Abgerichtet wird
Die Evangelienkommentare im Monat Oktober von Johannes Laichner, die sich in den westösterreichischen Kirchenzeitungen fanden, passen zu jener Zeit, als die kirchliche Verkündigung geprägt war von den jenseitigen Bildern von Gericht-Himmel-Hölle-Fegefeuer. Es geht dabei um einen Himmel, so der Pfarrer aus dem Tiroler Oberland, den man sich „verdienen“ müsse. Folgt man diesem Narrativ, dann wird jemand mit himmlischen Freuden nach dem Tod belohnt, wenn gehorsam nach dem genau definierten Glauben der Kirche gelebt wurde. In diesem Denken wird die frohe Botschaft Jesu zum Angstevangelium – einer Angst vor der Abrechnung im Jenseits. Der Menschensohn könnte ja jederzeit „unverhofft an der Tür des Lebens anklopfen“ und wir müssten ihm quasi unser „Hausaufgabenheft“ vorlegen wie einem strengen Lehrer.
Als Religionslehrer versuche ich mit meinen Schülerinnen und Schülern ausgehend von ihren eigenen Erfahrungen und mit Blick auf die so eindeutigen Sonntagsevangelien ein anderes Verständnis von Glauben zu entwickeln. Was meint Laichner, wenn er über den „Glauben“ schreibt? Für ihn ist es wohl das Festhalten an äußeren Wahrheiten, die von der Kirche traditionell vermittelt werden. Man könnte fast den Eindruck gewinnen: Es ist die Befolgung des Katechismus – in der Sprache von Laichner, „den von den Eltern überlieferten Glauben“.
Widerständische Himmelsperspektive
Das Gleichnis von der widerspenstigen Witwe (Lk 18,1-8) will uns jedoch ein anderes Verständnis von Himmel nahe bringen. Die Gleichnisfigur Jesu zeigt uns eine mehrfach marginalisierte Person. Sie ist schon als Frau diskriminiert, mehr noch aber als Witwe, die ohne den Schutz eines Ehemannes auskommen muss. Obendrein hat sie noch einen Menschen, der ihr Böses antun will. Die Witwe fügt sich jedoch nicht einfach in ihr Schicksal, sondern verschafft sich das Recht, das ihr zusteht. Sie lässt sich nicht vertrösten und abwimmeln, auch nicht von einem mächtigen Mann, der ihr sogar Gewalttätigkeit unterstellt.
Das Reich Gottes, so könnten wir heute sagen, dieses Reich der Himmel beginnt dort, wo Männer wie der geschilderte Richter ihr Rollenverhalten verändern, und wo Frauen sich trauen, auf ihre Rechte zu pochen. Das passt wohl auch zu den gegenwärtigen kirchlichen Reforminitiativen wie Maria 2.0 oder Magdalena und Co. Die Witwe als Role-Model in den Worten Jesu verkörpert vielleicht das, was für Laichner ein „innerweltlicher Aktionismus“ ist, das Einfordern von Barmherzigkeit, etwas, das in Laichners Worten mit „Barmherzigkeitskeule“ geframt wird. Es ist jedoch ganz typisch für den Mann Jesus von Nazareth und seine eindeutigen Optionen, dass er einen Blick für die Menschen hatte, die strukturell Opfer der damaligen Gesellschaft waren. Das Umkehrmotiv, das Laichner so gerne bemüht, gilt in jesuanischer Logik in erster Linie jenen, die Herrschende sind, und bezieht sich auch auf die Systeme und Strukturen, von denen diese Herrschenden profitieren. Die Witwe passt so gut zu einer Greta Thunberg und ihrem Protest gegen die Zerstörung der Welt, sie passt zur Kapitänin Carola Rackete und ihrem Widerstand gegen eine gnadenlose Asylpolitik. Sie kämpfen für die Rechte gegen ungerechte Richter, auch wenn sie damit rechnen müssen, selbst wieder gedemütigt zu werden. In ihrem Reden und Handeln ist kein Platz für einen vertröstenden postirdischen und jenseitigen Himmel.
In die Himmel geheilt an Körper und Seele
Das trifft wohl auch für die Wundererzählung von der Heilung der 10 Aussätzigen zu. (Lk 17,11-19) Was könnte wohl die Sinnspitze dieser Geschichte sein? Wieder geht es um eine Menschengruppe, die aus der Sicht von damals ausgegrenzt worden ist: Die Aussätzigen und damit als unrein Geltenden. Sie werden durch die Heilung, welche von der Priesterklasse bestätigt wird, neu in die Gemeinschaft aufgenommen, worin wohl die eigentliche Heilung besteht. Als Kranker nicht mehr weggeschoben zu werden, sondern gepflegt zu werden, als Trauriger getröstet zu werden. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Das Reich der Himmel, Gottes Herrschaft, ist angekommen, wie es so oft im Evangelium heißt. Unter den 10 Aussätzigen wird eine Person besonders in den Blick genommen, die nicht nur wegen ihrer Krankheit stigmatisiert wird, sondern auch als Samariter und damit als der Fremde und Ungläubige. Dieser erfährt in der Geschichte ein mehrfache Heilung.
Spaß als Himmelscode
Jugendliche reden gerne von „Spaß“, wenn sie ausdrücken, dass es ihnen gut geht. Wer ihnen den Spaß nimmt, raubt ihnen wohl auch Himmelserfahrungen, in denen ihnen göttliche Nähe geschenkt wird. Spaß und Himmel sind kein Widerspruch, wie von Laichner suggeriert wird. Der Auftrag der Kirche wiederum ist es wohl dazu beizutragen, dass es mehr Spaß und Freude in diesem Leben gibt. Wer bei den Fridays-For-Future-Kundgebungen dabei war, konnte spüren, wie dieser Spaß auch mit dabei war, selbst wenn es um eine todernste Sache geht. Der „Heiligungsdienst“ der Kirche, den Laichner nennt, zielt nicht nur auf das Seelenheil ab, sondern nimmt notwendigerweise all dies in den Blick, wo heute Menschen leiden und wo durch die Zerstörung der Umwelt das Leben von Menschen mehr und mehr zerstört wird. Das „endgültige“ Leben, ist kein Leben im Drüben, sondern ein befreites Leben im Hier und Heute. Die Witwe bekam jetzt schon ihr Recht, der Samariter wurde heute schon geheilt. Beide haben dann wohl auch ihren „Spaß“ dabei gehabt. Von den Eltern überlieferte gesetzliche Reinheitsvorschriften spielten dabei keine Rolle mehr, wenn diese wie Spaßverderber sind. Die fordernde Witwe sprengt den vorgegebenen Rahmen und lässt sich nicht mit Gesetzen abspeisen.
Die Wirkkraft des Gebetes
Die Parabel von der fordernden Witwe sagt uns auch viel über die Wirkkraft des Gebetes. Die Witwe kommt zu ihrem Recht, nicht weil sie betend die Hände in den Schoß legt, sondern weil sie handelt und weil sie um ihre Rechte kämpft. Das ist rechtes Beten: nicht den Kopf in den Sand stecken und durchtauchen, bis eine überirdische Kraft die gewünschte Lösung bringt. Das Gebet der Witwe wird erhört, weil sie selbst dazu beiträgt und in diesen Prozess auch die Umstimmung des Richters erreicht. Da braucht es also keine apokalyptischen Reiter, sondern tatkräftiges Tun und Aufbegehren, um ein Leben in Fülle im Hier und Heute ein wenig zu erreichen – für sich und für andere.
Klaus Heidegger, 21.10.2019, www.klaus-heidegger.at