Denkmalschützende Menschen werden meine Freude über den symbolträchtigen Umgang mit der Kanzel in der mächtigen Pfarrkirche von Tschagguns wohl weniger goutieren. Am Rande eines bundesweiten Treffens im Montafon nahm ich mir Pausenzeit, um in die Kirche zu gehen, die als Patrozinium Mariä Geburt hat. Die Tschaggunser Kirche ist neben Rankweil und Bildstein eine der Marien-Wallfahrtsstätten in Vorarlberg. Mächtig thront sie auf einem Felsen über dem bekannten Tourismort. Beim Aufgang zur Kirche passiere ich ein Kriegsdenkmal mit einem Fresko, das eine Verherrlichung des militärischen Heldentums ist, bei dem ich – gerade jetzt angesichts des Krieges in der Ukraine – am liebsten die Augen schließen möchte und mir denke: NEIN! Wer am Schlachtfeld im militärischen Kampf getötet wird, ist kein Held. Am liebsten hätte ich ein Pappkarton mit der Schrift „NEIN ZUM KRIEG!“ daneben gestellt. Im Inneren der weiträumigen dreischiffigen Kirche wird umgebaut und renoviert. So soll wohl Kirche sein. Im Umbau. Auch diese Kirche hatte die kirchenpolitischen und theologischen Auf- und Umbrüche architektonisch schon mitgemacht. Das ursprünglich gotische Gebäude – der Chor hat wieder seine ursprüngliche Form – wurde in der Gegenreformation wie fast alle damaligen Kirchen im katholischen Raum barockisiert und im Laufe der Jahrhunderte erweitertet. Und heute: Steinerne Statuen stehen wie abgestellt am rechten Seitenrand des Kirchenschiffes. Die schweren schwarzen barocken Seitenaltäre wirken so, als gehörten sie gar nicht mehr zur Kirche. Befreit von einer barocken Überfülle sind die Wände der Kirche. Mein Blick wird aber vor allem auf die barocke Kanzel gelenkt. Sie ist nicht mehr hoch oben über den Köpfen. Ein Kleriker kann nicht mehr eine Kanzelpredigt von oben auf die Menschen lassen. Das mag ja notwendig gewesen sein in einer Zeit, in der es noch keine Mikrofone und Lautsprecher gab – und wohl auch noch die Verkündigung zu sehr als dogmatische Belehrung von oben herab geschah. Die Kanzel wurde ohne ihr Podest rechts vorne als Ambo hingestellt. Von dort aus – auf Augenhöhe des Volkes – kann nun Verkündigung im Dialog mit dem Volk geschehen. Damit wird das, was im Zweiten Vatikanum deutlich formuliert worden ist, unterstrichen. Es bedarf freilich nicht so sehr einer symbolischen Umgestaltung der Kirchen. Kein Priester wird heute noch auf eine Kanzel steigen, um von dort aus zu predigen. Es braucht aber eine Verkündigung, die Erfahrungen des Volkes mit ihrem Gott zum Inhalt hat. Kommunikative Theologie wird sie genannt. Dann wird die Rede davon sein, wo und wie Gott* im Leben von uns Menschen vorkommt oder von der existenziellen Grunderfahrung des „mein Gott mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Die Kanzel in der Kirche im Montafon ist auf den Boden der göttlichen Wirklichkeiten gekommen. Um von dort aus zu verkündigen, braucht es nicht notwendigerweise eine Weihe, sondern die Fähigkeit und Kompetenzen von Frauen und Männern, göttliches Geschehen in unserer Welt mit Blick auf die biblischen Schriften deuten zu können und in der Sprache der Menschen – vor allem auch der jungen Menschen – glaubhaft zu bezeugen. Das wäre eine Botschaft des Gewaltverzichts und der Gewaltfreiheit sowie der Achtung für die Schöpfung, was gerade in unserer zerstörerischen Welt so notwendend wäre.
Klaus Heidegger