Ein Musical von gestern als bleibender Spiegel
In einem Europa, das heute von schrecklichem Kriegsgeschehen und Aufrüstung bestimmt wird und wo die Schlachten in der Ukraine in das vierte Monat gehen, kann ich gar nicht die Vorlage für das Musical „3 Musketiere“ vom Heute trennen. In meiner eigenen Welt mit all dem Hoffen und Sehnen nach gelingendem Leben erzählen Bilder, Musik und Texte auch von eigenem Erleben. Das Musical, das vom Theater.RUM im ForRum auf höchst professionelle und in jeder Hinsicht genial inszeniert wird mit glanzvollen Leistungen der Schauspielerinnen und Schauspieler, kreativen Bühnenkreationen und Kostümen und einem großartigen Orchester im Hintergrund führt mich weder hinaus aus dem Weltgeschehen noch aus dem, was inmitten von all dem mit mir selbst geschieht. Ich erlebe die „3 Musketiere“ mehr als eine Show und mehr als eine Unterhaltung mit Weltbühnenflair.
Der Inhalt des Stückes
Der Stoff des Musicals führt hinein in die Zeit des 17. Jahrhunderts in Europa, das geprägt war von den Kriegen um Macht, die vordergründig als Konfessionskriege galten, während es tatsächlich stets um die mimetischen Machtspiele der Herrschenden ging: um Landbesitz, um Schlösser, um Eitelkeiten und um Grenzen. Am französischen Königshof regierte Ludwig XIII., der wie eine lächerliche Marionette eines kriegslüsternen und machtbesessenen Kardinals agiert. Ein Krieg sollte zwischen England und Frankreich angezettelt werden, damit das „katholische“ Frankreich siegreich im Kampf gegen die Hugenotten wäre. Dahinein wird die Geschichte des jungen D’Artagnan verstrickt, der sich aus seiner südfranzösischen Heimat auf nach Paris macht, um in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und sich den Musketieren – der Leibgarde des Königs – anzuschließen.
Inmitten von Säbeln
Denke ich an Musketen, denke ich an Krieg, denke ich an Krieg, denke ich an das Töten durch Gewehre, die mit ihrer Schusskraft selbst Harnische durchdringen können. Heute sind es nicht mehr Musketen, sondern Panzerabwehrlenkwaffen, Streubomben und Co mit ihren scheußlichen Folgen. Denke ich an Säbel, denke ich an das aberwitzige männliche Kämpfen um Ehre, um Stolz, um Sieg. Da zählt es, Feinde zu konstruieren und sie mit der eigenen Waffe zu verletzen, zu verstümmeln, niederzufechten. Ich kann die Worte „wir werden siegen“ schon längst nicht mehr hören. Die waffentragenden Burschenschaftler als säbelschwingende Relikte einer unseligen Zeit sind im heutigen Österreich zwar dank Ibiza in die zweite Reihe gerückt, verschwunden sind sie allemal noch nicht. Auf ironische Weise deckt D’Artagnan anfangs noch die Lächerlichkeit der Fechtduelle auf und macht sich darüber auf seine Weise lustig. Die Fülle an Fechtszenen wird dann aber doch zu sehr zum Selbstzweck, in dem die Kritik an einer Kampfideologie und ihren letztlich verheerenden Folgen untergeht.
Inmitten von Intrigen und kirchlichen Verfehlungen
Ein bekannter Religionskritiker, der auch im Publikum saß, wird sich wohl bei der Darstellung der pointierten Karikatur von kirchlichem Machtgehabe in Gestalt von Kardinal Richelieu bestätigt fühlen und sich erneut denken: So ist Kirche. Der orthodoxe Patriarch Kyrill I. wirkt heute wie eine Kopie des Kardinals im Musical. Mehrmals frage ich mich beim Zusehen: Wird die Kritik an einer kriegslüsternen und machtbesessenen Kirche, die mit der Figur Richelieu und seiner widerwärtigen Leibgarde, seinen frauenverachtenden Aussprüchen und seinen kriegslüsternen Ambitionen dargestellt wird, letztlich zu einer genauso plumpen alltäglichen Religionskritik führen, oder könnte sie dazu beitragen, den innersten Kern von Religion wieder zu entdecken: Gott* in der liebenden Zuwendung zwischen Menschen zu erfahren?
Inmitten von Heldentum
Das Musketier-Motto „einer für alle, alle für einen“ kann als Zeichen für eine starke Freundschaft gewertet werden, für Zusammenhalt und Solidarität. All zu leicht könnte es aber auch zu einem aufopfernden Heldentum führen, von dem unsere Welt schon zu viel bis zum heutigen Tag kennt. Es kann als kollektivistisches Grundrechtsprinzip in der Diktatur Nordkoreas dienen genauso wie in einer eidgenössischen Solidarität in der Schweiz. Was wir – gerade auch wieder mit Blick auf die heutige Welt – aber so dringend brauchen, ist nicht Heldentum, in dem ein Gegner mit Häme und Spott überzogen wird, wo nicht gelacht wird, wenn dem Duellpartner ein Auge ausgestochen wird, sondern Feinde zu Freunden werden.
Inmitten die Liebe
Was in dieser Welt aber wirklich zählt, es könnte wohl auch als das ganz große oder das größte Glück bezeichnet werden, ist die verliebte Begegnung zwischen Constance und D’Artagnan. Er entdeckt in dieser Begegnung, dass das, wofür er wirklich „kämpft“, nicht die Ehre und Würde Frankreichs ist, kein Kampf gegen Hugenotten, kein Kampf gegen Intrigenspiele, sondern ein bedingungsloses Eintreten für dieses wechselseitige zärtliche Angenommensein in einer liebenden Umarmung. Diese Welt wäre so schön, würde dieses liebende Sichbegegnen nicht immer wieder eingeschränkt, bedroht oder sogar getötet. Wenn jedenfalls D’Artagnon den Säbel aus der Hand nimmt, wird seine Hand frei, um zärtlich eine andere zu halten. Wie es ausgeht, soll hier nicht verraten werden. Vielleicht muss diese Geschichte auch erst immer wieder neu erträumt, erlitten oder erfahren werden.
Epilog: liebendes Erfahren
inmitten von rasselnden Säbeln und Musketen
unterbricht liebende Zuwendung den Lärm der Waffen:
nichts ist mehr wie früher
inmitten von Intrigen und Machtspielen
erweist sich Liebe als stärkste Kraft:
nichts hält sie auf
inmitten von Säbeln und Intrigen
wird Liebendes verdrängt und getötet:
nichts kann sie schützen
inmitten von allem
glaubt, hofft und liebt die Seele:
ein Du lässt sie leben im Heute
Klaus Heidegger, 22.5.2022