Die große Bettelwurfkombination

Hinter unserem Haus ist eine spannende Bike-Climb-Hike-Kombination mit zwei der markantesten Gipfel des Karwendel. Startpunkt bei der Haustüre in Absam (650 m) ist genau um 4.00 Uhr. Sterne funkeln am Nachthimmel. Das Wetter könnte also passen, obwohl der gestrige Wetterbericht eine leichte Schauerneigung vorausgesagt hatte. Zu zweit gehen wir dann im Dunkel die Straße ins Halltal hinein. Zeit auch, um über existenzielle Dinge des Lebens ins Gespräch zu kommen. Mystisch leuchten die Lichter der Maximiliankapelle. Nach den schweren Regenfällen rauscht der Weißenbach noch einmal stärker. Morgengrauen dann beim Einstieg in den Klettersteig.

5.15 Uhr. Der Fels ist nach den heftigen Regenfällen der letzten Tage schon getrocknet. Wir sind so früh dran, dass wir keinen Steinschlag von anderen Menschen zu befürchten haben. Problemlos geht es über die Schlüsselstelle, die mit C bewertet ist. In den leichteren Passagen gehen wir ungesichert. So fliegen wir fast hinauf. Zauberhaftes Morgenwolkenspiel am Himmel. Meine Bergkollegin tänzelt angstfrei über die wackelige Hängebrücke hoch über dem Abgrund. Jedes Mal wachsen zwischen den Felsritzen wieder andere Blumen. Beim Ausstieg schaut uns unerschrocken eine Gämse in die Augen. In eineinhalb Stunden sind wir bereits beim Ausstieg und noch eine halbe Stunde dauert es, bis wir zur Bettelwurfhütte kommen. 7.30 Uhr. Dort ist gerade Frühstückszeit. Auch ich trinke einen Kaffee auf der Terrasse. Um 8.00 Uhr gehen wir gleich weiter zum Kleinen Bettelwurf. In diesem Steinschlaggebiet tut es gut, allein unterwegs zu sein. Typisches Karwendelgeröll liegt auf den Bändern und Steigen. Die schwierigeren Stellen sind mit Drahtseilen gesichert. Kurz vor dem Gipfel komme ich vom Steig ab und lande auf einer Platte mit wenig Haltepunkten. Vorsichtig klettere ich zurück. 9.15 Uhr. Wir sind allein am Gipfel. Ca 4.30 reine Geh/Kletterzeit von daheim aus. (2650 m) Tief unter uns das einsame Vomper Loch auf der einen Seite und das belebte Inntal auf der anderen.

Die Überschreitung vom Kleinen zum Großen Bettelwurf gilt als eine der schönsten im Karwendel. Da heißt es tatsächlich ein paar Mal kräftig am Felsen zuzupacken. Laut Führer sind es C- bzw. D-Stellen und eine II in freier Kletterei. Noch vier andere Bergsteiger sind am Gipfel des Großen Bettelwurf (2725 m), die nicht wenig erstaunt sind, welche Tour wir bereits hinter uns haben. 2157 Höhenmeter und rund fünfeinviertel Stunden Rad-Kletter-Gehzeit von daheim aus.

Es geht dann den Normalweg hinunter. A-B-Stellen, Schrofen, Geröll. Da ist auch Zeit für Gespräche. Wir treffen nur noch auf zwei weitere Bergsteiger. In der Wechselscharte sind zwei Leute beschäftigt mit der Vermessung der Gesteinsmassen. Tatsächlich hat sich seit meinem letzten Abstieg vor rund 4 Wochen die Bettelwurfreise schon wieder stark verändert. Wir springen zwischendrin immer wieder im Schotter der Bettelwurfreise hinunter. Am Ende, nach 27 Kilometern Bergstrecke: Dankbarkeit für eine großartige Landschaft und das Geschenk, dies gemeinsam erleben zu können. Auch wenn ich diese Runde schon öfters gemacht habe, bleibt sie jedes Mal ein einzigartiges Erlebnis von Natur und gewaltiger Bergwelt – und ich als Mensch bescheiden, verletzbar und vorsichtig darin. Und immer wieder besonders beschenkt, wenn ich harmonische Bergbegleitung erleben kann.

  1. Juli 2021