Tiefblauer und wolkenloser Himmel. Weiß strahlt der Neuschnee entlang der Schneefallgrenze auf ca 2500 m. Unser Startpunkt ist beim Hüttenparkplatz auf 1370 m. Der Aufstieg von hier bis zum Gipfel ist mir vertraut. Dennoch sind auch vertraute Gipfel jedes Mal neu: Anders ist jedes Mal die eigene Befindlichkeit – heute ein etwas lädiertes Knie. Vor allem jedes Mal neu sind Gedanken und Gefühle, die nicht verdrängt werden können in der Wildnis der Bergwelt, Gedanken auch an die Welt – bis hin nach Afghanistan und an die Mauerbauer ringsum und hierzulande. Vertraut ist mir der Freund, mit dem ich bereits in Jugendjahren auf schwierigen Routen in den Westalpen unterwegs sein konnte – und der bis heute nichts an gebirgiger Wendigkeit und Sicherheit und vor allem freundschaftlicher Fürsorglichkeit verloren hat. Besinnlich geht es über die Bsuachalm und dann von dort über einen bestens ausgebauten Steig zur Nürnberger Hütte (2297m). Es wird angenehm warm. Wie immer beeindruckend: Die imposanten heute frischschneebedeckten Berge ringsum mit ihren Gletscherresten, die sich vom tiefblauen Himmel oben, den grau-braun-rötlichen Moränen und Gesteinsmassen abheben. Der Freigersee mit seiner wunderbar-türkisen Farbe ist immer weiter unten. Auf dem Steig Richtung Freiger kann man sich nicht verlaufen. Die Markierungen sind deutlich. Der Freiger ist so etwas wie ein Stubaier Modegipfel, auf dem „man“ irgendwie gewesen sein muss. Seine tourismusförderliche Bezeichnung als einer der Stubaier Seven Summits trägt zum Image bei. Etwas vorsichtiger heißt es über die schneebedeckten Felsen am Grat zu gehen. Das Fixseil, das an normalen Sommertagen über ein steileres Firnfeld führt, ist heute eingeschneit. Dafür sind gute Stapfen vorhanden. Ein verfallenes steinernes Zollhäuschen steht auf 3340 m – dort, wo es nur mehr über einen Firngrat und ein paar Felsblöcke hinauf zum großen Gipfelkreuz geht. Das Panorama ist beeindruckend. Auf dem höchsten Punkt eines Felsgipfels thront im Süden am Ende vom Ridnauntal das Becherhaus. Am Gipfel ist ein bestens ausgerüstetes junges Paar, das über den Übertalferner und Müllergrat hinaufkam. Unzählbar sind die Gipfel – bis weit hinein in die Zillertaler und Ötztaler Alpen sowie die Dolomiten. Der Freigerferner hat sich – zum Unterschied von anderen Gletschern – noch gut mit seinen Flanken, Abbrüchen und Spalten gegen die Gletscherschmelze behaupten können. Weil sich von unten aber eine größere Gruppe ankündigt, bleiben wir nicht lange am Gipfel. Der lange Abstieg von 2200 Höhenmeter wird mit Kaspressknödel und Bier auf der Nürnbergerhütte angenehm kräftigend unterbrochen. Eine Ziege begleitet uns blökend ein Stück des Steiges hinunter ins Tal. Rufe von oben aus einer steilen Bergflanke und dann später Rettungshubschrauber und Polizeihubschrauber machen betroffen nachdenklich – ist wieder etwas passiert? So schmal ist oft der Grat zwischen Leben und Tod, zwischen Glück und Unglück.