Wohl kaum ein anderer Berggipfel in Tirol bietet eine relativ leicht erreichbare und ersteigbare und vor allem imposantere Chance, einen großartigen Sonnaufgang zu erleben, als die Serles, vorausgesetzt freilich, dass die äußeren Umstände auch passen. Und an diesem Sonntagmorgen passte einfach alles. Das Timing war perfekt: Um 4.25 ging es von der Waldrast weg. Es sind etwas mehr als 1000 Höhenmeter Anstieg, das heißt: knapp 2 Stunden Gehzeit. Auch der Aufstieg war perfekt. Es leuchtete uns der abnehmende helle Mond, so dass man nach dem Wald und dem Latschengürtel ohne Stirnlampe unterwegs sein konnte. Nur vom Serlesjöchl weg über die Leiter und die Felsen schaltete ich sie wieder ein. Es blieb dann am Gifpel noch genügend Zeit, um in der blauen Stunde auf die Sonne zu warten, Gemeinschaft zu spüren und sich dem Hellerwerden zu öffnen. Nicht zu Unrecht trägt die Serles die Bezeichnung „Hochaltar Tirols“, wenn ich an den 360-Grad-Panoramablick denke. Noch acht andere Leute waren am Gipfel. Unbekannte Leute waren im Erleben des Augenblicks miteinander irgendwie verbunden. Ein junges Paar spendierte mir einen Kaffee aus der Thermoskanne. Erst um 7.10 stieg dann über den Tuxer-Alpen die Sonne großartig in einem einzigartigen Lichtspiel hervor und verzauberte die Bergwelt ringsum mit einem orange-roten Licht. Mehrmals blieb ich dann beim kurzen Abstieg stehen, um die faszinierende Bergwelt im Licht des beginnenden Tages mit den scharfen Konturen und dem stahlblauen Himmel zu bestaunen: den Serleskamm vor mir mit Kesselspitze, Kirchdach und Habicht; die Gletscherriesen ganz hinten im Stubai; die Bergwelt der Sellrainer-Alpen – und so viel mehr vertraut gewordene Gipfel. Die Morgensonne warf den Schatten der Serles auf das Stubaital.
In meinem Herzen bilden sich Gedanken und Gefühle zu einem Gedicht:
lichtvoll beschenkt
empfange himmlisches Licht
im Beginnen von Neuem
möge es leuchten
ins Dunkle der Welten
schenke es weiter
in der Begegnung mit Menschen
möge es wärmen
in die Kälte der Welten
spiegle es wider
im Strahlen der Augen
möge es heilen
in irdischen Schmerzen
k.heidegger, 27.9.2021, Serles-Sonnenaufgang