„Happy Birthday …“
und „Wie schön, dass Du geboren bist …“. Du hast Österreich nach den Schreckensjahren des Zweiten Weltkrieges eine eigene Identität gegeben.
Dankbar bin ich Dir, Du Immerwährende. Du hast mein Land davor bewahrt, Mitglied in einem der klassischen Militärblöcke zu werden. So konnte Österreich immer wieder zum Ort der Begegnung zwischen verfeindeten Blöcken werden. Anders als in den Paktstaaten war es möglich, das Militärbudget noch relativ niedrig zu halten. Wien konnte zu einer der drei Hauptstädte der Vereinten Nationen werden.
Verraten
Übel wird Dir seit vielen Jahren mitgespielt. Du wirst hintergangen und betrogen. Nach außen hin verspricht man Dir weiterhin bleibende Treue, doch längst schon haben die Regierungen der vergangenen Jahre auf militärische Bündnispolitik im Kontext von EU und NATO gesetzt. Du bist durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Man hat Dich ausgehöhlt durch gesetzliche Tricks, die eine Beteiligung an den EU-Battlegroups ermöglichen. Die Mächtigen handelten so, als wäre eine Mitgliedschaft in einer NATO-Vorfeldorganisation kompatibel mit den am 26.10.1955 beschlossenen neutralitätsrechtlichen Grundsätzen. Österreich hat sich mit dem Beitritt im Rahmen der „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU“ (GSVP) und dem Beitritt zu PESCO Ende 2017 zur ständigen Erhöhung der Millitärausgaben auf 2% des BIP – einer Verdreifachung des gegenwärtigen Budgets – und zur Teilnahme an globalen EU-Militäreinsätzen verpflichtet.
Militärische Aufrüstung
Du, Immerwährende, hast es ermöglicht, dass Österreich sein Militärbudget bisher auf niedrigem Niveau halten konnte. Man könnte dich sogar als „unbewaffnete“ Neutralität denken und die Armee völlig abschaffen. Es gäbe so viele Möglichkeiten einer nicht-militärischen und auf sozialer Verteidigung aufbauenden Sicherheitspolitik!
Militärische Kräfte fordern heute jedoch eine massive Aufrüstung und die Pläne von einem 16-Milliarden-Aufrüstungsschub für das Bundesheer liegen auf dem Tisch. Verteidigungsminister Starlinger will die jährlichen Ausgaben des Bundesheeres von 2,2 Milliarden (2018) auf 5,6 Milliarden (2030) steigern. Ein Zuwachs von 156 Prozent. Die Ausgaben für neue Waffensysteme (Rüstungsinvestitionen) sollen von 220 Millionen auf über 2 Milliarden angehoben werden – mehr als eine Verneunfachung! Unter dem Code „Schutzoperation“ in dem Bericht „Unser Heer 2030“ werden Szenarien von blutigen Schlachten durchgespielt. Dafür brauche es moderne und schlagkräftige Infanteriewaffen, Kampfpanzer u.v.m.
Es wird noch spannend sein, wie diese Frage in den Koalitionsverhandlungen eine Rolle spielen wird. Mit etwas Zuversicht konnte ich in den letzten Monaten beobachten, wie sich die die deutschtümelnden Kräfte, für die Österreich als Staat eher eine Missgeburt ist, selbst ad absurdum führten. Am Nationalfeiertag feiern wir Österreich als Nation mit all den Menschen und Volksgruppen, die dazu gehören.
Geburstagsfeier fern von den martialischen Aufmärschen
Noch bist Du, Immerwährende, nicht begraben. Noch darf ich mit Dir Geburtstag feiern. Deinen 64. Jubeltag will ich aber nicht an jenen Orten feiern, wo das Militär seine Leistungsschauen zelebriert und diesen Feiertag für sich beansprucht. Das martialische Gehabe widerspricht so sehr Deiner Intention, die da lautet: NIE WIEDER KRIEG! Der Große Zapfenstreich am Eduard Wallnöfer-Platz in Innsbruck und die Leistungsschau am Flughafen – was haben sie mit Neutralität zu tun?
Im Herzen feiere ich deswegen heute mit all den jungen Männern, die auf ihre Weise die Wehrpflicht verweigern, mit den Gedenkdienern und Zivildienern, mit den Organisationen, die für eine Erhöhung der schäbig niedrigen Entwicklungshilfe Österreichs plädieren, mit den Friedensbewegten, die weiterhin für ein Ende jeglicher kriegerischer Gewalt und ihrer Vorbereitungen eintreten. Vielleicht brauchen wir schon einen politischen Neutralitätsdefibrillator, um dich neu zu beleben für eine aktive Neutralitätspolitik. Dann würde sich das politische Österreich nicht weiterhin an militärisch gesicherten Grenzzäunen einer Festungsunion im Stile von Orban und Co beteiligen, sondern auf internationaler Ebene für eine humane Flüchtlingspolitik einsetzen. Dann würden nicht Informationsoffiziere in den heimischen Schulen aufmarschieren, sondern die Repräsentantinnen und Repräsentanten des Staates würden an diesem Tag ihre rot-weiß-roten Blumensträuße am Deserteursdenkmal niederlegen. Dann würde Wien zum Ort werden, wo Friedensgespräche stattfinden über den Krieg im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Dann würden auf dem Gebiet des neutralen Österreich keine Kriegsmaterialien produziert und exportiert werden. Dein Festtag jedenfalls ist eine Ermutigung für solche Visionen.
In dem Buch, das ich vor 20 Jahren gemeinsam mit meinem Freund Peter Steyrer geschrieben habe und das dir gewidmet ist, habe ich Petra Kelly zitiert, die bleibend wahre Worte gesprochen hat: „Der Begriff Neutralität muss gefüllt werden mit einer positiven friedensschaffenden Politik, mit wirklicher Abrüstung, gewaltfrfeier Konfliktlösung und einer demokratischen Außenpolitik. Neutralität ist nicht nur ein Schritt hinaus aus dem Blockdenken und hinaus aus einem Sicherheitskonzept, das auf militärischen Allianzen gegegründet ist. Neutralität ist auch ein Gegenbeweis zum Festhalten an einer Aufteilung der Welt nach militärischen Einflussgebieten.“
Dein Fan,
Klaus Heidegger, 26. Oktober 2019