Ich sitze im Meditationsraum mit den Schülerinnen und Schülern einer Klasse im Kreis. In den wenigen Stunden, in denen ich mit der Klasse in dem noch jungen Schuljahr vertraut werden konnte, haben wir bereits oft über Gott und Glauben gesprochen. Die 14- bis 15-Jährigen bezeichnen sich zunächst selbst vorwiegend als „ungläubig“, als „kirchenfern“ und „nicht-religiös“. Auf den Impuls, „ist Gott bloß eine Erfindung der Menschen“ antworteten 18, während der Impuls „Gott ist die Erfahrung von Liebe“ nur von 2 gewertet wurde. Bei freier Wahlmöglichkeit in einer anderen Schule hätte wohl ein Großteil von den Schülerinnen und Schülern dieser Klasse den Ethikunterricht gewählt. Gott ist für sie vorwiegend etwas, das mit einem äußeren Inhalt zu tun hat, eine erfundene Vorstellung von einem himmlischen Gottwesen im Überirdischen. Wenn es ihn gäbe, so könne man nichts Genaues darüber sagen. In diesem Denken hat Gott für die meisten auch nicht wirklich mit dem eigenen Leben etwas zu tun. Ein besonders kritischer Schüler fragt nach: „Herr Professor, Sie können uns doch nicht beweisen, dass es Gott gibt!“ Ich muss nicht lange überlegen. Solche Fragen sind mir vertraut geworden. Ich bitte die Schülerinnen und Schüler in die Mitte zu blicken. Eine kräftig-rote Rose steht in der Mitte neben einer Kerze. Meine Antwort: „Die Rose ist mein Beweis, dass es Gott gibt. Wir können erfahren, dass es etwas gibt, das ich als Liebe und Freundschaft bezeichne. Das Vertrauen, die gegenseitige Wertschätzung, die Annahme – all das sind für mich göttlich-himmlische Erfahrungen. Die Rose ist ein Symbol dafür. In solchen Erfahrungen geschieht Gott, können wir die Nähe Gottes begreifen, ein Gott, den ich fühlen und spüren kann, der mich singen und beten lässt, aber auch etwas Göttliches, das ich so vermissen kann, wenn es nicht fühlbar-spürbar ist. Dann gibt es auch das, was ich als Gottferne erfahre.“
klaus-heidegger, 23.10.2019