„Happy Birthday …“ – zum 65er!
und „Wie schön, dass Du geboren bist …“. Du hast Österreich nach den Schreckensjahren des Zweiten Weltkrieges eine eigene Identität gegeben. Dankbar bin ich Dir, Du Immerwährende. Du hast mein Land davor bewahrt, Mitglied in einem der klassischen Militärblöcke zu werden. So konnte diese Republik immer wieder zum Ort der Begegnung zwischen verfeindeten Blöcken werden. Wien konnte zu einer der drei Hauptstädte der Vereinten Nationen werden.
Verraten
Übel wird Dir seit vielen Jahren mitgespielt. Du wirst hintergangen und betrogen. Nach außen hin verspricht man Dir weiterhin bleibende Treue, doch längst schon haben die Regierungen der vergangenen Jahre auf militärische Bündnispolitik im Kontext von EU und NATO gesetzt. Du bist durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Man hat Dich ausgehöhlt durch gesetzliche Tricks, die eine Beteiligung an den EU-Battlegroups ermöglichen. Die Mächtigen handelten so, als wäre eine Mitgliedschaft in einer NATO-Vorfeldorganisation kompatibel mit den am 26.10.1955 beschlossenen neutralitätsrechtlichen Grundsätzen. Österreich hat sich mit dem Beitritt im Rahmen der „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU“ (GSVP) und dem Beitritt zu PESCO Ende 2017 zur ständigen Erhöhung der Militärausgaben auf 2% des BIP – einer Verdreifachung des gegenwärtigen Budgets – und zur Teilnahme an globalen EU-Militäreinsätzen verpflichtet.
Wegen der Covid-Maßnahmen werden an diesem Nationalfeiertag die großen militärischen Aufmärsche und Leistungsschauen anders als in den vergangenen Jahren nicht stattfinden. In einem dreistündigen Live-Monsterprogramm soll die heimische Bevölkerung in den Wohnzimmern und vor den Bildschirmen erfahren, wie wichtig unser Bundesheer sei, wie toll die militärischen Geräte vom Kampfpanzer Pandur angefangen bis zu den Eurofightern sind, die auch an diesem Tag über den Köpfen der Neutralitätsfeiernden donnern sollen.
Militärische Aufrüstung
Du, Immerwährende, hast es ermöglicht, dass Österreich sein Militärbudget bisher auf niedrigem Niveau halten konnte. Man könnte dich sogar als „unbewaffnete“ Neutralität denken und die Armee völlig abschaffen. Es gäbe so viele Möglichkeiten einer nicht-militärischen und auf sozialer Verteidigung aufbauenden Sicherheitspolitik!
Österreich liegt inmitten einer multipolaren Spannung zwischen hochgerüsteten Großmächten. 2019 wurden weltweit 1,9 Billionen Dollar für militärische Zwecke ausgegeben. Das ist mehr als zur Zeit des Kalten Krieges in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Zwei Drittel dieser Militärausgaben entfallen auf die NATO-Staaten.
Auch hierzulande fordert das Bundesheer eine massive Aufrüstung und die Pläne von einem 16-Milliarden-Aufrüstungsschub liegen auf dem Tisch. Verteidigungsministerin Claudia Tanner will wie ihr Vorgänger die jährlichen Ausgaben des Bundesheeres von 2,2 Milliarden auf 5,6 Milliarden (2030) steigern. Dies wäre ein Zuwachs von 156 Prozent. Die Ausgaben für neue Waffensysteme (Rüstungsinvestitionen) sollen von 220 Millionen auf über 2 Milliarden angehoben werden – mehr als eine Verneunfachung! Unter dem Code „Schutzoperation“ in dem Bericht „Unser Heer 2030“ werden Szenarien von blutigen Schlachten durchgespielt. Dafür brauche es moderne und schlagkräftige Infanteriewaffen, Kampfpanzer u.v.m.
Österreich – eine Nation mit unterschiedlichen Nationalitäten
Mit etwas Zuversicht konnten wir in den letzten Monaten beobachten, wie sich die die deutschtümelnden Kräfte, für die Österreich als Staat eher eine „Missgeburt“ ist, selbst ad absurdum führten. Am Nationalfeiertag feiern wir Österreich als Nation mit all den Menschen und Volksgruppen, die dazu gehören.
Geburtstagsfeier in Corona-Zeiten
Noch bist Du, Immerwährende, nicht begraben. Noch darf ich mit Dir Geburtstag feiern. Dieser 65. Jubeltag steht unter dem Vorzeichen der Corona-Pandemie. In dieser Zeit kann sich bewahrheiten, wie sehr Österreich eine Nation ist, die zusammenhält: Wenn sich wirklich jeder und jede als Person wahrnimmt, die verantwortungsvoll sich selbst in Alltagssituationen neu bemüht, die Maßnahmen gegen das Ausbreiten des Virus zu unterstützen: Mund-Nasen-Schutz, Abstandhalten und Hygienregeln. Wenn wir eine staatliche Politik zum Eindämmen der Pandemie nicht mit Widerwillen untergraben. Wenn das Gesundheitssystem ausreichend Ressourcen bekommen.
Im Herzen feiere ich deswegen heute mit all den jungen Männern, die auf ihre Weise die Wehrpflicht verweigern, mit den Gedenkdienern und Zivildienern, mit den Organisationen, die für eine Erhöhung der schäbig niedrigen Entwicklungshilfe Österreichs plädieren, mit den Friedensbewegten, die weiterhin für ein Ende jeglicher kriegerischer Gewalt und ihrer Vorbereitungen eintreten. Vielleicht brauchen wir schon einen politischen Neutralitätsdefibrillator, um dich neu zu beleben für eine aktive Neutralitätspolitik. Dann würde sich das politische Österreich nicht weiterhin an militärisch gesicherten Grenzzäunen einer Festungsunion im Stile von Orban und Co beteiligen, sondern auf internationaler Ebene für eine humane Flüchtlingspolitik einsetzen. Dann würden nicht Informationsoffiziere in den heimischen Schulen aufmarschieren, sondern die Repräsentantinnen und Repräsentanten des Staates würden an diesem Tag ihre rot-weiß-roten Blumensträuße am Deserteursdenkmal niederlegen. Dann würde Wien zum Ort werden, wo Friedensgespräche stattfinden. Dann würden auf dem Gebiet des neutralen Österreich keine Kriegsmaterialien produziert und exportiert werden. Dein Festtag jedenfalls ist eine Ermutigung für solche Visionen.
In dem Buch, das ich vor 20 Jahren gemeinsam mit meinem Freund Peter Steyrer geschrieben habe und das dir gewidmet ist, habe ich Petra Kelly zitiert, die bleibend wahre Worte gesprochen hat: „Der Begriff Neutralität muss gefüllt werden mit einer positiven friedensschaffenden Politik, mit wirklicher Abrüstung, gewaltfreier Konfliktlösung und einer demokratischen Außenpolitik. Neutralität ist nicht nur ein Schritt hinaus aus dem Blockdenken und hinaus aus einem Sicherheitskonzept, das auf militärischen Allianzen gegründet ist. Neutralität ist auch ein Gegenbeweis zum Festhalten an einer Aufteilung der Welt nach militärischen Einflussgebieten.“
Ad multos annos, liebe Neutralität
Klaus Heidegger, 26. Oktober 2020