„Sie feiern die Auferstehung des Herrn, / Denn sie sind selber auferstanden: / Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern, / Aus Handwerks- und Gewerbesbanden, /Aus dem Druck von Giebeln und Dächern, / Aus der Straßen quetschender Enge, /Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht / Sind sie alle ans Licht gebracht. … „
Die bekannten Worte aus Goethes Klassiker treffen ins Heute. Beim Osterspaziergang philosophiert Faust, der sich gerade von seinen Suizidgedanken befreien konnte, über die Auferstehung. Er hat einen Blick für die frühlingshafte Natur genauso wie für die Gesellschaft und die Seelenzustände um ihn herum. Zeitsprung: 200 Jahre nach dem Erscheinen von „Faust I“. Die letzten Wochen waren geprägt von einem für viele beklemmenden Eingesperrtsein. Wer nicht in weiträumigen Häusern mit Gärten wohnen konnte, spürte besonders der „Straßen quetschender Enge“. Die „dumpfen Gemächer“ oder der „Druck von Giebeln und Dächern“ können auch als Metaphern für einen Seelenzustand gelesen werden, den manche gerade dann erfahren, wenn es keine „Fluchtmöglichkeiten“ gibt. Da gibt es die Mauern der Vorwürfe oder die Enge von Unversöhntheiten. Wer sich seelisch oder leiblich in Situationen des Eingeengten erlebt, für den lebt die Hoffnung auf Auferstehung. Für Goethe gelingt sie dann, wenn Menschen selbst zu einem neuen Leben auferstehen und einander dazu befähigen. Solche Auferstehung ist nicht eine Vertröstung in ein Jenseits, sondern wird erfahrbar als Veränderungsmacht in der Gegenwart. Was in unserer Gesellschaft angesichts der Coronakrise deutlich wurde, schenkt vielfache Auferstehungsenergien. Menschen haben miteinander die Kraft, in einer Krise zusammenzuhalten. Solche Erfahrung beflügelt, gegen die ganz große Bedrohung der Erderhitzung solidarisch aufzustehen. Wir haben erfahren, dass es möglich ist, mit weniger Verkehr, weniger Konsum, weniger Kondensstreifen und dafür mit klarer Luft und verkehrslärmfrei zu leben. In uns ist nun mehr Dankbarkeit für die demokratischen Spielregeln und wir kosten jeden Tag neu die Grund- und Freiheitsrechte aus. Das wird uns wachsamer sein lassen gegenüber jeglichen Entwicklungen zu einem autoritären Überwachungsstaat. Wir sind in den letzten Wochen vielleicht auch empfindsamer geworden für jene, die am meisten unter den Krisen und den großen Ungerechtigkeiten in dieser Welt leiden. Ostern findet nicht statt ohne ein engagiertes Handeln für die Tausenden Flüchtlinge in den Lagern vor und hinter den Toren Europas sowie für die Hungernden und Ausgegrenzten. Auferstehung setzt Mut zu einer neuen Politik voraus, in der auf nationaler wie internationaler Ebene mehr Gerechtigkeit geschaffen wird. Das Leben nach der Coronakrise könnte ein Impuls für einen Neuanfang im Privaten wie im Politischen sein. Dann gelten die Worte von Faust am Ende seines Osterspaziergangs: „Hier ist des Volkes wahrer Himmel, / Zufrieden jauchzet groß und klein: / Hier bin ich Mensch, hier darf ich‘s sein!“
Dr. Klaus Heidegger, Vorsitzender der Katholischen Aktion der Diözese Innsbruck
(Artikel „Brief an Tirol“ – Tiroler Tageszeitung, Ostersonntag 2020)