Sündenbocktheorie
Die großen Weltreligionen und philosophischen Strömungen sprechen in ihren Mythologien von der Verschwörung ursprünglicher Feinde, die einen Sündenbock konstruieren, um sich nicht gegenseitig zu vernichten. Dieser wird schließlich getötet, wodurch Frieden zwischen den im mimetischen Wettstreit verfeindeten Gruppen entsteht. Es fällt nicht schwer, diese Strukturen mit wechselnden austauschbaren Charakteren im politischen Alltagsgeschäft, vor allem aber in Wahlkampfzeiten wieder zu entdecken.
Sebastian Kurz im Sündenbock-Image
Auf dem ersten Plakat, das vom Team Sebastian Kurz bzw. der „neuen“ Volkspartei nun in der Vorwahlkampfzeit bereits lanciert worden ist, sieht man einen eisern entschlossenen Parteiobmann, der ziel- und siegessicher in die Zukunft schaut. Der Werbetext dazu lautet: „Rot-Blau hat bestimmt. Das Volk wird entscheiden. Unser Weg hat erst begonnen.“ Mehrfach problematisch ist diese Werbebotschaft. Es erinnert an den Opfermythos, der zunächst mit dem Ende der Kanzlerschaft von Sebastian Kurz verknüpft wird. Er sei von Rot-Blau zu Sturz gebracht worden. Er sei quasi der Verfolgte, das Opfer, der Sündenbock. Wer aber nur etwas über diesen Satz hinaus denkt, wird sich folgende Fragen stellen. Waren es nicht die vom Volk gewählten parlamentarischen Vertreterinnen und Vertreter, die mehrheitlich die vorige Bundesregierung abgewählt hatten? Der Vorwurf an Rot-Blau ist zumindest implizit ein Angriff auf den österreichischen Parlamentarismus. Zwischen dem im zweiten Kurzsatz formulierten Begriff „Volk“ und den gewählten Mandatarinnen und Mandataren des Parlaments wird ein Gegensatz konstruiert, der höchst gefährlich ist. Er erinnert fatal an das Diktum jenes ehemaligen Regierungsmitglieds, der Auslöser für die Regierungsauflösung war. Kickl hatte es in die prägnanten Worte gepackt: „Das Recht geht von der Politik aus!“ Zum einen wird Sebastian Kurz nun selbst als Opfer von Rot-Blau stilisiert, zum anderen wird er gerade dadurch aber zum Superhelden, der im Auftrag des Volkes regieren soll.
Verhaltenscodes im Wahlkampf
Die Katholische Aktion Österreichs ruft in dieser kurzen Wahlkampfzeit die politischen Parteien dazu auf, einen sachlich-orientierten und fairen Wahlkampf zu führen, der nicht auf einer Verunglimpfung der politischen Gegner aufbaut. Wenn nun bereits in der ersten Plakatakampagne nicht Inhalte im Vordergrund stehen, sondern eine Feindschaft gegenüber Rot-Blau stilisiert wird, gegen die sich das Volk zur Wehr setzen soll, dann ist dies ein schlechtes Omen für die kommenden Wochen. Sachlich würde bedeuten, mit politischen Inhalten nach Wählerstimmen zu suchen. Fair würde bedeuten, politische Kontrahenten nicht als quasi Feinde zu brandmarken. Daher sei nochmals auf inhaltliche Punkte verwiesen. Mit Blick auf die Lage der Flüchtlinge, die seit Schließung der Balkanroute – dafür machte sich ja vor allem der ehemalige Kanzler Kurz stark – noch dramatischer geworden ist, mit Blick auf Asylsuchende, die unter dem ehemaligen Innenminister Kickl, der von Kurz ins Regierungsboot geholt worden ist, permanent unwürdigen Schikanen ausgeliefert worden sind, mit Blick auf das Versagen in der Umwelt- und Verkehrspolitik, für die der ehemalige 140-km/h-Verkehrsminister steht, mit Blick auf die zunehmend größer werdenden Disparitäten in der Gesellschaft, mit Blick auf islamophobe Maßnahmen, aus diesen Blickwinkeln wirkt es bedrohlich, wenn es auf dem ÖVP-Werbesujet heißt „Unser Weg hat erst begonnen …“
Dr. Klaus Heidegger, Vorsitzender der Katholischen Aktion der Diözese Innsbruck, 12. Juni 2019
Ich beobachte auch in dieser Richtung. Die politischen Werbebotschaften sind jenen der von der dynamisierten Konkurrenz im ausufernden Kapitalismus nich nur ähnlich, sondern überbieten diese hinsichtlich Verwendung von Modulen aus der Hintertreppe der Tiefenpsychologie. Der Opfermytos wird durch seine inflationäre Verwendung durch Populisten hoffentlich bald von einer größere Zahl von Bürgerinnen und Bürgern durchschaut.
Der Gefährlichste in der Regierung ist der Kurz – erwähnte ich schon vor einer Weile und wenn man den Leuten so zuhört, wie sie ihn anhimmeln, dann macht das Angst. Überlegt mal kurz, ob das nicht auch bei Hitler so gewesen sein könnte. … die Personen sind andere, die Geschichte ist aber immer wieder ähnlich und die Menschen handeln so gut wie immer im gleichen Schema – es gibt keine Aufklärung die gegriffen hätte.
Sachliche Auseinandersetzungen vermisse ich schon seit Jahren, das wird jetzt nicht anders werden – im Gegenteil!