„Aber die haben doch das Recht, sich gegen die russische Invasion zu wehren …“, sagte mir ein Schüler in einer Religionsstunde, als wir über die fortschreitende Eskalation des Krieges, über die Bombardements und die martialischen Bilder von Panzerkolonnen, Raketeneinschüssen und flüchtenden Menschen sprachen. „Ja“, antwortete ich, „das Recht zu verteidigen gibt es, doch die entscheidende Frage ist, welche Mittel und Wege geeignet sind, um möglichst viel Blutvergießen zu verhindern. Es gibt eben auch die vielen nicht-militärischen Strategien einer nicht-militärischen Verteidigung.2 Keine zwei Monate ist es her, als wir im Unterricht am Beispiel von Desmond Tutu und Nelson Mandela einige Aspekte des erfolgreichen gewaltfreien Widerstands erarbeitet hatten. Es gelang ihnen, sich ohne Waffengewalt von einem brutalen Apartheidregime zu befreien.
„Sollen die sich abschlachten lassen …“, stellte mir jemand die rhetorische Frage, als ich in einem Artikel gegen die Pläne anschrieb, die ukrainische Armee nun mit westlicher Hilfe massiv mit Kriegsgerät auszustatten. Nein, schreibe ich zurück, gerade ein „Abschlachten“ soll verhindert werden. Je ausgeprägter und je länger aber der gewaltsame Abwehrkampf der Ukrainer dauert, desto heftiger werden die Kämpfe, desto brutaler wird die Schlacht, desto größer werden die Zerstörungen. Es ist hingegen kein Zeichen von Schwäche, wenn es eine militärische Kapitulation gegenüber einem militärisch weitaus überlegenen Aggressor gibt. Der Widerstand kennt so viele andere Formen, die nicht mit Waffen geführt werden müssen. Von Gandhi stammt das Diktum: „Ein Land, das mit Gewalt erobert wird, kann nicht mit Gewalt gehalten werden.“ Auch Militärexperten weisen heute auf zwei Aspekte hin: Ein militärisch berechtigter Widerstand ist erstens nur dann völkerrechtlich gedeckt, wenn es eine Unterscheidung zwischen Zivilbevölkerung und Militär gibt. Dies ist bei der geplanten Volksbewaffnung in der Ukraine nicht mehr gegeben. Dadurch wäre der Blutzoll besonders hoch. Zweitens spricht auch das Völkerrecht genauso wie die kirchliche Lehre von der gerechten Verteidigung von der Verhältnismäßigkeit. Der Preis, der für einen militärischen Abwehrkampf zu zahlen ist, darf nie unverhältnismäßig hoch sein.
„Unsere Armee ist stark! Wir werden nicht aufgeben! Wir werden kämpfen! …“, sagte zu Beginn des Friedensgebetes im Innsbrucker Dom eine junge Ukrainerin, die in Innsbruck studiert und deren Eltern in Kiew sind. Es waren bewegende Worte. Doch passt der Aufruf zu heldenhaftem Kampf in den Kontext einer Kirche und eines Friedensgottesdienstes? Bischof Hermann las dann aus dem Neuen Testament den Beginn der Bergpredigt vor. „Selig, die keine Gewalt anwenden … selig, die Frieden stiften …“ Jesus sprach diese Worte nicht in eine Heile-Welt-Situation hinein. Im Gegenteil. Das jüdische Volk war von den römischen Besatzungstruppen seit vielen Jahren unterjocht. Aufständische wurden gekreuzigt, Frauen in Sexsklaverei geschickt. Da gab es jüdische Widerstandskämpfer, die mit primitiven Waffen gegen römische Besatzungssoldaten vorgingen. Jesus wählte nicht den gewaltsamen Weg der Sikarier und Zeloten, die gegen die Römer mit Guerillamethoden kämpften, aber auch nicht jenen der Sadduzäer, die sich mit den Besatzern arrangiert hatten. Der jesuanische Weg ist charakterisiert durch Gewaltverzicht und Feindesliebe.
In dieser Schreckenszeit des Krieges in der Ukraine verstummen die Stimmen im Kriegsgeheul, die von einem Verzicht auf Waffengewalt reden. Noch vor ein paar Tagen wollten sich die Staatenlenker des Westens aus dem Krieg heraushalten. Heute wird Kriegsgerät in Masse bereitgestellt. Im Aufwind des Denkens in den Kategorien von militärischer Gewalt und Gegengewalt werden zusätzliche Milliarden für die Rüstungsetats aufgebracht. Auch Österreich plant eine Erhöhung der Militärausgaben. Warum gibt es nicht mehr Förderungen für zivile Friedensdienste, für Trainings in gewaltfreier Aktion oder für Friedensforschung? Gerade jetzt müssten wir sehen: Militärische Waffen sind untauglich für den Frieden.
Der gewaltfreie Weg ist jener, der nicht nur in den religiösen Schriften als Maßstab vorgegeben wird, sondern von Poeten und Poetinnen immer wieder in lyrischen Texten beschrieben wird. So Bertold Brecht:
General, dein Tank ist ein starker Wagen.
Er bricht einen Wald nieder und zermalmt hundert Menschen.
Aber er hat einen Fehler:
Er braucht einen Fahrer.
General, dein Bombenflugzeug ist stark.
Es fliegt schneller als der Sturm und trägt mehr als ein Elefant.
Aber es hat einen Fehler:
Es braucht einen Monteur.
General, der Mensch ist sehr brauchbar.
Er kann fliegen, und er kann töten.
Aber er hat einen Fehler:
Er kann denken.
Klaus Heidegger
Neutralität aushandeln und keiner braucht mehr hingehen zu einem Krieg
Danke , Klaus Heidegger , für diese – ganz andere Stimme – einmal gegen Gewalt gegen die Gewalt.“
Frau wagt gar nicht mehr so zu denken. Ich denke dennoch so mit Ihnen!
Auch ich möchte mich für den Artikel bedanken und hoffe, dass sich diese Gedanken weiter verbreiten!
Auch ich bedanke mich für die Gedanken dieses Artikels, die heute viel mehr gehört und aufgenommen werden sollten.