Ein Samstagmorgen Ende Oktober. Kühl ist es. Inmitten der Stadt wirkt der Bahnhof Hötting in der dunklen Frühmorgenzeit wie ein Ort in der Einsamkeit der Welt. Rot leuchten die ÖBB-LED-Lampen an der Fassade. Am Bahnhof gibt es keinen Fahrkartenschalter. Das passt zum Ort. Eine freundliche Schaffnerin der Mittenwaldbahn wird das Ticket für mich ausdrucken. Allein bin ich auch in Scharnitz, wo ich aussteige. Noch kühler ist es hier. Und einsam. Über der Isar ist ein leuchtender LED-Schriftzug mit ISAR geschrieben. Niemand ist im Ort unterwegs. Grenzenloses einsames Eintauchen in die Bergwelt. Die Strecke ist mir vertraut. Rechts, wo die Isar herauskommt, geht es durch das Hinterautal zum Hallerangerhaus. Ins Karwendeltal führt zunächst eine kurze Rampe und dann gleitet der breite Schotterweg am Karwendelbach entlang. Isar und Karwendelbach haben sich im Laufe der Jahrtausende Canyons gegraben. Der Anstieg zum Karwendelhaus ist moderat. An normalen Sommertagen sind hier in großer Zahl Mountainbiker und Wanderer unterwegs. Heute bin ich alleine. Nur einmal fährt ein Jägerauto vorbei. Die Abgase eines einzelnen Autos sind enorm. In der Stadt bin ich von Tausenden umgeben und die Emissionen werden kaum mehr wahrgenommen – wie der sprichwörtliche Frosch bin ich dort, der im sich aufheizenden Wasser nicht merkt, in welcher Gefahr er sich befindet. Ich tauche ein in den Hochnebel. Vom Karwendelhaus sehe ich nichts. Die letzten Male verband ich noch die Überschreitung der Ödkarspitzen und die Kletterei auf die Birkkarspitze mit dieser Karwendeldurchquerung. Etwas weniger als zwei Stunden sind es für die 16 km-Strecke und 800 Höhenmeter bis zum Hochalmsattel (1800m). Die verblühten Blumenhalme und Strohhalme sind gekleidet in Raureif. Es hat sicher Minusgrade. Die Finger fühlen sich trotz Handschuh klamm an. Noch immer bin ich ganz alleine. Im Alleinsein ist die Bergwelt weit intensiver – auch die Gedanken und Gefühle in mir. Langsam löst sich der Hochnebel und die imposanten senkrechten Wände werden freigegeben. Irgendwo ist ein Jäger unterwegs. Ein Schuss hallt von den Wänden wider. Der ruppige Weg hinunter zum Kleinen Ahornboden ist nur langsam befahrbar. Faszinierend sind die knorrig-verwitterten alten Ahornbäume in ihrer herbstlichen Pracht. Der normale Weg der MTB-Karwendeldurchquerung würde jetzt durch das Johannistal hinaus zum Risstal gehen. Ich wähle die Zusatzvariante zur Falkenhütte.
Dann beginnt der zweite Anstieg für heute. Es wird teils wirklich steil. Um diese Jahreszeit hat die Sonne keine Chance mehr, über die 900 Meter hohen Laliderer Wände zu kommen. Auch die jahreszeitlich bedingte geschlossene Falkenhütte liegt im Schatten. Mit 1848m ist es mein heutiger Top-of-the tour. Weil ohnehin so gut wie keine Wanderer unterwegs sind, wähle ich den Wander-Steig hinunter zur Laliderer Alm und von dort hinaus bis zum Risstal. Ich habe keine Trailambitionen und schiebe lieber das Rad. Dann hinaus durch das Laliderertal. Keine Menschenseele begegnet mir an diesem strahlenden Tag. Ich bleibe immer wieder stehen, um die Pracht der Buchen und Ahornbäume zu bestaunen. Inzwischen ist der Hochnebel verschwunden und der Himmel ist kräftig blau.
Mein Körper wird nicht müde. Ich wähle noch den Abstecher bis zum Talschluss in der Eng und fahre dabei am Großen Ahornboden entlang. Hier sind nun die vielen Ausflügler, die mit ihren Autos über die Mautstraße von Hinterriß kamen. Die gefärbten Laubbäume strahlen die Kraft der Sonne wider. Danach geht es hinauf auf das Plumsjoch. Die Sonne scheint angenehm auf einem Großteil der Bergstrecke. 600 Höhenmeter und gut 7 Kilometer sind es vom Großen Ahornboden weg und immer in moderater Steigung. Hinunter ist der Weg so steil, dass wichtiges Dosieren mit den Scheibenbremsen umso wichtiger ist. Ein Warntafel schlug vor, die Strecke lieber hinabzuschieben. Ein Sturz über den Weg hinaus wäre fatal. Gemütlich geht es dann von der Gernalm hinaus nach Pertisau, dem Achensee entlang und hinunter nach Jenbach. Mein Garmin zeigt für heute: 82,80 km und 2351 Höhenmeter.