Paulus musste sich nicht vom Saulus bekehren – Nachdenken über das Fest „Pauli Bekehrung“

 

Fest Pauli Bekehrung, 25. Jänner 2020

Lieber Saulus!

Weil du mir vor allem über Briefe vertraut geworden bist, schreibe ich dir am heutigen Festtag „Pauli Bekehrung“. Eines gleich vorweg: Du hast dich nicht vom Juden Saulus zum Christen Paulus bekehrt. Nein: Jude bist du geblieben – und wurdest Nachfolger Christi zugleich. Was die Legende ausschmückte – das Licht, das dich vom Pferd stieß – dürfte wohl folgende Erfahrung ausdrücken. Es war notwendig, vom „hohen Ross“ zu steigen, um auf Augenhöhe mit den Menschen zu kommen. Das ist eine bleibende Botschaft. Vom Ross herunter kann keine Begegnung stattfinden. Unsanft bist Du jedenfalls gelandet und diejenigen, die du verfolgtest, haben so gehandelt, wie sie es von Jesus gelernt hatten. Ihren Feind pflegten sie, nahmen ihn mit in ihre Gemeinde. Ich denke an die wunderschönen orthodoxen Ikonen, in denen diese Geschichte bildhaft geschrieben wird. In der Mitte der Ikone liegst du als der vom Pferd Gestürzte am Boden, auf der rechten Bildhälfte  wirst du liebevoll von einem Jünger Christi an der Hand genommen und in ihre Gemeinde gebracht. Das stellt die linke Bildhälfte dar. Du sitzt in der Gruppe der Jünger und ihr lest gerade in den heiligen Schriften. Da gingen dir wahrscheinlich die Augen auf – und wie ein Blinder konntest du sehen, was du aus den Schriften des Judentums kanntest: Wie das Reich der Himmel beginnen kann und dass es Jeshua ben Mirjam war, der dafür lebte und starb.

Meine Anrede, lieber Saulus, dürfte dich schon etwas verwundern, schreibe ich dir doch als europäischer Christ aus dem „Abendland“, in dem du üblicherweise als Paulus angesprochen wirst. Selbst im Unterricht – ich bin Religionslehrer an einem Oberstufenrealgymnasium – beginne ich bei der Themeneinführung über dich gerne mit der Frage: „Was wisst ihr denn über den Apostel Saulus?“ Manche glauben dann zunächst, ich hätte mich versprochen und fragen nach:  „Meinten Sie nicht den Apostel Paulus?“ „Ist es der, der sich vom Saulus zum Paulus bekehrte?“ Und schon bin ich mitten im Thema, kann beginnen von dir zu erzählen, deinem Jüdischsein, das so typisch für dich war. Ich erzähle dann davon, wie du aufgewachsen bist in Tarsus in einer Diasporagemeinde, wie du selbst von deinen Eltern nach Saulus benannt worden bist, einem der ganz Großen des Judentums, wie Du als Pharisäer in Jerusalem gebildet wurdest und wie du, so wie jeder Pharisäer, als Zeltmacher auch ein eigenes Handwerk ausübtest. Ich erzähle, wie du dich zugleich mit den jüdischen Erneuerungsgedanken des Jeschua und seiner Nachfolger Stephanus, Mirjam, Simon, Jakobus und wie sie alle hießen auseinander gesetzt hast. Als Jude und Pharisäer hast du gespürt und gewusst, was sich dann im Damaskuserlebnis kristallisierte: Ja, dieser Zimmermann aus Nazareth – von Beruf ein Pharisäer und Handwerker wie du – hat gezeigt und gelebt, dass das Reich der Himmel funktionieren könnte. Du warst ein Zeitzeuge davon, wie sich die Anhänger und Anhängerinnen dieses Jeschua selbst nach seiner Hinrichtung nicht kleinkriegen ließen, sondern spürten: Er lebt dort, wo sein Botschaft gelebt wird, wo geteilt wird, wo die Armen und Hilfsbedürftigen in die Mitte gerückt werden.

Mit Blick auf eine schreckliche antisemitische und antijüdische Vergangenheit – mit ewig gestrigen Resten in der Gegenwart – ist es mir im Kontext von Schule und Bildungsarbeit wichtig, von einem „Saulus zu Paulus“-Denken wegzukommen, weil damit die Konnotation verbunden ist, von einem Judesein zu einem Christsein, mit dem heute umgangssprachlich gemeint ist: Vom Bösen zum Guten.

Ich bin dir, Saulus-Paulus, so dankbar für die morgenländischen jesuanisch-jüdischen Werte, die in unserem Abendland oft von Leistungsfixierung, Konkurrenz, Gier, Konsumismus, Gewaltverherrlichung, Gottlosigkeit und Egoismus verdrängt werden. Du, Saulus-Paulus, stehst mit deinem Doppelnamen, deinen großartigen Briefen und deinem Leben für das Verbindende zwischen den Kulturen und Religionen, konkret für die Verbindung von Orient und Okzident. Die Konfliktlinien der Vergangenheit, die im Laufe der Jahrhunderte so oft als Clash of Civilizations Anlass für Kriege und Feindschaft waren, werden in der Gegenwart von den Rechtspopulisten in Form eines plumpen Antiislamismus neu instrumentalisiert. Du, Saulus, bist ein Anwalt dafür, das Jüdische an unserem Christlichsein nicht zu vergessen, denn es ist – wie du selbst geschrieben hast – unser Rebstock und unsere Wurzel. Weil du selbst in der Multikulti-Stadt Tarsus aufgewachsen bist, als Jude inmitten von Griechen und Römern, weil du selbst auf der einen Seite römischer Staatsbürger warst und andererseits Jude wurdest du zum Völkerverbinder und ließest deine Erfahrungen – keine schöne Theorie nur – in dem Satz Gestalt werden „es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht mehr … denn ihr seid alle eins …“ Von diesem Geist der Akzeptanz und Toleranz, des Dialogs mit den Anderen und der Freude über die Verschiedenheit könnte unser Europa gestaltet werden, das vor  allem wegen dir als christliches Abendland bezeichnet worden ist.

So vieles mehr verbinde ich mit dir und deinem Leben. Ich stelle mir vor, wie du als Jude in Damaskus die jüdische Gemeinschaft von Menschen entdeckt hast, die in der Nachfolge Jesu das Brot teilten und füreinander sorgten. Obwohl du sie verfolgt hast, oder vielleicht gerade deswegen, haben sie den vom Pferd Gestürzten aufgenommen. Ihre Feindes- und Nächstenliebe hat dich wohl überzeugt, dass die Auferstehung Jesu kein leeres Geschwätz ist, sondern konkrete Eutopie.

Ich sehe dich als Charismatiker, dem es zugleich gelang, im ehrlichen theologischen Disput mit Petrus zu einer großen Einigung auf dem Apostelkonzil zu kommen. Mein Lieblingsbild ist jenes alte Fresko, wo du Wange an Wange mit dem Petrus abgebildet bist, eine Einheit in der Verschiedenheit und eine Versöhnung, die ich mir auch für die christlichen Kirchen heute wünsche. Meine Kirche, die katholische, braucht deinen charismatischen Eifer und du sollst nicht länger vor den Mauern Roms begraben sein. Mein Lieblingstext bleibt jener aus deinem ersten Brief an die Korinther, in dem du so wunderbar über die Liebe schreibst. Du konntest wahrscheinlich auch nur so schreiben, weil du selbst die Erfahrung von Verliebtsein und Liebe kanntest.

Dein „Saulus-Schüler“ und Paulus-Fan,
Klaus