Wort- und Brotteilhaftigkeit
Die Gegenwärtigkeit Jesu Christi – als Aktual- und Realpräsenz – kann im geteilten Wort und im geteilten Brot sichtbar und erlebbar werden. Es soll kein Auseinanderdividieren vom Mitteilen und Teilen des Wortes Gottes einerseits und dem symbolischen und realen Teilen des Brotes andererseits geben. Das geteilte Brot kann insbesondere in den Sonntagsgottesdiensten bzw. in den zentralen Gottesdiensten zu bestimmten Anlässen wesentlich zu einer liturgischen Feier gehören. Im Segnen des Brotes, dem Teilen des Brotes und dem gemeinsamen Mahlhalten verdichtet und verstärkt sich nochmals, worum es beim „Wort Gottes“ geht bzw. das Brotteilen selbst wird zum Wort Gottes. In der Art und Weise, wie wir miteinander feiern, kann die Ganzheit der Kirche Jesu Christi sichtbar werden und nicht ein Mangel. Hier gibt es sicherlich je nach Situation und Kontext der Feiernden vor Ort unterschiedliche Möglichkeiten. Jedenfalls entspricht dieses gemeinsame Essen – symbolisch verdichtet im geteilten Brot – so ganz unseren Erfahrungen, unserem Hunger und Durst nach einem ganzen Leben in Gemeinschaft mit anderen.
Die Heilige Messe
Da ist erstens die traditionelle Form der Eucharistie mit ihren beiden Teilen des Wortgottesdienstes und der Eucharistiefeier. Jeder Gläubige und jede Gäubige würde wohl verwundert den Kopf schütteln, bliebe die Heilige Messe ohne eucharistischen Gebete, ohne Wandlung und ohne Kommunionspendung – wäre also mit der Predigt etwa die Messe schon aus. Die Liturgie der Eucharistie sieht beide Teile als wesentlich aufeinander bezogen. Die Heilige Messe ist aber untrennbar auf den geweihten Priester bezogen. Nur er darf eine Messe lesen, nur er kann die Wandlungsworte sprechen. Damit freilich sind wir beim Faktum, dass vielerorts am Sonntag keine Messe gefeiert werden kann, weil es zuwenig Priester gibt, oder dass eben die Zahl der Messfeiern gekürzt wird. Mehr noch aber gibt es ein anderes Problem: Besonders von jungen Menschen wird die Liturgie einer traditionellen Messfeier nicht mehr verstanden. Sie ist ihnen fremd geworden. Was laut kirchlicher Lehre im Zentrum des kirchlichen Lebens steht, ist für viele inzwischen zur Form erstarrt. Daher gibt es einen doppelten Auftrag, nach neuen Formen ganzheitlichen Feierns zu suchen.
Wortgottesdienste
Da sind zweitens Wortgottesdienste, bei denen auf den eucharistischen Charakter verzichtet wird. Hier ist ein Gefühl von Mangel. „Nur Wort Gottes?“ Genau dieses Empfinden entsteht praktisch manchmal in den priesterlosen Wortgottesdiensten am Sonntag, die vermehrt in den Gemeinden stattfinden. Man spürt den Mangel bzw. das, was Paul Zulehner als „eucharistischen Hunger“ bezeichnet. Die Gläubigen haben das Empfinden, dass zu einem sonntäglichen Gottesdienst ein eucharistisches Element gehört. Diesem Empfinden widerspricht es jedenfalls, wenn vielerorts versucht worden ist, den eucharistischen Charakter aus den Wort-Gottes-Feiern herauszulassen.
Wortgottesdienste mit Kommunionsspendung
Dieser „eucharistische Hunger“ wird versucht zu stillen, in dem drittens Wortgottesdienst mit Kommunionsspendung verknüpft wird. Die Verbindung von Wortgottesdienst und Kommuniongottesdienst ist theologisch gut begründet und wird seit langem in vielen Gemeinden praktiziert. Allerdings hat es auch einen befremdlichen Charakter, wenn im Anschluss an den Wort-Gottes-Teil für die Kommunionfeier die geweihten Hostien aus dem Tabernakel wie aus einem Art Tiefkühlregal geholt werden, um sie dann für die Feier aufzubacken. Ginge es nicht auch anders?
Brotsegen und Brotteilen im Gottesdienst
Bei vielen unseren Gottesdiensten für die gesamte Schulgemeinschaft steht in der Mitte auch die Erfahrung des Brotteilens. Meist sind es kleine Brote, die von der Integrationsküche gebacken wurden, die von Schülerinnen und Schülern in Körben nach vorne gebracht werden, die im Rahmen des Gottesdienstes gesegnet werden – zuletzt wieder vom katholischen Schulgeistlichen, der evangelischen Pastorin und dem islamischen Religionslehrer – und dann im Gottesdienst geteilt werden. So merkwürdig daneben erschiene die Frage, dürfen Brote am Altar stehen, darf ein islamischer Religionslehrer dazu ein Segenswort rezitieren und der Ordenspriester gemeinsam mit der evangelischen Pastorin am Altar die Brote segnen. Viele scheinbare Probleme lösen sich dann auf. Es stellt sich nicht mehr die Frage, wer darf die Brote segnen, ist dies eine verbotene Interzelebration oder Interkommunion, wer darf zur Kommunion gehen und wer nicht – es ist gemeinsames Teilen möglich geworden, das auch von den Schülerinnen und Schülern und den Lehrpersonen als befreiend erlebt wird. Erfahrbar wird: Religionen trennen nicht, sondern im geteilten Brot können wir uns begegnen.
Die anderen eucharistischen Erfahrungen außerhalb des Gottesdienstes
„Teebeben“ lautet der Titel eines preisgekrönten französischen Kurzfilms. Ein Rechtsextremer betritt den Laden eines arabischen Gemischtwarenhändlers in einer französischen Kleinstadt. Verächtlich spuckt er dort auf den Boden. Der Ladenbesitzer – so wäre die normale Reaktion gewesen – hätte nun wohl als ehemaliger Profiboxer zum gewalttätigen Gegenschlag ausholen können. Doch es geschieht eine radikale Wende. Er bückt sich vor dem Aggressor, um den Boden zu reinigen. Dann lädt er den Angreifer zu einer Tasse Minztee im Untergeschoß seines Geschäftes ein. Wandlung wird möglich. Das Bücken ist wie die Fußwaschung im Kontext des letzten Abendmahls bei Jesus. Eucharistische Praxis hat seither immer mit dem gewaltfrei-demütigen Niederbücken zu tun, in dem Solidarität und Entfeindung geschehen können. Die Einladung zum Teetrinken im genannten Kurzfilm ist wie die Einladung Jesu: „Nehmt und esst und trinkt …!“ Wo diese Praxis fortgeführt wird, werden bewusst Grenzen aufgehoben, nicht aber gezogen. Eucharistische Wirklichkeiten haben auch mit Alltagserfahrungen zu tun, bei den familiären Küchentischen bis zum Teilen einer Pizza in einer Pizzeria oder einem freundschaftlichen Picknick am Inn, dem Jausenbrot in der Schule oder dem gemeinsamen Essen in der Kantine. Solche Grunderfahrungen schenken das, was in der Eucharistie verdichtet wird. Kinder haben von Beginn an gespürt: Gott ist wie eine stillende Mutter. Dieser Topos findet sich in jeder Religion. Maria lactans, die stillende Mutter Gottes, sehen wir hierzulande in vielen bildlichen Darstellungen. Gerade die kindlichen Erfahrungen sind geprägt davon, dass sich Eltern ohne Berechnung und aus reiner Liebe hingeben können. Für Jugendliche sind es dann die Partys, für Verliebte das erste Date mit gemeinsamem Essen, für Ehepaare der Besuch in einem Restaurant und ältere Menschen schätzen es, wenn ihre Verwandten gelegentlich am Sonntag zu Kaffee und Kuchen vorbeikommen. Die Gegenwärtigkeit – Realpräsenz – Christi kann so im Alltag Wirklichkeit werden – und gemeinsam dann auch in den verschiedenen Formen von Gottesdiensten am Sonntag in den Kirchen zum Ausdruck kommen und gefeiert werden.
Klaus Heidegger, 21.11.2019