Er schlief nur wenig. Die Nächte waren kurz. Er arbeitete meist viel und nicht wenig war er auf den Bergen unterwegs. So war er abends müde genug, um einschlafen zu können. Manchmal schlief er sogar spätabends am Schreibtisch ein oder im Bett beim Lesen eines Buches. Oft war er am Ende eines Tages sehr traurig, weil das Leben unerfüllt blieb. Es war gut, dass die Nächte nicht lange dauerten. In einer Vollmondnacht setzte er sich noch mit einem guten Bier an den Inn – so wie es einige der Studierenden entlang der Innpromenade taten. Die Forsythien leuchteten bereits gelb im Schein von Straßenlampen. Ein kühler Wind wehte. Im Inn spiegelten sich die Lichter der Stadt. Hell erleuchtet waren die Fassade vom Dom und der Stadtturm. Nach dem Mond Ausschau haltend, der sich hinter Wolken versteckt hielt, spürte er plötzlich, dass da jemand neben ihm saß. „Schenkst du mir auch einen Schluck?“, fragte sein unerwarteter und doch erhoffte Gefährte. Es war der gleiche Engel wie gestern. „Engel essen und trinken gerne“, dachte er sich sofort. Dabei fiel ihm die Geschichte aus der Bibel ein, als Abraham drei Engel zu einem Gastmahl eingeladen hatte. Zum Glück hatte er in seiner Tasche noch eine zweite Flasche. Sie konnten anstoßen. „Auf deine Träume!“, sagte der Engel. Der Mann wunderte sich schon nicht mehr, dass ihn ein Engel begleitet, dass Engel Bier trinken und scheinbar alles wissen. Jedenfalls wusste sein Engel Bescheid. „Pass auf“, sagte er freundschaftlich, „dass sie dich nicht noch trauriger machen werden!“ Dabei schaute ihm der Engel tief in die Augen. Der einsame Mann liebte es, sich in die Augen zu sehen – weil Augen nicht lügen können. Er kannte die Farbe der Augen der Menschen, die er mochte. Eine Farbe war ihm besonders wichtig geworden. „Liest du mir eines deiner Gedichte vor“, fragte der Engel. „Engel mögen also nicht nur Bier, sondern auch Gedichte“, dachte er sich. Das bestätigte ihn wiederum, dass es ein Engel war. Da nahm er den Notizblock und las vor, was er eben im Mondlicht geschrieben hatte, bevor ihn der Engel besucht hatte.
Mondlicht
voll der Mond
hell leuchtend in der Nacht
strahlt wider das Licht der Sonne
die du mir bist
voll der Mond
erfüllt mit Sehnen nach Leben in Fülle
strahlt wider lichtvolle Begegnungen
die sind wie Augenblicke des Glücks
voll und hell ein verspieltes Verliebtsein
leuchtet im Dunkel der Nächte wie der Mond
ganz trunken vom Licht
leben Glaube, Hoffnung und Liebe
klaus 19.3.2022