018. 100 Jahre sind seit dem Ende des 1. Weltkrieges vergangenen, der 20 Millionen Tote und unvorstellbares Leid mit sich gebracht hat und dann wenig später in einen noch größeren Krieg mündete, weil zu viele nicht begriffen, dass mit Militär und Rüstung nur Kriege geführt werden können.
Kriegerdenkmäler
Landauf landab erschrecken mich Kriegsdenkmäler. Kein Dorf und kaum ein Kirchenvorplatz ist vor ihnen verschont geblieben. Sie gehören zu unserem Landschaftsbild wie die Kirchtürme. Zu viele Denkmäler stilisieren die Gefallen als „Helden“ oder als „Märtyrer“, die ihr Leben für den Staat geopfert haben. Mit solcher Heldenmythologie sollten die Angehörigen getröstet und dem Töten und Getötetwerden posthum ein Sinn verliehen werden. Ich denke an das Kriegerdenkmal vor der Kirche in Absam. Heldenhaft und in XXX-Large-Ausführung beherrscht der stahlbehelmte Krieger in Uniform den Kirchplatz. Er steht auf einem mächtigen Sockel mit dem Eisernen Kreuz. Vom Kamerdaschaftsbund wurde ein frischer Kranz davor gelegt.
Feindesliebe oder Heldentod?
Die in Stein gehauene, in Beton gegossene oder auf Wände gemalte Symbolik vieler Kriegsdenkmäler ist ein Widerspruch zur Tradition des gewaltfreien Jesus von Nazareth. Er starb am Kreuz und verlieh kein „Eisernes Kreuz“. Er rief zur universalen Feindesliebe auf und nicht zum gewaltsamen Kampf für das Vaterland. Vielleicht würde dieser Jesus von den heutigen wackeren Verteidigern des christlichen Abendlandes auch als „linker Heimathasser“ und „linker Multikulti-Fetischist“ beschimpft werden, weil er nicht zum Kampf aufrief, sondern zum gewaltfreien Engagement für den Frieden. Die Botschaft der jesuanischen Strategie ist nicht der militärische Kampf gegen Feinde, sondern Entfeindung.
Kriegerdenkmäler sollten Mahnmale sein
Ich wünschte mir so sehr, dass die Denkmäler die Botschaft verkörperten: „Die Gefallenen waren sinnlose Opfer des Krieges – gewiss keine Helden.“ Es sollten Mahnmale sein, die schreien könnten: „Nie wieder Krieg! Hört auf mit Rüstung und Aufrüstung und dem Üben für den Krieg!“ Jemand, der mit der Waffe in der Hand stirbt, ist kein Held. Stark waren die Frauen, die ihre Männer im Krieg verloren und als Witwen allein für Kinder und Hof verantwortlich sein mussten. Mutig waren jene Männer, die als Deserteure den Krieg verweigerten. Ihnen wurden keine Denkmäler gesetzt. Kriegsgräber und -denkmäler sind Zeugen vergangener Kriege und Gewalttaten, sind Zeichen der Sinnlosigkeit solcher Unterfangen und weisen auf die ungeheuren Opfer der Kriege hin.
Gedenkkultur heute
Heute wäre es angebracht, dass Denkmäler, die Soldaten in heldenhaften Posen zeigen, scheinbar triumphierend über den Tod, in Hinterhöfe geräumt würden, wo sie vor allem Kindern nicht mehr eine falsche und gefährliche Ideologie vermitteln. Es wäre höchst an der Zeit, dass blasphemische Aufschriften, die den barmherzigen Gott Jesu Christi wie den Kriegsgott Mars sehen, verschwänden. Heute müsste jedes Gedenken Krieg und Aufrüstung verurteilen und der Gewaltverzicht des Jesus von Nazaret sollte verkündet werden. Heute müsste auch an jene gedacht werden, die als Deserteure umgebracht wurden. Auf den Tafeln hieße es nicht mehr „In Treue für das Vaterland gefallen …“, sondern „für die Opfer des Krieges … nie wieder Krieg!“ So manches Kriegerdenkmal könnte so sprachlich „entschärft“ werden und eine sinnvolle, antimilitaristische und friedensproduktive Funktion erfüllen.
Wenn „Nie wieder Krieg!“ die Botschaft der Gedenkfeiern ist, dann würde es auch bedeuten: Ein Nein zur militärischen Aufrüstung, wie sie gegenwärtig in den allen EU-Staaten aufgrund von PESCO – des Aufbaus einer gemeinsamen EU-Verteidungs- und Militärallianz – geschieht. Dann wäre es ein Nein zu Militärdienstverpflichtungen wie der Allgemeinen Wehrpflicht, die ein Relikt aus Kriegszeiten ist genauso wie die Kriegsdenkmäler. Es wäre ein Ja zur großen Friedensdividende, in der die Abermilliarden, die heute für militärische Mittel ausgegeben werden, in Friedenszwecke investiert werden.
Wenn bei den Denkmälern am Allerseelensonntag Patriotismus zelebriert wird, dann sollte es nicht geschehen im Sinne des ewiggestrigen Nationalismus jener, die Aufrüstung propagieren, um gegen Flüchtlinge Krieg zu führen. Die Kirchen heute sind auf Seite jener, die den Migrationspakt der Vereinten Nationen als Chance begreifen und nicht jener, die Armeen benützen wollen, um sich abzuschotten vor der Not in der Welt. Wer heute Menschen, die im Sinne der gewaltfreien Botschaft des Evangeliums aktiv sind, verbal verunglimpft, wird sich bei den kirchlichen Gedenkfeiern wohl nicht mehr wohl fühlen können. Das Wort Jesu aus dem Evangelium vom Allerheiligenfest, „Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben…“ wird zum Vorzeichen für die Gedenkfeiern am Seelensonntag.
Getrennt von den traditionellen Gedenkfeieren wächst längst schon ein anderes Gedenken heran. Ich darf es in meiner unmittelbaren Umgebung erleben. Im Kursaal der Stadt Hall wurde am Vorabend des Seelensonntags 2018 das Musical über Pater Franz Reinisch aufgeführt. Der Pallotinerpater, gebürtiger Innsbrucker und ehemaliger Schüler des Franziskanergymnasiums in Hall, hatte den Mut, gegen den Hitlerfaschismus anzureden. Als er zum Dienst in der Wehrmacht einberufen wurde, verweigerte er den Fahneneid auf Hitler. Vom Reichskriegsgericht wurde er zum Tode verurteilt und starb durch das Fallbeil. Bevor ich bei dieser denkwürdigen Aufführung über Franz Reinisch war, radelte ich über die Ganalm hoch über der wilden Schlucht, die Vomper Loch heißt. Hier hielten sich über viele Monate Deserteure versteckt, die sich ebenfalls dem Dienst in der Wehrmacht entzogen. Felix Mitterer setzte ihnen mit seiner Schreibkunst ein Denkmal, das seit einigen Wochen im Innsbrucker Landestheater aufgeführt wird. Die Vorstellungen sind längst alle ausverkauft. Ich wünsche mir, dass deren rebellischer Widerstandsgeist das kollektive Denken prägen würde. Dann gibt es weniger „Habt Acht!“ und mehr Achtung vor den Menschenrechten. Dann gibt es weniger Aufrüstung und mehr Geld für das, was not tut. Dann entdecken wir Kräfte in uns, die zur Entfeindung und nicht zum Hass auf andere führen.
Klaus Heidegger, Seelensonntag 2018