Die Verehrung des Hl. Josef spielt in der römisch-katholischen Kirche sowie auch in Österreich eine zentrale Rolle. So ist Josef nicht nur der Gesamtpatron der Kirche, sondern auch Landespatron in vier österreichischen Bundesländern. Die Josefsgestalt ist prägend für die Kirche und Gesellschaft. Als Mann und Vater sowie auch als Mitglied der Katholischen Männerbewegung möchte ich Josef von den Altären holen, um ihn mir in dreifacher Weise zum Begleiter zu machen.
1) Josef als fürsorglicher „Nährvater“ und im „Papamonat“
In Tirol gibt es wohl keine traditionelle Kirche ohne Josefsstatue oder Josefsdarstellung. Als Kommunionhelfer darf ich in meiner Heimatgemeinde immer am Josefsaltar die Kommunion spenden. Meist wird der Mann aus Nazareth in den traditionellen Darstellungen als „Nährvater Jesu“ dargestellt. So sehe ich ihn in meiner Heimatpfarre vor mir: Sein Kopf ist demütig zur Seite geneigt.
Josef bekommt eine Rolle zugeteilt, die sich wie folgt darstellen lässt: Demütig die Herausforderungen annehmend, nicht aktiv, sondern durch „Unterlassungen“, durch „Nicht-Handeln“ – so Josef Quitterer, Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck zum Josefstag 2018. Dazu passt die Titelseite im Sonntagsblatt der Diözese Innsbruck mit dem Titel: „Der Windel-Josef“. Josef sei derjenige, der „die zweite Geige spielt“, der die Windeln des Jesus wäscht. Heute würden manche bösartig formulieren: Er ist derjenige, der daheim nicht die Hosen anhat. Ähnliche bildhafte Interpretationen gibt es in gotischen Wandgemälden in den Kirchen Nord- und Südtirols. Josef, der nach der Geburt an einer Feuerstelle sitzt und für seine junge Familie eine Suppe kocht. Der häusliche Josef bleibt dabei stets im Hintergrund, Windel waschend, liebevoll das Kind schaukelnd, Suppe kochend. Der Dogmatikprofessor Jozef Niewiadomski weist ebenfalls zum Josefstag auf diese zärtliche Seite seines Namenspatrons hin. Eine syrische Ikone über die Geburt Jesu zeigt Josef, der sich liebevoll um Jesus kümmert und ihm ein Schlaflied vorsingt. Der biblische Josef habe nur eine „Nebenrolle“ gespielt, zurückhaltend, weg vom Rampenlicht.
In solchen Darstellungen und Interpretationen wird ein Männerbild vermittelt, das tatsächlich ein wichtiger Kontrapunkt zu patriarchalen Rollenzuweisungen ist, in der zu oft Männer aktiv außer Haus gesehen werden, fern der Kinder- und Hausarbeit. Es ist gut, in Josef ein Vorbild für ein neues Männerbild zu haben. Es braucht die Männer, die Windeln waschen, Suppen kochen, Kinder zärtlich in den Armen wiegen und ihnen Schlaflieder singen. Es braucht die Papas, die Papakarenz in Anspruch nehmen. Solche Männer werden durch den häuslich-zärtlich-demütigen Josef ermutigt. Diese Josefsperspektive fördert die notwendige Sichtweise, in der patriarchale Rollen dekonstruiert und gendergerechte Lebensweisen konstruiert werden.
In Österreich ist es immer noch ein kleiner Prozentsatz der Väter, die eine Karenzzeit oder die Väterfrühkarenz (Papamonat) für ihre Kinder in Anspruch nehmen. Rückblickend auf mein Leben bin ich dankbar, dass ich selbst für meine Kinder solche Zeiten in Anspruch genommen habe. Das Mindset hierzulande ist immer noch, den Frauen die Hauptverantwortung für ihre Neugeborenen zuzuschieben.
2) Josef als zärtlicher Liebhaber und Ehemann Marias
Zum Glück vergilbt ein anderes Bild des Josef. In barocken Gemälden war es Tradition, Josef als „alten Mann“ darzustellen, der wie ein greiser Opa das Jesuskind hegt, neben ihm die jugendliche Maria, die seine Tochter sein könnte. In den von der Gnosis beeinflussten apokryphen Texten des zweiten Jahrhunderts – beispielsweise dem Proto-Evangelium des Jakobus – wurde diese Interpretation erfunden. Das passt zur gnostischen und manichäischen Tendenz, aus der Jesusgeschichte die Sexualität zu verbannen und gedanklich Maria in ihrer biologischen Jungfräulichkeit festzubinden. Dabei wird selbst in den Evangelien davon geschrieben, dass Josef mit Maria noch weitere Kinder hatte, die wohl nicht vom Himmel gefallen sind.
In diesem erosfeindlichen Kontext des Jakobusevangeliums wurde auch die sogenannte „Josefsehe“ erfunden. Josef soll mit Maria asexuell gelebt haben, dass sie also geschlechtlich nicht miteinander verkehrten. Dieses Muster, in dem aus der Beziehung zwischen Maria und Josef die Sexualität und der Eros entfernt wurden, passt zu einer sexualfeindlichen Tradition im Christentum und bedarf einer Revidierung. Die Josefsgestalt darf nicht mehr dazu dienen, um überholte Kirchengesetze wie das Zölibat oder gar eine repressive Sexualmoral zu legitimieren.
Eros und Sexualität sind auch mit Blick auf Maria und Josef Kräfte, die ein Stück des Himmels auf Erden spürbar werden lassen können in Freundschaften und Beziehungen. Eine „Josefsehe“ im Sinne von sexueller Enthaltsamkeit entspricht wohl nicht der hohen Wertschätzung der Sexualität, beginnend mit der Schöpfungsgeschichte bis zur heilenden und befreienden Praxis Jesu.
Ich stelle mir Josef heute als jemand vor, der in Mirjam verliebt war, der sie so ganz lieben konnte, wie sonst hätte er – so auch die Botschaft der Evangelien – selbst in der äußerst schwierigen Situation einer ungeplanten und außerhalb der Konventionen erfolgten Schwangerschaft seine Verlobte unterstützen können. Ich stelle mir Josef vor, wie er davon geträumt hat, mit Mirjam eine glückliche Ehe zu führen, in der sie mit ihren Kindern frei von den römischen Bedrohungen und ihren Kollaborateuren und frei von der Angst, in Schuldknechtschaft zu fallen und Hunger zu haben, leben können.
3) Josef, Rebell und Widerstandskämpfer – die historisch-kritische Verortung der Josefs-Geschichte
Die neutestamentlichen Hinweise auf Josef zeigen uns, dass wir ihn nicht nur mit Windeln und Kochtopf und Tischlerwinkel vorstellen dürfen. Programmatisch wird er in beiden Kindheitsgeschichten bei Matthäus und Lukas als Davidide, als Nachfolger des Königs Davids bezeichnet. Das ist eine hochpolitische Ansage. Wer in der damaligen Besatzungswirklichkeit mit König David in Verbindung gebracht wurde – damit ist nicht so sehr eine Blutsverwandtschaft gemeint –, stand in Opposition zum Kaiser in Rom und seinen brutalen Stellvertretern im besetzten Palästina. Nachfolger Davids zu sein bedeutete, im Widerstand zu sein. Historisch gesehen wird diese Tatsache mehrfach unterstrichen, wenn die Codes der Kindheitsgeschichten ernst genommen werden. Josef wird ausdrücklich als jemand geschildert, der aus Nazareth in Galiläa stammt. Mit Galiläa verband man die Gegend des politischen Widerstands. Es war die Peripherie, in der Zeloten und Sikarier mit Guerillaangriffen den römischen Besatzungssoldaten das Leben schwer machten. Umso brutaler waren wiederum die römischen Repressionen. Idealtypisch wird die politische Dimension in den Kindheitsgeschichten nach Matthäus und Lukas geschildert: Josef, der mit Maria von Galiläa nach Betlehem zieht. Hier wird der politische Faden zwischen den Aufständischen im Norden des Landes und der Stadt Davids geknüpft. Josef, der mit Maria und ihrem Neugeborenen nach Ägypten flieht und damit in jenes Land, wo die Wiege des politischen Aufbruchs des Volkes Israel liegt. Josef, der zurück nach Nazareth in Galiläa geht und damit den Exodusfaden wieder aufnimmt. Die bildhafte Interpretation stellt dabei Josef als „Reisegefährt“ stets einen Esel zur Seite – jenes messianische Reittier, auf dem später „sein“ Sohn den Triumphzug in Jerusalem machen wird.
Warum taucht Josef im späteren Leben von Jesus laut Evangelien nicht mehr auf? Vielleicht war er auch einer der Männer, die als Widerständische von den römischen Soldaten umgebracht wurden. Josef, der als Bauhandwerker so viel Leid in der Bevölkerung sehen musste, so viel an Ausbeutung, an Gewalt – vor allem gegenüber Frauen: es wäre verständlich gewesen, wäre er auch wie viele andere im offenen Widerstand gewesen und deswegen umgebracht worden. Der Heimatort Jesu, die kleine Stadt Nazareth, war nur wenig entfernt von Sepphoris, einer großen römischen Garnisonsstadt. Besatzungssoldaten vergewaltigten Frauen und töteten die jüdischen Männer. Im ganzen römischen Reich war vor allem das jüdische Volk aufgrund seiner Religion und Geschichte am wenigsten bereit, sich unterjochen zu lassen.
Der Jude und Davidide Josef: Ein politischer Widerstandskämpfer, der sich in die Höhlen von Galiläa zurückgezogen hatte und mehr dem Idealtypus eines sozialistischen Arbeiterführers entspricht, der nicht als greiser Mann im Bett stirbt, sondern die römische Macht herausgefordert hatte. Von ihm hat dann Jesus nicht nur das Zimmerhandwerk gelernt, sondern zugleich den Widerstandsgeist geerbt.
Widerständisch war Josef auch angesichts der Tatsache, dass Maria bereits während der Verlobung schwanger geworden ist. Das jüdische Gesetz hätte es verlangt, seine Verlobte zu verlassen. Für Maria hätte es sogar das Todesurteil bedeuten können. Josef, weil er „gerecht“ war, hält sich nicht an den Buchstaben des Gesetzes. „Sein“ Sohn wird dann später zum Rabbi, der jedes Gesetz unter der Perspektive des barmherzigen Abba-Gottes interpretiert. In diesem Sinne wiederum war Josef ein guter Vater, der Jesus liebevoll zärtlich aufzog, ihm die widerständischen Geschichten des jüdischen Volkes erzählte – die Makkabäeraufstände dürften wohl auch nicht zu kurz gekommen sein, mit ihm daheim und in der Synagoge betete, ihm das Handwerk lernte aber auch die Art und Weise, politisch widerständisch zu sein. Der Holz- und Steinarbeiter Josef legte ihm wohl den Traum vom Reich Gottes in die Wiege.
Josef verorte ich daher nicht nur mit Windeln und Kochtopf, sondern ich sehe ihn wie einen Mann im legendären Gemälde von Novecento. Neben ihm könnte Maria mit dem Jesuskind sein. Josef nicht nur mit Windeln, sondern ein Mann, der eine Greenpeace-Fahne auf dem Kühlturm eines Atommeilers entrollt, der mit versteckter Kamera in die Massentierhaltungsfabriken eindringt, der auf einem NGO-Schiff Flüchtlinge im Mittelmeer vor dem Ertrinken rettet oder als indigener Umweltaktivist den Kampf gegen die Abholzung der Regenwälder für Palmölplantagen führt, ein Palästinenser, der mit einer Spraydose auf die Unrechtsmauer des israelischen Staates „Free Palestine“ sprüht oder eine Person, die sich einfach jeden Tag neu bemüht, gegenüber den ungerechten Systembedingungen nicht willfährig zu sein.
Klaus Heidegger, zum Josefitag 2019