Obwohl ich in meinem Leben viel in den Tiroler Bergen unterwegs war, kannte ich das Wettersteingebirge nicht. Aus der Perspektive der Loipen von der Leutasch und Seefeld aus hatte ich öfters auf die schroffen Gipfel des östlichen Wettersteinmassivs geblickt. Sie schienen so unbesteigbar. Heute lerne ich dank meines Freundes ein neues, wunderbares Stück Bergwelt kennen.
Startpunkt ist in der Leutasch. Ein gelber Wegweiser in dem kleinen Weiler Leutasch-Lehner mit einem schwarzen Punkt zeigt die Richtung an: Söllerpass, 4 Stunden. Noch ist alles nass von den heftigen Regenfällen vom Vortag und um die Bergketten hängen Wolken und Nebel. Allerdings ist für heute kein Regen vorausgesagt. Es geht zunächst hinauf durch einen dichten Wald und hinein ins Puittal und zu einer Alm beim Puitegg, wo ein Steig, der sich zunehmend mehr aufbäumt, rechts abzweigt. Tatsächlich zählen hier die vielzitierte Trittsicherheit und Schwindelfreiheit, vor allem dann bei der Querung kurz vor dem Söllerpass. Die Kehren hinauf durch die Söllerrinne sind zum Teil ausgewaschen. Ausrutscher wären hier katastrophal. Hinter dem Söllerpass (2259 M) ist eine großartige Felslandschaft, die Leutascher Platt. Östlich davon ist der majestätische Öfelekopf. Die Gesteinsformationen sind einzigartig. Glattgeschliffene Felsen, dann wieder karstförmig mit tiefen Einschnitten und Höhlen – und dies alles in einem riesigen Felsplateau. Zusammen mit dem Nebel heute wirkt es wie eine Mondlandschaft.
Von dort zweigt auch der Klettersteig hinauf auf die Mittlere bzw. Partenkircher Dreitorspitze ab. Zunächst über ein riesiges Geröllfeld hinauf, bis dann der Einstieg beginnt. Es ist ein Klettersteig der alten Schule. Die Kletterstellen sind einfach, weil der Steig sich nicht am Kriterium des Spektakulären orientiert – wie viele neue Klettersteige, sondern einem natürlichen Aufstieg folgt. Ausgewiesen ist er der Kategorie A/B und ist nach dem berühmtesten Erschließer der Nördlichen Kalkalpen, Hermann-von-Barth, benannt. Das Klettersteigset hätte ich nicht gebraucht, der Helm ist aber für dieses Gebiet ratsam. Nebelschwaden schaffen eine besondere Atmosphäre. Wir sind allein am Gipfel. (2633 M), auf dem kein Kreuz aber ein Grenzstein angebracht ist. Knapp unter 4 Stunden sind wir gegangen und 7 Kilometer. Überhaupt trafen wir bis jetzt nur fünf weitere Bergsteiger. Für mich nicht einladend schauen die Übergänge zur Leutascher Dreitorspitze und den benachbarten Gipfeln aus. Dies wäre alles eine exponierte, brüchige Gratkletterei.
Den Retourweg wählen wir über die Meilerhütte, die auf einem schmalen Joch zwischen den Gipfeln thront. Ein luftiger Steig – der in den schwierigeren Stellen aber gut abgesichert ist – führte dorthin. (5.16min) Auch hier gibt es nur wenige Menschen. Zu weit sind doch alle Anstiege auf die Hütte auf 2377 M. Kurios ist die Grenze zwischen Bayern und Tirol, die exakt an der Kante der Hütte verläuft, so dass sie in Bayern steht.
Von der Meilerhütte geht es dann steil, flach, steil, flach, steil, flach hinaus durch das einsame Bergleintal, stets umgeben von den schroffen Felswänden im Norden und Süden. Gegenüber im Osten sind die markanten Gipfel der Arnspitzgruppe. Das Bergleintal endet mit einer malerischen Klamm, wo sich der Bach mehrere Gumpen geschaffen hat. Da wir erst um 10.15 Uhr losgingen, war es schon leicht dunkel, bis wir bei unserem Ausgangspunkt ankamen. 16 Kilometer, rund 1600 Höhenmeter im Gesamten, 3 Stunden 20 min und 10 Kilometer von der Meilerhütte weg. Ein voller Tag gefüllt mit einzigartigen Naturlandschaften, einer urigen Berghütte, einem einsamen Gipfel, ausgesetzten Steigen, einem wunderschönen Bergtal und vor allem auch Zeit zum Reden und Zeit für Freundschaft.