Längst Verlorenes
wieder gefunden
inmitten der Fülle des Tuns
die eine Drachme
sehnsüchtig gesucht und gefunden
kostbarer als alle anderen
es wurde ein himmlisches Fest
die Freude war groß
ein Glück wie nie zuvor
doch schon wieder verloren
der Verlust schmerzt so sehr
die Verzweiflung ist groß
der Suchende selbst ist verloren
irrt durch den Raum
findet keinen Weg
der Verlorene ganz verloren
irrt durch die Zeit
findet keine Ruhe
die Kraft reicht kaum
um selbst nun zu suchen
der Blick bleibt gesenkt
noch trüben Tränen die Sicht
ganz klein keimt eine Hoffnung
zu finden und gefunden zu werden
klaus-heidegger, 14.9.2019
In Anlehnung an das Gleichnis von der verlorenen Drachme, Lukas 15,8f
Gleichnis von der verlorenen Drachme
Das Gleichnis von der verlorenen Drachme im Lukasevangelium ist schnell erzählt. Es besteht eigentlich nur aus zwei Versen: „Oder wenn eine Frau zehn Drachmen hat und eine davon verliert, zündet sie dann nicht eine Lampe an, fegt das ganze Haus und sucht unermüdlich, bis sie das Geldstück findet? Und wenn sie es gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und sagt: Freut euch mit mir; ich habe die Drachme wiedergefunden, die ich verloren hatte.“
Dieses Gleichnis steht wie ein Sandwich zwischen dem Gleichnis vom verlorenen Schaf unmittelbar davor und dem Gleichnis vom verlorenen Sohn im Anschluss. Die beiden zuletzt Genannten sind weit bekannter. Der besondere Charakter in diesem Gleichnis ist – zum Unterschied vom verlorenen Sohn – dass eine Drachme nicht wie ein Mensch von selbst umkehren könnte. Sie lässt sich nur finden.
Die Geschichte von der verlorenen Drachme kann aus verschiedenen Blickwinkeln gelesen werden. Aus feministischer Sicht ist es bedeutsam, dass bewusst eine Frau genommen wird, um die Botschaft vom Reich Gottes zu verkünden. So wird dieses Gleichnis auch zur Befreiungsgeschichte einer Frau. Die himmlische Freude liegt darin, dass Frauen aus Situationen herauskommen, die für sie Not bedeuten. Im Gleichnis geschieht dies durch eine überaus deutliche Aktivität der Frau. Sie lässt sich nicht wie viele Märchenfiguren von einem Prinzen wach küssen. Sie stellt selbst das ganze Haus auf den Kopf um zu dem zu kommen, was ihr Recht und ihre Lebensgrundlage ist. Nachdem sie es gefunden hat, lädt sie ihre Nachbarinnen und Freundinnen ein, die sich mit ihr bei einem Fest freuen.
Der sozialhistorische Blick zeichnet uns eine Frau, die schon wegen des Verlusts einer Drachme in eine vielleicht existenzielle Krise gerät. Vielleicht ist sie alleinstehend, vielleicht ist sie Tageslöhnerin – und eine Drachme entspricht einem Denar, das ist genau ein Tageslohn für die arme Bevölkerung Palästinas.
Wenn die suchende Frau mit Gott verglichen wird und die Drachme die Verlorenheit eines Menschen bezeichnet, dann liegt auch darin ein besonderer Genderaspekt. Gott wird mit einer Frau verglichen.
Das Verlorensein und das Gefundenwerden sind Situationen, die mit unserem Leben zu tun haben können. Damit meine ich nicht materielle Dinge, die wir hin und wieder verlieren und verzweifelt suchen – sei es einen Schlüssel oder das Handy oder irgendein Dokument, das verlegt wurde. Materielles ließe sich leicht ersetzen. Manchmal verlieren wir etwas, das unersetzbar ist. Dann tut es gut, sich in dieses Gleichnis zu versetzen und das Vertrauen nicht zu verlieren, vielleicht doch wieder Verlorenes zu finden.
Die Frage tut sich auch auf, warum die Frau sich nicht damit zufrieden gibt, dass sie noch 9 andere Drachmen hat? Warum also gerade die Suche nach der einen. Für mich stellt es auch die Sehnsucht nach Ganzheit dar. Es ist wie in Freundschaften und Beziehungen. Wenn neun wichtige Aspekte funktionieren, aber ein Aspekt eben nicht, so kann die ganze Freundschaft darunter leiden. Wir tragen in uns immer die Sehnsucht nach Ganzheit. Das himmlische Fest können wir nur dann wirklich feiern, wenn wir die eine Drachme zu den 9 anderen dazu kommt. Das könnte beispielsweise bedeuten: Wenn in unserem Leben Körper-Seele-Geist in einer Einheit sein können, wenn wir Anteile unserer Sehnsucht nicht mehr aussparen müssen, wenn wir den Mut haben, auch noch das zu suchen, was in unserem Leben fehlt, und uns nicht vertrösten mit dem Satz: Sei zufrieden mit deinen neun Drachmen und vergiss das, was du verloren gegangen ist.
Auch in diesem Gleichnis wird deutlich, was Gott eigentlich ist. Mit Dorothee Sölle können wir sagen, dass Gott geschieht und nicht einfach ist. Gott geschieht im Handeln der Frau in ihrem Existenzkampf und in ihrer Freude, ein Fest mit anderen zu feiern. Gott geschieht für uns heute, wenn wir auf unserer Suche nach Ganzheit fündig werden – auch weil uns Menschen begegnen, mit denen Gott begreifbar und spürbar wird. Dann geschieht auch Gott in den Festen, die wir miteinander feiern. So ein Fest kann freilich auch ganz im Kleinen sein, eine geteilte Jause im Klassenzimmer oder ein bewusstes Mittagessen miteinander.
Klaus, mein Kommentar zum heutigen Evangelium ist dieser:
„Die Sehnsucht Gottes ist der lebendige Mensch.“ Im Original lautet dieser Satz: „Die Herrlichkeit Gottes ist der lebendige Mensch“. Er stammt vom Hl. Irenäus v. Lyon und ist etwa 1900 Jahre alt. Die Freude Gottes am lebendigen Menschen ist Grundbestand christlicher Tradition und Kernpunkt biblischer Botschaft.
Unser heutiges Gerechtigkeitsempfinden – „Soll der, der alles ‚auf eine Karte gesetzt hat und verspielt hat‘ am Ende gut dastehen‘“, läuft dem zuwider. Nun, wer in den Geschichten des heutigen Evangeliums bin ich? Schon eher der „Gerechte“, – oder? Seien wir uns gegenüber ehrlich! Ich finde mich nicht unter den 99 „Richtigen“ und halte mich nicht für den einzigen Guten. Und darum freue ich mich, dass Gott sich an mir, als „Wiedergefundenen“ freut. Darf Gott sich an „Schurken“ freuen? Gott sei Dank tut er es!
Dazu habe ich schöne Fürbitten gefunden:
Im Evangelium werden wir zur Freude aufgerufen, wenn verlorene Menschen, verlorene Träume, verlorene Lebensentwürfe wieder gefunden werden. Darum bitten wir:
Herr,
schenke den Menschen ein Lächeln, wenn sie über andere reden, und nimm ihnen die Sorgenfalten.
Dir befehlen wir die vielen Risiken, die es auf unseren Lebenswegen gibt.
Dir befehlen wir heute besonders die jungen Menschen, die sich verführen lassen.
Wir rufen zu dir: Herr, lass uns fröhlich und guten Mutes sein.
Herr, schenke den Menschen ein feines Lüftchen, wenn sie sich die Köpfe heiss reden, und nimm ihnen die Bitterkeit. Dir befehlen wir die Ängste, die als stolze Selbstbehauptung getarnt werden. Dir befehlen wir heute besonders die Menschen, die andere vor ihre Karren spannen und verführen.
Wir rufen zu dir: Herr, lass uns fröhlich und guten Mutes sein.
Herr, schenke den Menschen einen guten Bissen, wenn sie sich die Zähne ausbeissen, und nimm ihnen die Häme. Dir befehlen wir die Freiheit, die von vielen Seiten bedrängt wird. Dir befehlen wir heute besonders die Menschen, die Brücken bauen zwischen jung und alt, fremd und einheimisch, klug und lebenserfahren, schweigsam und vorlaut.
Wir rufen zu dir: Herr, lass uns fröhlich und guten Mutes sein.
Du, Herr, sagst: Kehrt um, das Reich Gottes ist nahe! Schenke uns ein fröhliches Vertrauen, einen unbeirrten Glauben und die grosse Freude, niemanden verloren zu geben, den du längst gefunden hast. Du kehrst dich zu uns, hilf uns umzukehren.In Christus…
Lieber Alfons, war schön, dich heute zu treffen und gleich in den wenigen Minuten ein Gespräch über das heutige Evangelium und seine existenzielle Bedeutung zu finden. Danke für deine Überlegungen, Klaus