Wo die Logik von Rache und Vergeltung regiert
wo Feinde werden wie Hunde bezeichnet
die man kaltblütig jagt
bis sie wimmern und winseln
dort kein Leben vor dem Tod
wo die Logik von Gewaltfreiheit und Versöhnung lebt
wo Feinde zu Freunden werden geliebt
die man einlädt zum Essen
bis man sich versteht und umarmt
dort ein Leben vor dem Tod
wo man sich mit Ellbogen Platz verschafft
wo Mitmenschen werden herzlos ausgenützt
die man beiseite schiebt
bis sie klein gemacht sind und verrecken
dort kein Leben vor dem Tod
wo man sich nicht über andere erhebt
wo Mitmenschen werden zu Partnerinnen und Partnern
die man achtet und respektiert
bis man sich versteht
dort ein Leben vor dem Tod
wo Grenzen hochgezogen werden
wo Rechte den Hilfesuchenden werden verwehrt
die laufen um ihr Leben
bis sie ertrinken im Meer
dort kein Leben vor dem Tod
wo Brücken gebaut werden
wo Menschenrechte werden geachtet
die bestimmen die Politik
bis es gibt ein gutes Leben für alle
dort ein Leben vor dem Tod
wo man erfüllt nur blind die Pflichten
wo man sich nicht in die Augen sieht
die voll sind voll Tränen
bis man sich vergräbt ins eigene Ich
dort nur wenig Leben vor dem Tod
wo man sich wahrnimmt im Alltag
wo man sich in die Augen sieht
und sich liebevoll umarmt
bis Kummer und Sorgen sind leichter
dort ein erfülltes Leben im Heute
wo nur das eigene Ego gepflegt wird
wo andere nieder gemacht werden
die rufen nach Wertschätzung und Liebe
bis in ihnen die Hoffnung stirbt
dort nur ein Überleben
wo in den Nächten
viele Lichter entzündet werden
die wärmen und hell machen
bis es warm wird und hell
dort gibt es ein Leben im Jetzt
wo Ungelebtes das Sein bestimmt
wo Liebe durch Grenzen wird gefesselt
die beschränken
bis die Seele verkümmert
dort gibt es kein Leben in Fülle
wo Grenzen zueinander abgebaut werden
wo Träume geträumt werden dürfen
und Menschen sich wie Liebende umarmen
bis der Himmel auf Erden wird wahr
dort gibt es ein Leben in Fülle
klaus-heidegger, Allerheiligen 2019