Von den Seligen Tirols lernen
Die katholische Kirche Tirols – Nord und Süd – hat ihre eigenen Seligen. Es sind Männer und Frauen wie Carl Lampert, Pater Jakob Gapp, Otto Neururer, Schwester Angela Autsch oder Josef Mayr-Nusser. Man könnte auch noch Christoph Probst nennen, der wie die Deserteure aus dem Vomperloch Widerstand gegen ein unmenschliches Regime geleistet hat. Es sind Menschen, die sich damals aus christlichem Bekenntnis heraus mit konkreten Worten ins tagespolitische Geschehen eingemischt haben. Jakob Gapp tat es im Dezember 1938 unter anderem von der Kanzel, wissend, dass die NS-Spitzel bereits hinten in der Laurentius-Kirche saßen. Schwester Angela wiederum, die mutige Nonne aus dem Oberinntaler Dorf Mötz, deren Seligsprechungsprozess gerade läuft, widersprach den Hitlerleuten und kam nach Auschwitz. Viele Beispiele von Priestern, Ordensfrauen und Ordensmännern, Mitgliedern von katholischen Verbindungen oder einfach Menschen des Glaubens könnten hier genannt werden.
Heute wünschen wir uns: Hätten doch damals viel mehr Menschen Mut gehabt, laut gegen das aufzutreten, was diametral den christlichen Werten widerspricht. Wir wünschen uns eine Kirche, die nicht still ist, wenn gegen Minderheiten und andere Religionsgemeinschaften gehetzt wird, wenn Migranten und Migrantinnen mit Ratten gleichgesetzt werden, wenn Asylsuchende mit Chaos geframt werden, wenn rechtsstaatliche Grundsätze infrage gestellt werden, wenn antisemitische Codes bedient werden. Wir wünschen uns Christinnen und Christen, die widersprechen, wenn für neue Kriege gerüstet wird, wenn der Wehrsprecher einer Regierungspartei als Abwehrkampf gegen Flüchtlinge über eine „militärische Besetzung von afrikanischem Boden“ nachdenkt.
In meinem Religionsunterricht – wie auch in meiner Funktion als Vorsitzender der Katholischen Aktion, einem Zusammenschluss der größten katholischen Laienorganisationen – kann ich mich sowohl auf die Lehre der Kirche wie auf ihre Interpretinnen und Interpreten stützen. Es ist Papst Franziskus, der uns so nachdrücklich in der Enzyklika „Laudato Si“ zum Klimaschutz auffordert und nicht von ungefähr ermunterte er Greta Thunberg und die Friday-for-Future-Bewegung, teilen doch die schwedische Umweltaktivistin und der Papst das gleiche Anliegen. In diesem Sinne fordert die Katholische Aktion beispielsweise eine ökosoziale Steuerreform. Wenn es konkret um die Asylpolitik geht, kann ich mich auf Kardinal Schönborn beziehen, der beispielsweise die Umbenennung des Erstaufnahmezentrums Traiskirchen in ein „Ausreisezentrum“ als „unmenschliches“ Signal und und letztlich als ein weiteres Mosaiksteinchen einer Politik bezeichnete, die „Asylwerber unter Generalverdacht“ und „systematisch in ein schiefes Licht“ stellt.
Rechtspopulistische Kräfte gegen kritische Kirchengeister
Als Religionslehrer, dem politische Themen in der Tradition jenes Mannes, der wegen seines politischen Engagements ans Kreuz genagelt wurde, der Menschen nicht mit einem fernen Jenseits vertröstete, sondern ein messianisches Reich im Hier und Heute verkündete und lebte, der sich stets vor allem den Marginalisierten zugewandt hatte, der den Idealen eines gewaltfreien Pazifismus folgte und in Widerspruch zu den Herrschenden seiner Zeit geriet, in dieser jesuanischen Tradition ist mir eine Kritik von außen bekannt: Ein Religionslehrer dürfe sich nicht in politische Themen einmischen, sagen manche, die selbst einem Parteichef folgen, der bei einem Wahlkampfauftritt wie ein Kreuzritter mit dem Kreuz in der Hand fuchtelte. Im Religionsunterricht hätte eine Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus keinen Platz sagen jene, die selbst eine Weltreligion permanent mit Islambashing verfolgen. Abgeordnete einer Partei, die sich an die Stelle von Mose setzen und ihre 10 Gebote gegen Ausländer aufstellen, wollen nicht, dass die wirklichen 10 Gebote auf politische Vorgänge angewandt werden.
Ich erinnere mich an den Fall des Pfarrers Ellinger, der nach einer Predigt von einem FP-Funktionär und Bundesheeroffizier gerichtlich verfolgt wurde, weil er in einer Predigt sagte: „Es bereitet mir Schmerz, welche Qualen Flüchtlinge erleiden müssen – und dass die Blauen sie stets kriminalisieren.“ Im Hintergrund dieser Verurteilung stand ein Redaktionsmitglied, der auch Mitbegründer der rechtsextremen Identitären war.
Kritik abwürgen
Es ist klar, dass dem sich ausbreitenden Rechtspopulismus die kritisch-christlich-kirchlichen Stimmen zuwider sind. Wenn die argumentative Kraft fehlt, dann beginnen die Seilschaften im Hintergrund zu agieren, um Kritiker mundtot zu machen. Dann wird der vermeintlich politische Gegner beschimpft und ein Landesparteisekretär nennt im Landtag die Tiroler Lehrer als „linke Multi-Kulti-Fetischisten“, wenn sie ihrem Auftrag der politischen Bildung nachkommen. Anstatt eines direkten Dialogs, wird bei Obrigkeiten angeschwärzt. Man bedient sich der Methode der Drohungen im Stile von „das wird Konsequenzen haben!“ Dazu passt der jüngste Bericht über den Zustand der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen. Es gibt eine massive Verschlechterung. 2018 rutschte Österreich von Platz 11 auf Platz 16 und verliert damit seine Einstufung als Land mit guter Pressesituation. Angriffe auf jene, die Kritik üben, schaffen ein Klima der Einschüchterung und Angst.
Schule als Ort der politischen Bildung
Die Schule könnte jener Ort sein, wo politisches Debattieren nicht unterbunden, sondern gefördert wird, was nichts mit Beeinflussung oder Manipulation zu tun hat. Schülerinnen und Schüler an einer Oberstufe, von denen die meisten bei den EU-Wahlen 2019 zum ersten Mal in ihrem Leben von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen dürfen, brauchen diese Diskussionsräume. Dies kann eine Auseinandersetzung mit Texten oder auch Plakaten der wahlwerbenden Parteien sein. Politische Bildung ist Unterrichtsprinzip für alle Schulfächer – also auch für den Religionsunterricht, in dem ethische Fragestellungen einen zentralen Platz einnehmen. Die Entscheidung in der Wahlkabine ist immer auch eine Entscheidung eines reifen und gebildeten Gewissens, das sich nicht zuletzt an Werten orientiert. Wertevermittlung wiederum zählt zum Kerngeschäft eines guten Unterrichts.
Klaus Heidegger, 15. Mai 2019, Gedenktag der Hl. Sophie, die als Märtyrerin im Widerspruch zu einem diktatorischen Regime starb
(* Foto entnommen aus der Tagespresse, Greta Thunberg trifft Papst Franziskus)