6.00 Uhr. Eigentlich hätte ich auch früher wegfahren können. Ganz frühmorgens ist es schon hell. Aber auch jetzt bin ich noch allein auf den Straßen, höre die Kugellager der Räder surren und die Vögel zwitschern und selbst den Wind, der in die reifen Kornfelder bläst. Föhnwind. Noch ist es angenehm frisch und die Morgenfarben sind intensiv. Es soll wieder ein sehr heißer Tag werden mit Temperaturen um 35 Grad. Manchmal unterbreche ich die Fahrt, um zu staunen: Ein gelbes Sojablumenfeld in Mils, ein Roggenfeld mit Mohnblumen kurz vor Schwaz, ein Platz am Ufer der Brandenberger Ache. Gedanken und Gefühle kreisen wie die Kurbel, leicht fühlt sich mein Körper an, geladen mit Energie, nicht müde von einer kurzen Nacht mit Alpträumen, die mich in den Tag begleiten, meine Seele fühlt sich schwer an. In meinen Gedanken bewegen sich Worte schneller als die Kurbel sich dreht und verbinden sich zu Versen in vielleicht nie geschriebenen Gedichten. Am Radweg bis Schwaz. Um diese Zeit bläst der Wind noch aus dem Westen. Der Inn ist mit dem Schmelzwasser zu einem mächtig-braunen Fluss geworden. Ab Schwaz nehme ich dann die B 171, was wohl nur ratsam ist an einem Sonntag und zu früher Uhrzeit. Nach 38 Kilometern und ca eineinhalb Stunden beginnt der romantische Teil der Strecke. Erst hinein ins Brandenberger Tal treffe ich andere Radfahrer. Ein Fischer steht in der Ache. Kurz verweile ich dort. Ich bin fast der einzige nicht E-Fahrer. Ich kenne die Strecke auswendig. Es ist meine lange Trainingsstrecke geworden, bei der ich ideal dem Verkehr ausweichen kann und auch – gerade in der Verbindung von Brandenberger Tal und Steinberg im Rofan – ein Gebirgserlebnis habe. Die inzwischen üblich breiteren Rennradreifen sind geeignet für den Forstweg. Zum Glück ist hier inzwischen Fahrverbot. Etwas weniger als vier Stunden sind es von daheim bis zum Achensee. Viele suchen an diesem heißen Tag Abkühlung am und im kalten tief-grün-blauen Wasser. Immer bleibt die Fahrt am Ufer entlang ein Highlight. Kasbach heißt die steile direkte Strecke von Jenbach zum Achensee. Hier wälzt sich eine Autokolonne hinauf. Ich bin zurück in der Wirklichkeit der Erderhitzung. Vor der evangelischen Pfarrkirche in Jenbach hängt das Transparent „Flüchtlingslager evakuieren“. Von innen hört man Musik für einen Gottesdienst. Am liebsten würde ich hineingehen. Die Sehnsucht nach Gemeinschaft ist groß, wo wirklich das Leben geteilt wird. Mich treibt es weiter. Mit Rückenwind jetzt nordseitig im Inntal entlang und hinauf nach Gnadenwald, wo ich einen Freund auf seinem Bauernhof besuche. 118 Kilometer, 2001 Höhenmeter und 5:45 Fahrzeit. Sonntag – Sonnentag.