Kalkkögel-Erleben

5.15 Uhr. 9. September. Beim Losfahren mit dem Mountainbike ist der Himmel voll funkelnder Sterne. Der abnehmende Mond strahlt hellweiß. Die Strecke hinauf über Froneben zur Schlickeralm ist mir bekannt von den winterlichen Abfahrten. Kühe grasen auf den taunassen Almböden. Weit hinten im Osten verfärbt sich der Himmel blutrot-orange. Sonne werden wir heute genug bekommen. Kein Wölklein ist sichtbar. Die Venus strahlt zuerst hellweiß und nimmt dann eine rötliche Färbung ein. Sie wird als letzte Sternengestalt scheinbar verschwinden – nur Sonne und Mond begleiten uns im tiefblauen Himmel. Auf der Schlicker Alm ist zu so früher Morgenstunde noch alles ruhig.

6.30 Uhr. Ein Bauer ist in einem der Ställe beschäftigt. Die Mountainbikes werden beim Restaurant  abgestellt. Ganz unbesteigbar wirken von unten die nordwestseitigen Flanken der Kalkkögel. Auf einem Naturlehrpfad geht es über die Almböden weiter. Die aufgehende Sonne zaubert oranges Licht auf die Kalkwände. Es ist warm genug, um dann ab dem Einstieg mit dem T-Shirt zu gehen.

7.35 Uhr. Die überhängende Einstiegsstelle erfordert Muskelkraft. Das wusste ich noch von meiner Begehung vor einigen Jahren. Das meiste vom Schlicker Klettersteig hatte ich merkwürdiger Weise vergessen. 700 Höhenmeter Kletterei sind es von der Einstiegsstelle auf 2000 m weg. Um diese Zeit ist sonst niemand unterwegs. So haben wir keinen Steinschlag zu befürchten. Zügig geht es bergauf. Platten, Steilpassagen, manchmal etwas überhängend. Der Klettersteig wird seinem Ruf gerecht, einer der schönsten zu sein und zugleich sehr anspruchsvoll. Einhängen, aushängen, umhängen, klettern, Griffe suchen, eine kurze Stelle weit oben ist noch einmal schwer, drei Mal kurze Gehstrecken im steilen Gelände, dann schon fast am Grat, ein Sprung über einen Felsspalt, Gipfel. Viereinhalb Stunden vom Tal. Die mächtige Riepenwand ist im Süden zum Greifen nahe. Und doch möchte ich da nicht hinauf. Zu brüchig scheint mir die Flanke. In Gipfelnähe sind Anlagen zum Absprengen von Lawinen.

9.45 Uhr. Ich bin froh, am Gipfel der Großen Ochsenwand zu sitzen, das unglaubliche Panorama aufzunehmen und hinauszublicken zum Nordgrat, hinüber zur Kleinen Ochsenwand, wo ein ausgesetzter Steig uns den Abstieg weist. Es heißt noch einmal vorsichtig gehen. Ich bin dankbar, nicht alleine unterwegs zu sein. Der Klettersteig hinunter zur Scharte, vorbei an den so markanten Türmen und Türmchen der Kalkkögel, macht Spaß. Die Kletterstellen durch die Felswände, Felsrinnen und entlang von Felsbändern sind nicht schwierig. Oft geht es im Schatten der Nord-Ost-Flanke. Im Westen unten ist das Senderstal mit Kemater Alm und Adolf-Pichler-Hütte.

11.25 Uhr auf der Alpenklubscharte. (2400m) Wir entschließen uns spontan, noch den Klettersteig auf den Steingrubenkogel zu gehen. Dort hinauf sind andere unterwegs. Auf zahlreichen Bändern schlängelt sich der Steig um die Türme über den Südwestgrat bis zum Gipfel hinauf. Unangenehm sind eher die freien Gehpassagen.

12.25. Steingrubenkogel. Bis vor kurzem wusste ich gar nicht, dass es diesen Gipfel überhaupt gibt. 2633m. Wir sind nicht alleine dort oben. Vorsichtig-konzentriert wieder zurück zur Alpenklub-Scharte.

13.25 Uhr. Genug Kletterei und ausgesetztes Gehen für heute. Nach dem vielen Fels wirken die Almböden unten noch sanfter. Ein Stück geht es dem Gsaller Steig entlang, dann in vielen Serpentinen ins Rosskar und zurück zur Schlicker Alm, wo nun ein reges Treiben von Wanderern und Bikern ist, ein kurzes dankbares Gebet in der Clemens-Holzmeister-Schutzengelkapelle und es ist so angenehm, dann mit den Bikes ins Tal hinunter sausen zu können. 14.45 zurück. Mit Pausen neuneinhalb Stunden.

Zurück in einer Wirklichkeit, die zugleich unendlich traurig macht: Der Massenverkehr auf der Autobahn, Lkw und Lkw und Stoßstange an Stoßstange, vom Gipfel aus konnte ich selbst an diesem Tag Smog über dem Inntal sehen. Ich habe schönste Natur erlebt und anderswo ist so viel Zerstörung und Leid. In meinen Gedanken ist das Schicksal der Flüchtlinge von Moria auf Lesbos, deren Flüchtlingslager in der Nacht abgebrannt ist. Ich bin zornig-wütend auf die türkise Regierungshälfte, die selbst angesichts dieser Not nicht bereit ist, zumindest unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufzunehmen. Im Gegenteil: Der österreichische Innenminister redet davon, nicht Kriminelle aufnehmen zu wollen, die Flüchtlingslager anzünden. Ich bin dankbar für meine Kirche, die in dieser Frage anders tickt.

Kommentare

  1. Alle Achtung lieber Klaus!
    Deine Energie und deine Schilderung sind beachtenswert. Bleibe gesund und noch viele schöne Stunden in deiner geliebten Natur.
    Liebe Grüße,
    Willi

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